Digitalisierung von Behörden Warum Eltern in NRW ihr Kind nicht online beim Amt anmelden können

Digitalisierung: Von Frust und Feuer mit Föderalismus und Bürokratie
Lesezeit

Man könnte meinen, er hätte einen Job im Rathaus, bei dem man nur Frust schiebt und sich ärgert über das, was man noch nicht erreicht hat. Weil der Föderalismus und die Bürokratie es verhindern. Aber Jan-Philip Hermes aus Castrop-Rauxel ist überhaupt nicht frustriert. Er ist der Digitalisierungs-Beauftragte der 75.000-Einwohner-Stadt und spricht gern über smarte Straßenlaternen, Mülleimer, die AusweisApp2, die bund-ID. Vom längst besiegelten Ende der Hängeregister-Mappen spricht er gar nicht mehr, das übernimmt für ihn seine Kollegin von der Pressestelle.

Das Ende ist eigentlich eingeläutet, seit es das OZG gibt: das „Onlinezugangsgesetz“, in Langform Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen. Es wurde im August 2017 verabschiedet und verpflichtet seither Bund, Länder und Kommunen, die Dienstleistungen der Behörden für die Bürger zu digitalisieren.

575 einzelne Punkte stehen auf einer langen Liste: von der Anmeldung des Wohnsitzes oder eines Gewerbes über die Bauanträge, die Führerschein-Verlängerung, den Kinder- oder Wohngeldantrag und weit, weit mehr. Alles sollte bis zum 31.12.2022 übers Internet abgewickelt werden können. Und da sind wir beim Frust: Einige Sachen gehen heute online, die meisten aber (noch) nicht. Zum Teil noch lange nicht. Ein Digitalisierungs-Beauftragter könnte da verzweifeln – oder mit Verve sagen: „Na dann, ran ans Werk!“

Hermes ist einer aus der Kategorie 2: Anfang 30 ist er, leger-schick gekleidet, Castrop-Rauxeler mit SPD-Parteibuch und dem Digitalisierungs-Job seit März 2021. Auf seinem Schreibtisch stehen zwei breite Bildschirme vor dem PC, ein Tablet steht aufgeklappt daneben, sein Smartphone liegt auf einer Induktions-Ladestation mit Castrop-Rauxel-Logo. Im Stift-Ständer steht ein kleines blau-gelbes Fähnchen mit dem Stadtwappen.

Er hat einen Notizstapel und einen Stift und schreibt seiner Kollegin, die nicht im Büro ist, gerade eine Nachricht. Auf Papier? Nur ausnahmsweise, so scheint es. Sie hat bei der Programmierung des letzten digitalisierten Verwaltungsvorgangs wohl einen Haken vergessen bei der Autovervollständigung: Wer ein Osterfeuer veranstaltet, kann das dieses Jahr erstmals online beantragen. Er gibt seine Daten ein, klickt auf Absenden, und die Stadt erhält ein PDF in den Posteingang.

Nutzerkonto und BundID

Ein relativ flacher Verwaltungsvorgang: Es geht nur darum, die Feuer zu genehmigen und der Feuerwehr die Standorte mitzuteilen. Dazu brauche es keine elektronische Akte, meint Hermes. Aber praktisch wäre schon, wenn der Nutzer, der ein Nutzerkonto mit seiner ID besitzt, dann schon alle persönlichen Daten vorausgefüllt hätte. „Das sollte so sein, vermutlich hat die Kollegin nur vergessen, es anzumarkern“, sagt Hermes. Das ist leicht nachzuholen. Und das Formular ist eh noch nicht freigeschaltet, weil der Aufruf zur Anmeldung noch nicht veröffentlicht ist.

Brauchtumsfeuer sind einer von 575 Vorgängen, Teil des OZG, Teil der zentralen Prinzipien, die damit zusammenhängen. Eines ist Efa, Einer-für-alle. Jedes Tool, das den Onlinezugang ermöglicht und die Schnittstellen zur städtischen oder kreisbehördlichen oder Landes- oder Bundesdatenbank beinhaltet, soll bundesweit nur einmal programmiert, getestet und initialisiert werden. Es soll nicht jede Stadt alles selbst machen. Synergieeffekte stehen auf der Positivseite, Projektarbeit an vielen Orten gleichzeitig ebenfalls.

Aber auf der anderen Seite steht die Kehrseite des Föderalismus: unterschiedliche Behörden in verschiedenen Bundesländern arbeiten mit unterschiedlichen Programmen und Datenbanken, haben unterschiedliche Voraussetzungen und datenschutzrechtliche Kleinst-Bestimmungen.

Jan-Philip Hermes scannt mit dem Smartphone den Ausweis mit Online-Funktion über die AusweisApp2. Dann kann er diverse Dienste nutzen.
Jan-Philip Hermes scannt mit dem Smartphone den Ausweis mit Online-Funktion über die AusweisApp2. Dann kann er diverse Dienste nutzen. © Tobias Weckenbrock
Mit dem Online-Ausweis kann man mach eine Funktion im Serviceportal eher nutzen als andere. Am Ende ist die Nutzung dieses Ausweises aber der Schlüssel zur Digitalisierung.
Mit dem Online-Ausweis kann man mach eine Funktion im Serviceportal eher nutzen als andere. Am Ende ist die Nutzung dieses Ausweises aber der Schlüssel zur Digitalisierung. © Tobias Weckenbrock

Beispiel Eltern-Leistungen: In Bremen packte man das Projekt an, alle Leistungen, die Eltern bei der Geburt eines Kindes gleichzeitig beantragen müssen, in einem auf dem Smartphone ausgefüllten Formular unterzubringen. Nicht der Vorgang „Ich beantrage Kindergeld“, sondern die Lebenswirklichkeit „Ich habe ein Kind bekommen“ soll hier im Fokus stehen. Denn es gibt weitere Vorgänge, die Eltern zu bewerkstelligen haben: Das Kind bei der Stadt anmelden, Elterngeld und Elternzeit beantragen, eine Steuer-ID holen sind einige der Dinge, die man am Tag nach der Entbindung zu regeln hat.

In Bremen machte man daraus das Elfe-Projekt (Einfach Leistungen für Eltern) und bastelte über Jahre daran, ohne Behördengang und komplizierte Anträge den Eltern die Geburtsurkunde zuschicken zu können, Elterngeld und Kindergeld auszuzahlen. Einfach per Elfe-App, in zwölf Schritten, mit einer Bearbeitungszeit von maximal einer Stunde. Seit 2021 gibt es diese Lösung, inzwischen ist sie von Bremen auch nach Hamburg, Berlin, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen ausgerollt. In NRW aber noch nicht. Datenschutzrechtliche Hürden stehen dem wohl noch entgegen.

Medienbruchfrei: Keine Hängeregister

Bei Elfe sind verschiedene Behörden und Verwaltungsebenen beteiligt, der Kreis und die Kommune in diesem Fall. Es sind mehrere einzelne Vorgänge einbezogen und es soll alles in einer elektronischen Akte aufgehen. Das ist also anders und tiefer als das mit dem Osterfeuer. Denn nicht nur die Anwendung für den Bürger soll digital sein, sondern auch die weitere Verarbeitung in der Amtsstube.

„Medienbruchfrei“ nennt das Hermes. Maresa Hilleringmann, Sprecherin der Stadt, sagt: „Also ich wüsste nicht, in welchem Büro hier im Rathaus noch mit Hängeregister gearbeitet wird.“

Das OZG war befristet bis Ende 2022. Es gilt jetzt nicht mehr, aber an einem OZG 2.0 wird gearbeitet. „Es war sehr auf Quantität fokussiert, das wird vermutlich künftig anders“, sagt Jan-Philip Hermes. 575 Einzelleistungen für den Bürger online zugänglich zu machen, sei nicht das, was am Ende wirklich nötig ist: Es müsse eine Digitalisierung vom Antrag über die Verarbeitung im Fachverfahren geben, die digitalen Daten müssten austauschbar und in den unterschiedlichen Behörden weiterzuverarbeiten sein. Qualität sei das Gebot der Zukunft.

Die Digitalisierungsbeauftragten der Städte können in einem Efa-Portal nachsehen, welche der 575 Einzelleistungen in welchem Bearbeitungsstand stecken und welche Stadt sich in Deutschland sich kümmert. Bei der Gewerbeanmeldung war das ein Verbund von Kommunen und Kreisen, Dortmund, Emsdetten und Greven gehörten dazu. NRW ist generell bei der Entwicklung zuständig für alles, was sich dem Themenspektrum Arbeit zuordnen lässt.

IT, Programmierer und Dienstleister

Wenn eine neue Leistung im Land NRW verfügbar ist, also die rechtlichen und alle anderen Föderalismus-Hürden überwunden sind, beginnt im Rathaus in Castrop-Rauxel die Projektarbeit: „Dann schauen wir uns das Tool mit unseren Fachleuten an, sprechen uns mit unserer hausinternen IT oder unserem technischen Dienstleister ab, was wir brauchen, um es in unser Serviceportal und in die Strukturen unserer Fachabteilung zu integrieren“, sagt Hermes. Das kann auch Abläufe verändern, darum muss man dann alle Mitarbeiter des Fachbereichs schulen.

Wie digital ist unsere Verwaltung? In einer Serie befassen wir uns mit Bürokratie und Digitalisierung.
Wie digital ist unsere Verwaltung? In einer Serie befassen wir uns mit Bürokratie und Digitalisierung. © Lukas / Zwingenberger

Wie begegnet die Stadt Castrop-Rauxel ihrem Bürger digital? Ist sie offen und durchlässig, kann man Anträge online stellen, werden sie digital erfasst und weiterverarbeitet? Wir prüfen gut ein Dutzend einzelne Vorgänge und klopfen sie Schritt für Schritt ab. In den kommenden Wochen hier.

Was in jedem Fall hilft: Bürger sollten sich den Online-Personalausweis besorgen, wenn er der alte ohnehin ausläuft. Den kann man mit seinem Smartphone scannen, wenn es eines der neuesten Generation ist, um sich so für diverse Dienstleistungen daheim ausweisen zu können. Wer das nicht hat, kann auch ohne den Perso eine bundID beantragen. Das Nutzerkonto kann einem später in vielen Fällen helfen, und sei es beim automatischen Ausfüllen von Teilen der Antragsformulare.

Es gibt zahlreiche Anwendungen, die ohne den Online-Ausweis oder das Nutzerkonto funktionieren. Der Antrag fürs Osterfeuer ist nur einer davon. Den hat die Stadt eigenständig umgesetzt, weil das ein Projekt von weniger als zehn Tagen Aufwand war. Bei vielen anderen heißt es: warten auf die Freigabe der Efa-Leistung. Freigegeben sind diverse elektronische Bauantragsverfahren. Das ist das nächste Projekt im Rathaus von Castrop-Rauxel: Was in einigen Nachbarstädten schon geht, soll bald auch hier möglich sein. Aber es ist ein großes Projekt, weil Bauanträge oft sehr umfangreich und komplex sind.

Allein 8000 Wohngeld-Anträge

Jetzt stehen erste Gespräche für Jan-Philip Hermes an. Mit dem Bereichsleiter. Der Rathaus-IT, dem IT-Dienstleister. Anderen Rathäusern vermutlich auch, wie Recklinghausen oder Marl, wo das schon umgesetzt ist. Dann mit dem Team der Sachbearbeiter. Ob Castrop-Rauxel damit noch 2023 starten kann? Offen.

Im Bund arbeitet man parallel am OZG 2.0. Die Stadt hat für sich derweil eine Top-25-Liste: Welcher Vorgang als nächstes digitalisiert wird, ist abhängig davon, welche Efa-Leistung verfügbar wird, aber auch, welche in Castrop-Rauxel am häufigsten vom Bürger abgerufen wird. Ein Thema könnten Wohngeld-Anträge sein. Davon fallen im Rathaus rund 8000 im Jahr an. Aber durch eine Öffnung des Wohngeld-Gesetzes gab es im Fachbereich Soziales ohnehin zuletzt eine Fülle von Anträgen, die abzuarbeiten sind. Vielleicht wäre eine Digitalisierung hier gerade nicht so smart...

Sie wollen uns Hinweise zu Vorgängen geben, aber anonym bleiben: Nutzen Sie jetzt unseren anonymen Briefkasten.