„Die schöne blaue Emscher bezahlen jetzt einige sehr, sehr teuer“ Anwohner (71) im Interview

Klaus-Dieter Tesch: „Die schöne blaue Emscher bezahlen jetzt einige sehr teuer“
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Er brachte sich mehrfach ein in die Diskussion am Donnerstagabend (19.10.2023) in der Europahalle, als rund 200 Betroffene von Hochwasser in ihren Häusern und Kellern ihren Sorgen freien Lauf ließen und Unmut gegenüber EUV und Emschergenossenschaft äußerten: Klaus-Dieter Tesch (71), selbst seit Jahrzehnten Anwohner der Emscher.

Er war in diesem Sommer auch von Wasser im Haus betroffen. Etwas, das viele jahrzehntelang nicht kannten. Bis der Emscher-Umbau abgeschlossen war. Was das mit dem Image des „Jahrhundertprojektes“ macht, dem Tesch immer positiv, aber auch konstruktiv-kritisch gegenüber stand, und wie er die Ergebnisse des Abends bilanzierte, verriet Tesch vom Verein „Menschen an der Emscher“ im ausführlichen Interview.

Herr Tesch, zwei Stunden Bürgerversammlung und Bürgerdialog später: Wie haben Sie den Abend als betroffener Bewohner hier in der Stadt erlebt?

Ich bin nicht so ganz zufrieden. Es hat eigentlich eine Neubaumaßnahme mit dem Emscher-Umbau und dem Stauraumkanal gegeben. Eine Neubaumaßnahme sorgt für eine Verschlechterung für immerhin 45.000 Menschen, wie ich einer Folie der Emschergenossenschaft und des EUV entnehmen konnte. Das ist für mich ein Widerspruch. Das, was jetzt bleibt, ist: Man individualisiert das Problem. Also der Einzelne, sprich Eigentümer oder Mieter, ist verantwortlich. Und diejenigen, die eigentlich die Vorsorge treffen sollten in so einem System, sagen, wir haben genügend vorgesorgt. Von daher bleibt trotz der Rede-Angebote ein Wermutstropfen übrig.

Die Leute haben gesagt: „Wir wollen nicht mehr reden und keine Erklärungen für das, was wir haben, sondern wir wollen Lösungen.“

Ja, zumindest die Bereitschaft, Lösungen aufzuzeigen und nicht Lösungen, die vielleicht in zehn Jahren und noch später erfolgen. Wenn wir jetzt schon mal bei so einer Zeitschiene sind, dann muss ich auch sagen: Wir haben es ja hier mit Experten zu tun, EUV und Emschergenossenschaft. Die haben doch genau gewusst, was der Stauraumkanal bewirkt. Und man hätte, wenn man bei den Betroffenen Schaden abwenden wollte, vielleicht frühzeitig informieren sollen. Wir kriegen bei der Grundsteuerabrechnung jedes Jahr noch einen Schnipsel beigelegt, wie wir die Mülltonne hinzustellen haben und was wir da reintun sollen. In diesem Fall ist aber gar nichts passiert. Auch was die Regenwasserableitung angeht, ist mittlerweile in der Stadt seit gefühlt zehn Jahren kein Thema mehr.

Es ist bedauerlich, dass nichts passiert ist. Obwohl man dieses System parallel immer weiter umgebaut hat, Schächte gemacht hat ohne Ende: Dieses Thema ist immer außen vor geblieben. Obwohl es ja eigentlich, so wie wir hören, die Experten gewusst haben, was da so passiert mit dem Rückstau.

Jetzt können sich Betroffene, das ist ja ein Teil der Lösung, auf Kosten aller Abwassergebührenzahler im Stadtgebiet einen Ingenieur ins Haus holen, der sich das anguckt und eine individuelle Lösung findet für die Grundstückentwässerung, ein Teil des Ganzen. Finden Sie das eine akzeptable Lösung?

Das ist ja keine Lösung, sondern auf denjenigen kommen ja dann hinterher erhebliche Kosten zu. Je nach Umfang sind das mehrere zehntausend Euro. Wenn man das hochrechnet auf alle Betroffenen, was das in Summe bedeutet, kommen erhebliche Beträge bei rum. Und das ist ja dann wieder diese individuelle Lösung. Das macht mich ein bisschen ratlos.

Mitarbeiter des Teams, das den Bürgerdialog moderierte, fassten die Beschwerden, Fragen, Sorgen und Probleme aus der Bürgerschaft zusammen.
Mitarbeiter des Teams, das den Bürgerdialog moderierte, fassten die Beschwerden, Fragen, Sorgen und Probleme aus der Bürgerschaft zusammen. © Tobias Weckenbrock

Dass der EUV sich jetzt Möglichkeiten sucht, wie er besser oberflächlich Wasser ableiten kann, also wie man laut Bürgermeister über Straßen Wasser in die Emscher leitet, wie man in Herdicksbach möglicherweise besser nutzt oder Grünflächen entlang der Waldenburger Straße – sind das für Sie Optionen?

Sicherlich, aber die werde ich nicht erleben. Also ich bin jetzt 71. Wenn man heute einen Antrag stellt, dann weiß man, wann der bewilligt wird. Bis dahin habe ich damit nichts mehr zu tun.

Es gibt Menschen, die sich jahrzehntelang jetzt mitgefreut haben, dass die Emscher blau wird, die „Köttelbecke“ ein schöner Fluss wird, der durch die Landschaft mehr ändert und nicht mehr stinkt. Droht da jetzt irgendwie dieses Image zu kippen, dass also aus dem einen Problem jetzt ein ganz anderes erwachsen ist, das möglicherweise noch viel existenzieller ist?

Genau das ist es. Die schöne blaue Emscher bezahlen jetzt einige sehr, sehr teuer. Da kommt uns die sogenannte Emscherpromenade teuer zu stehen. Früher hat bei uns an der Garagenwand gestanden: „Die schwarze Emscher stinkt uns alle an“. Heute können wir sagen: „Die Emscher kommt jetzt zu uns in den Keller.“ Und das ist aus meiner Sicht inakzeptabel. Das ist ungefähr so, wie wenn jemand sagt: „Menschenskinder, ich mache dir dein Auto top in Ordnung.“ Ich komme hin, sehe, die Karre ist neu lackiert, aber fährt nicht. Dann nützt mir der Lack auch nichts.

Reiner und Barbara März wohnen in der Barbarasiedlung in Ickern und sind mehrfach vom Unwetter geschädigt worden. Sie bringen das in Verbindung zum Emscherumbau und bekommen dafür auch Recht. Am Donnerstag (19.10.2023) waren sie auch in der Europahalle. Reiner März ergriff mehrfach das Wort.
Reiner und Barbara März wohnen in der Barbarasiedlung in Ickern und sind mehrfach vom Unwetter geschädigt worden. Sie bringen das in Verbindung zum Emscherumbau und bekommen dafür auch Recht. Am Donnerstag (19.10.2023) waren sie auch in der Europahalle. Reiner März ergriff mehrfach das Wort. © Tobias Weckenbrock

Außer, dass Sie den Leuten, die das geplant haben, ja in gewisser Weise einen Vorwurf machen, dass man das nicht hat kommen sehen: Was würden Sie jetzt als Lösungsansatz sehen?

Die müssten sich bewegen.

Sie meinen, die müssen Ihre Umbaumaßnahmen bezahlen? Also aus Haftungsgründen?

Nein. Wie ja schon angesprochen worden ist, kann man das Ableiten von Oberflächenwasser und all diese Dinge prüfen und verbessern. Nur: Das muss man jetzt forcieren! Da müssen sowohl Emschergenossenschaft als auch EUV den Turbo einschalten, so wie unser Bundeskanzler (schmunzelt). Das neue „Deutschland-Tempo“. Aber ich sehe da nicht den Silberstreif am Himmel.

Stephanie Jug (38) wohnt seit Ende 2020 in den Aapwiesen. Ihr Keller in dem kleinen Reihenhaus dient auch als Wohnraum. Sie richtete sich dort mit ihrem Lebensgefährten ein Badezimmer ein. Es stand mehrfach unter Wasser. Darum schrieben sie einen gepfefferten Brief und waren Teil der Diskussion in der Europahalle am Donnerstag (19.10.2023).
Stephanie Jug (38) wohnt seit Ende 2020 in den Aapwiesen. Ihr Keller in dem kleinen Reihenhaus dient auch als Wohnraum. Sie richtete sich dort mit ihrem Lebensgefährten ein Badezimmer ein. Es stand mehrfach unter Wasser. Darum schrieben sie einen gepfefferten Brief und waren Teil der Diskussion in der Europahalle am Donnerstag (19.10.2023). © Tobias Weckenbrock

Auch nicht nach diesem Abend oder danach erst recht nicht?

Ich habe das Gefühl, der Stand ist wie nach der ersten Veranstaltung.

Dabei war Klaus-Dieter Tesch eigentlich stets ein Freund der Emscher bzw. des Umbauprojektes...

Das bin ich immer noch. Nur: An der Stelle hat man schlicht und einfach aus meiner Sicht einige Faktoren nicht berücksichtigt. EUV und die Emschergenossenschaft kennen die Situation in diesem Gebiet. Emscher-Mergel und Torflinsen und all diese Dinge, die zu beachten sind. Man hat sich da schlicht und einfach nicht drauf eingestellt, sondern hat das, was als Norm und als Minimallösung darstellbar war, gemacht. Und das reicht nicht aus. Es reicht nicht aus.

So geht es nun weiter im Thema

Bürgermeister Rajko Kravanja, IKU-Moderator Martin Enderle und EUV-Chef Michael Werner kündigten am Donnerstagabend an, die Gespräche fortzusetzen. Betroffene können sich jetzt erst einmal an den EUV wenden, der unter starkregen2023@euv-stadtbetrieb.de erreichbar ist. Dort werden Interessenten gesammelt für eine Fachberatung für die individuelle Absicherung des eigenen Grundstücks und Hauses.

Die Beratung durch ein Ingenieurbüro ist für die Betroffenen kostenlos. Die Kosten werden auf die Abwassergebühren aller EUV-Kunden, also aller Bürger Castrop-Rauxels, aufgeschlagen. Im Februar 2024 soll es dann ein weiteres Gesprächsformat geben. In welcher Form ist noch offen.

Klaus-Dieter Tesch ist schon seit zig Jahren aufmerksamer, wohlwollender, aber auch kritischer, Begleiter des Emscherumbaus. So sagte er zum Beispiel 2012 gegenüber dem „Stadtanzeiger“, man müsse entlang der Emscher Freiräume erhalten. Kritisch beäugte er die geplante Bebauung der Flächen am Emscherufer (nördlich der Heerstraße) und am Vinckehof: Mit der Renaturierung entstünden „neue Begehrlichkeiten“, sagte der Vereins-Vorsitzende damals. Es gehe um eine gewinnbringende Vermarktung der verbliebenen Freiflächen. „Ursprünglicher Anspruch und Ziel waren, dem Fluss wieder Raum zu geben. Die Dynamik bei Starkregen macht dies erforderlich, damit das nicht mehr so stark befestigte Ufer nach dem naturnahen Umbau nicht weggeschwemmt wird“, so Tesch. Der Wunsch vieler Bürger, Freiflächen zu erhalten, werde aber nicht berücksichtigt.

„Man kann sich natürlich entscheiden, ein solches Quartier (Am Emscherufer, Anm. d. Red.) nicht zu bebauen“, reagierte der damalige Technische Beigeordnete der Stadt, Heiko Dobrindt. Man habe sich jedoch bewusst und mit dem Ziel einer verbesserten Lebensqualität für die Wohnbebauung entschieden, schrieb der Stadtanzeiger 2012.

Das Gespräch als Video und viele Hintergründe auf rn.de/castrop

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