
© Lukas Wittland
Briefwahl-Auszählung: Fleißige Bienchen und ein nervöser Bürgermeister
Kommunalwahl 2020
Etwa 200 Wahlhelfer haben am Sonntagnachmittag in der Europahalle die Briefwahl-Stimmzettel ausgezählt. Eindrücke aus dem Bienenstock der Demokratie zwischen McDonalds-Tüten und Prinzenrolle.
Die Europahalle gleicht einem Bienennest. Rascheln erfüllt die Luft. Brieföffner schlitzen, Wahlunterlagen knistern. Von der Empore sieht man die fleißigen Helfer an 23 Tischen, die die Halle wabenartig unterteilen, geschäftig, aber nicht gehetzt umherwuseln. Sie arbeiten am Sonntagnachmittag für ein höheres Gut.
In ihren Händen halten sie vielfach das, was die Demokratie auf das Wesentlichste herunter bricht: Die Stimmen der Menschen. Zumindest die, die sie per Briefwahl abgegeben haben. Wegen der Corona-Pandemie sind so viele Briefwahlumschläge eingegangen wie nie zuvor, wegen ihr werden 23 Briefwahlbezirke in diesem Jahr gemeinsam ausgezählt, jeder an einem Tisch von mal acht, mal neun Personen.
In der großen Halle können Sie besser die Abstände einhalten als in den kleinen Räumen, in denen sie sonst ausgezählt haben. Sie sitzen eineinhalb Meter auseinander. Manche tragen Mundschutz, die meisten nicht. Man blickt auf dunkle Haare, auf blonde Haare, auf grüne Haare und auf blaue, auf graue Haare und auf Kopftücher.
„Kommunalpolitik betrifft jeden von uns unmittelbar“
Die Menschen, die hier bei der Wahl helfen, sind in jedem Alter. Manche tragen T-Shirt, andere Hemd. Bei machen spannt der Stoff am Bauch, bei anderen sitzt er locker. Man sieht Hände, die die Briefe aufschlitzen. Die, die da die Stimmen auszählen, sind ein Sinnbild einer vielfältigen demokratischen Gesellschaft, zu der sie gerade ihren Beitrag leisten.
Zwei, die dabei mithelfen, sind Miriam Mehlmann und Dhana Stannek. Beide sind Mitarbeiterinnen der Stadt, am Sonntag sprechen sie aber in ihrer Rolle als Vorstand eines der 23 Wahlbezirke. Mehlmann sagt: „Kommunalpolitik betrifft jeden von uns unmittelbar. Da ist es schön, seinen Beitrag zu leisten.“ Sie sei auch einfach interessiert an den Ergebnissen, ergänzt Stannek. „Auch wenn wir die wahrscheinlich als letztes erfahren.“

Dhana Stannek (l.) und Miriam Mehlmann engagieren sich als Wahlkreis-Vorstand bei der Briefwahl. © Lukas Wittland
Zuerst werden die grünen Stimmzettel für die Wahl des Landrats ausgewertet, dann die grauen für den Kreistag, die hellblauen für die Bürgermeisterwahl, die rosafarbenen für den Stadtrat und zuletzt die fliederfarbenen für das Ruhrparlament. Die Aufgabe von Stannek und Mehlmann ist es, die Schnellmeldung an Mitarbeiter, die im Bürgerbüro sitzen, weiterzuleiten, die dann die Zwischenstände online stellen.
Das Wahlgeheimnis muss gewahrt bleiben
Um Punkt 18 Uhr schlitzen Mehlmann, Stannek und die weiteren Helfer die Umschläge mit den Stimmzetteln auf. Alle haben ihre eigene Technik, manche sitzen, manche stehen. Den anderen Umschlag mit der Bestätigung, dass man seine Stimme alleine abgegeben hat, haben sie vorher schon geöffnet und überprüft. Ist alles korrekt gewesen, wandert er in die Wahlurne.
Nicht jeder Wähler habe das richtig gemacht, sagt Laelia Schulze Langenhorst. Die Juristin hilft den Wahlhelfern, wenn sie Fragen zur Gültigkeit eines Stimmzettels haben. „Manchmal steckten in dem Umschlag, in der nur die unterschriebene Bestätigung sein darf, auch die Stimmzettel. Diese Stimmen sind dann ungültig.“ So sei die Stimme einer Person zuzuordnen. „Es muss aber immer gewährleistet sein, dass das Wahlgeheimnis gewahrt bleibt“, sagt sie.

Wahlleiter Michael Eckardt und Briefwahlvorstand Laelia Schulze Langenhorst bei der Briefwahlauszählung in der Europahalle am Sonntag. © Lukas Wittland
Schulze Langenhorst ist der Briefwahlvorstand. Sie thront mit ihrem Schreibtisch auf der Bühne der Europahalle. So kann sie sehen, ob jemand die Hand hebt, wenn er oder sie eine Frage hat. Wuselt unten der Bienenschwarm, dann ist sie die Königin.
„Wir wollen nicht die schnellsten sein, wir wollen es sauber haben“
Bleibt man in diesem Bild und gäbe es im Tierreich Bienenkönige, wäre Stadtkämmerer Michael Eckhardt wohl dieser Bienenkönig. Als Gesamt-Wahlleiter trägt er die Verantwortung, dass alles glatt. Am Sonntag ist er viel unterwegs. Die Hälfte der Wahllokale habe er besucht, sagt er. Für ihn sei jede Wahl aufregend.
„Es kann viel schiefgehen. Verzählen kann man sich schnell. Wichtig ist, dass es später keine Beanstandungen gibt“, sagt Eckhardt. „Wenn wir uns dann im Kreis rechtfertigen müssen, wäre das peinlich. Wir wollen nicht die Schnellsten sein, wir wollen es sauber haben.“
Die etwa 200 Leute, die in der Europahalle arbeiten, wollen das auch. Sie investieren schließlich mehrere Stunden ihres Sonntags in die Auszählung. Fehler würden bedeuten, es werden noch mehr. Einige der Wahlhelfer haben sich Verpflegung mitgebracht. Auf einem Tisch liegt eine Packung Prinzenrolle, auf einem anderen zwei McDonalds-Tüten.
Ein merklich angespannter Bürgermeister
Die Europahalle ist an diesem Abend frei zugänglich. Die Bürgerinnen und Bürger können sich von der Empore anschauen, wie die Wahlhelfer arbeiten. Von da aus blickt auch der amtierende Bürgermeister Rajko Kravanja auf die Tische, auf denen die hellblauen Zettel liegen. Sie entscheiden darüber, welchen Job er die nächsten fünf Jahre haben wird.
Die Nervosität sei groß, sagt er. Seine Arme hat er auf dem Geländer abgelegt. Um sich abzulenken, habe er am Wahltag viel mit seinen Kindern gespielt. „Dazu komme ich sonst leider nicht so oft.“ Dann geht er die Treppe herunter und begrüßt die Wahlhelfer.
Einige von ihnen sind Mitarbeiter der Stadt. Die vergangenen fünf Jahre war er ihr Chef. Merklich angespannt sagt er Hallo, redet ein wenig und blickt noch mal auf die Wahlzettel. Die Kreuze darauf bestimmen auch, wie viel Zeit er die nächsten fünf Jahre für seine Kinder haben wird.
Als gebürtiger Dortmunder bin ich großer Fan der ehrlich-direkten Ruhrpott-Mentalität. Nach journalistischen Ausflügen nach München und Berlin seit 2021 Redakteur in der Dortmunder Stadtredaktion.
