Becklem: Hohe Lebensqualität ohne jede Einkaufsmöglichkeit

© Thomas Schroeter

Becklem: Hohe Lebensqualität ohne jede Einkaufsmöglichkeit

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Die Becklemer fühlen sich wohl im äußersten nordwestlichen Zipfel der Stadt. Man ist von Wiesen, Feldern und Wäldern umgeben. Aber man hat mit viel Schleichverkehr und ohne Läden zu leben.

Becklem

, 09.04.2019, 04:55 Uhr / Lesedauer: 4 min

Julia und Nils Hötting wussten ganz genau, worauf sie sich einließen, als sie sich in Becklem niederließen. Nils (41) ist gebürtiger Becklemer, seine 34-jährige Ehefrau kommt aus Henrichenburg. Mit ihren drei Kindern wohnen sie nicht nur ganz am Rande Castrop-Rauxels, sondern auch ganz am Rande Becklems. Und fühlen sich dabei total wohl.

„Wir leben hier gerne. Ich finde es hier perfekt“, antwortet Julia Hötting, berufstätige Mutter von drei Kindern, ganz spontan auf die Frage nach der Lebensqualität in Becklem. Sie liegt dabei mit dem Schnitt der Becklemer, die beim Stadtteil-Check unsere Fragen beantwortet haben, auf einer Linie. 9 von 10 Punkten gab es für die Wohnqualität, 10 Punkte für die Radfahrmöglichkeiten und das Grün-Angebot ringsum. Es gebe schon noch auch ein bisschen Dorfleben, so die Höttings. „Man kennt die Leute, weiß, wo wer wohnt. Das ist nicht anonym“, berichten sie.

Schon im Dorf lebt man eher ruhig, an den Ortsrändern ist man mitten im Grün.

Schon im Dorf lebt man eher ruhig, an den Ortsrändern ist man mitten im Grün. © Thomas Schroeter

Die Hötting-Kinder Mats, Lina und Lasse, zwischen einem und sieben Jahren alt, wachsen in einem Umfeld auf, das ihnen auch jenseits des eigenen Gartens viel Bewegungsraum bietet. Die Straße endet bei Höttings, ab hier sind eigentlich nur noch Radfahrer oder Fußgänger unterwegs. Der Wald ist nahe, hinter dem Haus auf der Wiese stehen zwei Ponys. Das hat schon sehr viel mit Dorf, mit Ruhe zu tun. „Wenn man ein Stadtmensch ist und sagt: Ich brauche Trallafitti, will abends noch raus, dann ist man hier definitiv falsch. Denn hier ist nichts“, schildert Julia Hötting den Charakter Becklems sehr eindrücklich.

Und damit sind wir auch schon bei einem großen Manko: In Becklem gibt es keinerlei Einkaufsmöglichkeit, keinen Supermarkt, keine Bäckerei, nicht einmal einen Kiosk oder eine Tankstelle, wo man sich im Notfall versorgen kann. Julia Hötting: „Das ist im Normalfall und mit Auto ja kein Problem. Aber ein kleiner Supermarkt oder Tante-Emma-Laden, in dem man im Notfall Butter oder ein paar Eier bekäme, das wäre schon super. Man kann ja schon nach Henrichenburg laufen oder natürlich mit dem Rad fahren. Aber das kostet eben schon Zeit.“

Und Zeit oder eben ein Auto muss man mindestens mitbringen, um zum Einkauf zu gelangen. Denn die Anbindung an Buslinien ist dürftig, was sich in nur 4 Punkten in Sachen Verkehrsanbindung (Castrop-Rauxel hat einen Schnitt von 8 Punkten) niederschlägt. Mit dem Auto ist man schnell in Henrichenburg, schnell in Castrop oder in Waltrop/Datteln und auf der Autobahn. Aber die Busanbindung finden viele Becklemer dürftig.

Nur die Linie 481 bindet das Dorf an Castrop-Rauxel an. Sonntags fährt nicht einmal dieser Bus.

Nur die Linie 481 bindet das Dorf an Castrop-Rauxel an. Sonntags fährt nicht einmal dieser Bus. © Thomas Schroeter

Nur die Linie 481 verkehrt von hier aus nach Castrop-Rauxel. Einmal in der Stunde von 6.32 bis 19.32 Uhr. Abends ist Essig und am Sonntag sowieso. Da fährt der Bus gar nicht. Und die Linie 280, so kritisieren die Becklemer, fährt das Dorf schon lange nicht mehr an. So habe man keinerlei Verbindung in Richtung Waltrop und Datteln. Da kann sich Julia Hötting noch an die Zeit ihrer Jugend erinnern. Sie wohnte in Henrichenburg, ihre beste Freundin in Becklem: „Das war die Hölle, da mussten die Eltern wechselseitig immer den Fahrdienst übernehmen.“

Die Verkehrsunternehmen richten ihr Angebot aber nun mal nach Fahrgastzahlen aus. Die Vestische, die die Linie 280 in früheren Zeiten bis Becklem und Henrichenburg betrieb, hat das schon vor langer Zeit eingestellt. Laut Norbert Konegen, Pressesprecher der Vestischen, „findet sich zu dieser Linie auch nur ein einziger Hinweis aus dem Jahr 1972 in den Akten“. Und Überlegungen, Henrichenburg/Becklem wieder anzufahren, gebe es nicht.

Das wurde positiv bewertet

Grünflächen/Radfahren: Becklem schneidet hier mit 10 Punkten ab. Der Schnitt in der Stadt liegt bei guten 9 (Europastadt im Grünen lässt grüßen) und bei 7 Punkten. „Ja, das kann ich verstehen. Raus und bewegen kann man sich hier. Ob wir jetzt mit den Kindern oder auch früher, als wir allein waren: Man geht irgendwie immer raus, bei Wind und bei Wetter. Selbst im Winter kann man die Kinder mal eben dazu bringen, schnell zu dem kleinen Bach, den wir hier haben, zu gehen“, erzählt Julia Hötting.

In Becklem wohnt man grün. Der Kanal ist nicht weit, an dem man herrlich Rad fahren kann.

In Becklem wohnt man grün. Der Kanal ist nicht weit, an dem man herrlich Rad fahren kann. © Thomas Schroeter

Nicht umsonst habe man zudem jede Menge Kinderfahrzeuge in der Garage stehen. „Damit sind die Kinder ständig unterwegs.“ Und Radfahrer sieht man tatsächlich ständig, wenn man sich in und rund um Becklem bewegt. Wirtschaftswege und der nahe Kanal laden dazu einfach ein.

Sauberkeit: Mit 9 Punkten liegt Becklem über dem Durchschnitt (7).

Ärztliche Versorgung: Die wird mit 8,5 Punkten höher bewertet als im Stadtvergleich (8 Punkte). Das ist durchaus erstaunlich, denn in Becklem gibt es, wie Julia Hötting bestätigt, nicht einen einzigen Arzt und auch keine Apotheke. Aber wie in vielen anderen Bereichen ist man dabei von Becklem aus sehr an Henrichenburg angebunden. Und dort ist die ärztliche Versorgung auch aus Sicht der Henrichenburger einwandfrei (9 Punkte).

Das wurde negativ bewertet

Angebote für Jugendliche: Da wird Becklem von seinen Einwohnern mehr als dürftig bewertet. Schon stadtweit gibt es in dieser Kategorie nur 5 Punkte, Becklem vergibt da sogar nur 3 Punkte. Für Julia Hötting komplett nachvollziehbar: „Hier ist ja auch nichts.“ Es gibt kein Jugendzentrum und auch in den Henrichenburger Kirchengemeinden weiß sie von Jugendarbeit nichts. „Früher ist man ja nach Kommunion zur Messdienerei gekommen und dann gab es zu meiner Zeit auch noch Angebote für Jugendliche. Ich weiß noch, dass wir dann immer ins Kolbe-Haus sind, mich da mit meinen Freunden zur Disco oder zum Kickern getroffen habe.“ Das sei aber auch schon Henrichenburg gewesen. In Becklem gab es nichts und gibt es nichts.

An diese Schilder an der Beckumer Straße halten sich nur wenige Verkehrsteilnehmer. Zu günstig kann  man hier die B 235 umgehen.

An diese Schilder an der Beckumer Straße halten sich nur wenige Verkehrsteilnehmer. Zu günstig kann man hier die B 235 umgehen. © Thomas Schroeter

Verkehrsbelastung: Die Verkehrsbelastung insgesamt kommt in Becklem gut weg, schließlich liegt man im Außenbereich. So bekommt das Dorf hier insgesamt 8 Punkte, die Gesamtstadt nur 7. Ganz anders sieht es aber in Einzelbereichen aus: So etwa, wenn es um die Becklemer Straße geht, die für viele als Ausweichstrecke zur ständig überlasteten B 235 in Richtung Waltrop/Datteln missbraucht und auf der auch gern zu schnell gefahren wird. Das sieht auch Julia Hötting so: „Das ist wirklich nicht schön, was auf der Straße, die zum Teil ja sogar eine Spielstraße ist und nur von Anliegern befahren werden darf, los ist. Da kann ich es total nachvollziehen, wenn sich die Menschen, die da wohnen, aufregen und beschweren.“

Angebote für Senioren: Ähnlich wie bei den Angeboten für Jugendliche fällt hier die Wertung mit nur 4 Punkten mau aus (stadtweit 6 Punkte). Und auch hier gilt: Die Punktzahl ist nachvollziehbar, denn es gibt in Becklem nun mal keine Angebote für ältere Menschen. Es gibt keine Kirchengemeinde, es gibt keine Senioreneinrichtung.

Stadtteilchronik

Bauerschaft im äußersten Nordwesten der Stadt
Der Ortsteil Becklem auf einem Luftbild von 1952. Unten die A2, rechts der Kanal, oben die Heidestraße.

Der Ortsteil Becklem auf einem Luftbild von 1952. Unten die A2, rechts der Kanal, oben die Heidestraße. © Quelle RVR/regioplaner.de

  • Historisch gesehen gehört die Bauerschaft Becklem zu Henrichenburg. Die Äcker und Wiesen im äußersten Nordwesten der Stadt wurden im 19. Jahrhundert besiedelt.
  • Becklem hat heute die Struktur einer kleinen Siedlung, die durch die A 2 und durch den Rhein-Herne-Kanal vom Hauptort Henrichenburg getrennt wird
  • Becklem wurde gemeindsam mit Henrichenburg erst im Jahr 1975 in die Stadt Castrop-Rauxel eingemeindet.
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