Sergej Gejn fährt seit zwölf Jahren für das Unternehmen Hüttemann. © Tobias Wurzel

Ein Tag mit

Berufskraftfahrer Sergej Gejn versorgt die Region mit frischer Ware

Das Fahren hat Sergej Gejn in einer russischen Schule gelernt. Seit zwölf Jahren ist er für die Kühltransportfirma Hüttemann unterwegs. Wir haben ihn in der Serie „Ein Tag mit“ begleitet.

Castrop-Rauxel

, 21.08.2018 / Lesedauer: 6 min

Hoch oben im Fahrerhaus eines schneeweißen Kühltransporters sitzt Sergej Gejn. Hinter der Schranke eines großen Fleischvermarkters wartet er auf seine erste Lieferung. Seit zwölf Jahren fährt er für das Transportunternehmen Hüttemann. Sergej Gejn stellt seinen Kaffee ab und beißt ins Frühstücksbrötchen. Aus dem Lautsprecher klingt dumpf ein Abba-Medley. Ein Wackeldackel mit Gold-Halsband scheint den Fahrer vom Armaturenbrett aus zu mustern. „Den hat mir meine Tochter geschenkt“, sagt er stolz.

Kleine Verzögerung beim ersten Kunden

Um 7.30 Uhr startet Sergej Gejn den Motor. Eine Stunde zuvor hat er seinen Lieferschein und den sogenannten Lkw-Kopf abgeholt, kontrolliert und dann zum Kunden gefahren. Dort stand der passende Aufleger an einer Rampe und wurde mit frischer Wurst beladen - etwa zehn Minuten später als geplant. „Das läuft so. Da kannst du nichts machen“, sagt der Fahrer gelassen.

Den größten Teil des Tages verbringt Sergej Gejn im Fahrerhaus des Lkw-Kopfes. Meistens ist er mit demselben unterwegs. © Tobias Wurzel

Bei Kunden, die mehrere Lieferanten gleichzeitig abfertigten, kein großer Zeitverlust. Da könne die Ladezeit auch mal drei Stunden dauern. Bei Verzögerungen ab einer Stunde müsse er die Folgekunden informieren. Nachdem Sergej Gejn den Aufleger mit seinem „Kopf“ verbunden hat, rangiert er das vier Meter hohe Fahrzeug aus der Einfahrt Richtung Autobahn.

„Feste Zeiten haben wir nicht“

Dass er so früh unterwegs ist, ist nicht die Regel: „Feste Zeiten haben wir nicht“, erklärt Sergej Gejn. Trotz regelmäßiger Routen für Großkunden wisse er oft erst mittags Bescheid, welche Fahrten er am Folgetag übernimmt. Ob er sechs Stunden unterwegs ist oder zwölf. Dabei spricht er bewusst von Schichten, nicht von Arbeitszeit. Die Wartezeit bei den Kunden und während der Pausen gilt sozusagen als Bereitschaft.

Den kleinen Wackeldackel auf dem Armaturenbrett hat ihm eine seiner Töchter geschenkt. Dank der Nachtfahrten sieht er seine Familie auch tagsüber. © Tobias Wurzel

Allerdings darf auch die nur zweimal pro Woche zu einem Arbeitstag von 15 Stunden führen. Danach hat er immer mindestens elf Stunden Feierabend - egal wo, egal ob tagsüber oder nachts. Einschlafen könne er zu jeder Zeit gut. „Der Körper ist schon trainiert“, sagt er lachend. Und der wechselnde Rhythmus gefalle ihm auch besser als eine eintönige Arbeitswoche.

Meist mit demselben „Kopf“ unterwegs

„Meine liebste Zeit ist nachts“, sagt er. Schließlich kann er so auch tagsüber seine beiden Kinder und seine Frau sehen. Länger als zwei Tage ist er nie von Zuhause weg. Mal transportiert er Ware nach Berlin, Dresden, Süddeutschland, selten nach Frankreich oder Holland. Hinter dem Fahrersitz gibt es eine Koje mit bunter Wolldecke und Samtkissen.

Der beladene Lkw-Aufleger wird am Ende des Tages gewaschen und je nach Bedarf eingesetzt. Nur der Kopf, mit dem Sergej Gejn unterwegs ist, bleibt meist derselbe. Spärlich hat er den eingerichtet. „Dieser ist neu. Ich hab noch keine Zeit gehabt, meine Radiosender zu speichern“, sagt er. Ansonsten sei er mit der modernen Ausstattung aber zufrieden.

Seinen Schlafplatz im Fahrerhaus nutzt Sergej Gejn wenn möglich lieber tagsüber. Der ruhige Straßenverkehr gefällt ihm nachts besser. © Tobias Wurzel

Sergej Gejn kommt aus einem kleinen deutschen Dorf in Kasachstan. Schon damals stand in seinem Ausweis wegen der Nationalität seiner Eltern, dass er Deutsch ist. In der russischen Schule lernte er das Fahren. Ist Kipper, Busse und Kräne gefahren, hat Baustoffe oder Getreide geladen. Als die Mauer fiel, seien viele ehemalige Klassenkameraden nach Deutschland gezogen. Sergej Gejn war 2003 einer der letzten aus dem Dorf, hatte Bedenken, Arbeit zu finden. Bei der Firma Hüttemann hat es geklappt, es folgte eine verkürzte Ausbildung. Auch seinen Führerschein musste er für die Arbeit in Deutschland erneuern.

Größte Gefahr ist der Sekundenschlaf

Mit etwa 80 Stundenkilometern bewegt sich der Kühltransporter über die Autobahn nach Erkelenz. Mal wird es voll, dann wieder freie Bahn. Der Fahrtwind rauscht eintönig am Lkw-Gehäuse vorbei. Langweile habe er nie, sagt Sergej Gejn bestimmt. „Ich höre Radio. Manchmal singe ich.“ Er lächelt kurz, lehnt sich nach vorne und dreht für die Staumeldungen lauter - den Blick fest auf die Straße gerichtet.

Die Konzentration komme ganz automatisch. Bei Müdigkeit: ein kurzer Spaziergang, eine halbe Stunde Schlaf. Der Sekundenschlaf sei natürlich die größte Gefahr. Einen Unfall habe er aber noch nie verursacht - „Ne, Gott sei Dank“, sagt er und klopft auf sein Lenkrad. Nur ein Reifen sei ihm schon geplatzt.

Da gebe es eine kleine Geschichte: „Wenn du fährst und müde wirst, musst du einen 50-Euro-Schein aus dem Fenster halten“, setzt der Fahrer an. Wer den Halt verliere, solle das nur wiederholen. „Ein zweites Mal passiert das nicht“, sagt er scherzhaft. Die größte Herausforderung sei eine weite Rückfahrt an einem Freitagnachmittag. „Das ist eine Katastrophe“, sagt Sergej Gejn. Da sei es manchmal sinnvoll, bis abends zu warten und dann mit etwas Glück zur gleichen Zeit anzukommen. Trotzdem fährt er am liebsten Langstrecke, etwa in Richtung Dresden. Da sei der Verkehr ruhiger. Auch die Landschaft gefalle ihm. Gerade wenn er an die russischen Straßen denkt.

Touristisches Interesse geweckt

Sergej Gejn kommt in Deutschland gut herum, interessiert sich für die Strecken und angesteuerten Städte. Er sucht nach Parkplätzen in Stadtnähe, geht spazieren oder essen. „Den ganzen Tag im Lkw-Haus zu sitzen, ist nicht gut“, sagt er. Zum schlafen würde er dann wieder zurückkommen. Er zeigt auf eine Baumschule neben der Fahrbahn, erzählt von einem großen Tagebau, den er passiert.

An der A6 bei Sinsen habe er ein großes technisches Museum entdeckt und für einen Familienausflug ausgewählt. „Ich hab da Pause gemacht, das gesehen und möchte jetzt dahin.“ Ob seine Familie einverstanden ist, wird noch entschieden. Von einem Kurztrip nach Goslar in den Ferien konnte er sie aber überzeugen.

Nun bringt ihn sein Navi erst einmal nach Erkelenz. Sergej Gejn setzt den Blinker und fährt ab. Gekonnt manövriert er den Kühlkoloss durch zwei Kreisverkehre und parkt gegen 9.20 Uhr auf dem Kundengelände. Er klettert die Stufen hinab, meldet sich an und darf zur Rampe zurücksetzen. Vorher öffnet er noch die Türen des Laderaums, dann dockt er dicht ans Gebäude an.

Sergej Gejn öffnet den Laderaum seines Fahrzeuges. © Tobias Wurzel

Nun heißt es warten: etwa eine Stunde. Nur selten müsse er beim Verladen helfen. Im Laderaum rumpelt es. Ob sein Transporter nach dem Entladen wieder beladen wird, hört Sergej Gejn meist durch eine schnellere Abfolge der Stapler-Fahrten. Dann ein Signal vom Pförtner, der Fahrer bekommt neue Lieferscheine und darf weiterfahren.

Was bedeutet die Ladung für den Transport?

Doch bevor er absetzt, kontrolliert er, ob die Rampe auch wirklich eingefahren ist. Während er die Türen schließt, blickt er auch auf die Sperrsteine vor der Ladung im Innern, einer Palette Frikadellen. Da die Ware gefroren ist, muss der Fahrer den Kühlaggregator von Null Grad auf Minus 24 stellen. Abgesehen davon beeinflusse die Ladung den Transport nicht. "Ich fahre sowieso vorsichtig", sagt er. Mit viel Gewicht natürlich besonders.

Sergej Gejn notiert die Abfahrtzeit auf einem Lieferschein. Den bekommt er direkt von den Kunden. © Tobias Wurzel

Wenn er verschieden große Paletten geladen hat, muss er das in den Kurven beachten. Oder wenn frische Ware an den Rohren der Decke befestigt ist und der Fahrzeugschwerpunkt so weit oben ist. "Wenn ich 18 Tonnen an der Decke geladen hab, muss ich ganz vorsichtig fahren. Der Wagen kann sonst schnell umkippen."

Wie das Fahrzeug wann reagiert, habe er im Gefühl. Die Verantwortung, die er trägt, halte er immer im Kopf. Wieder auf der Autobahn brummt es plötzlich: der Spurhalteassistent. „Ich finde, das ist ganz gut“, sagt der Fahrer. Ähnlich ist seine Meinung zum Bremsassistent: „Wenn mich jemand überholt und dann bremst, reagiert der viel schneller als ich“, gibt er zu. Auch mit Navi zu fahren, mache vieles einfacher. Es hilft ihm dabei, Staus zu umfahren. Früher musste er mehrere Karten an sein Lenkrad klemmen, erinnert sich Sergej Gejn. So sei es vorgekommen, dass er Straßen nicht genau erkennen konnte und am Kunden vorbeigefahren ist. Wendemöglichkeiten gibt es für Lkw zudem nicht überall.

Kontakt zu Kollegen auf den Rastplätzen

Sergej Gejn hebt die Hand und grüßt einen vorbeifahrenden Kollegen auf der Gegenspur. Am Fahrzeugtyp oder Kennzeichen erkenne er die Hüttemann-Fahrer meist. Manchmal treffe er Bekannte auch bei Kunden, spreche über geeignete Parkplätze oder verabrede sich zum Essen. Selten übernachte er aber neben seinen Kollegen, denn er macht seine Pausen lieber tagsüber. „In der Nacht ist es ganz schwierig, einen guten Parkplatz zu finden“, sagt er. Wenn nötig steuere er dann Gewerbegebiete an. „Im Ruhrgebiet kenne ich fast gar keine Rastplätze“, sagt er. Zu kurz seien die Wege. Erst nach vier Stunden muss er eine längere Pause machen.

Den nächsten Kunden in Gelsenkirchen erreicht er gegen 12 Uhr. Danach geht es mit Leergut zum ersten Kunden zurück und der Fahrer beendet seinen Tag. Nach Castrop-Rauxel muss er nur zum Tanken, zum Waschen des Fahrzeugs oder, um Papiere abzugeben. Über GPS ist die Zentrale aber stets informiert, wo er gerade unterwegs ist.

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