„Herr Andreas“ musste an der Langen Straße arbeiten Jetzt kämpft er gegen Fremdenfeindlichkeit

Andreas Trzaska musste tausend Stunden helfen: Jetzt will er nicht mehr aufhören
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Wenn Andreas Trzaska in seinem Heimatstadtteil Ickern mit sechs anderen Menschen zusammensteht, zählt er immer ab. Der siebte ist ein potenzieller AfD-Wähler. Gut 14 Prozent der Stimmen konnte die Partei bei der vergangenen Bundestagswahl im September 2021 einfahren.

„Aber es gibt ja keiner zu. Will ja keiner gewesen sein“, sagt Trzaska. Ihn stört das. Fremdenfeindlichkeit, Hass auf Menschen, die in Deutschland Sicherheit suchen, das kann und will er nicht tolerieren. Warum? „Das war schon immer so.“

In seinem Beruf habe ihm das manchmal im Weg gestanden, nimmt er an. Er war in leitender Position bei der Bundespost tätig. Seit 1.8.2020 hat er einen anderen Job. Einen, den er zuerst machen musste, den er aber nun nicht aufgeben will.

Er war 58 Jahre, als sein Arbeitgeber ihm den Vorruhestand vorschlug. Die Bedingung: 1000 Stunden gemeinnützige Arbeit. Das schreibt das Postpersonalgesetz vor.

„Das, was ich jetzt mache, ist Lichtjahre von dem entfernt, was ich früher gemacht habe“, sagt der heute 60-Jährige. Er hilft Menschen, die aus anderen Ländern nach Castrop-Rauxel kommen. Er ist der Ansprechpartner im Quartiersbüro Habinghorst an der Langen Straße.

Behördengänge, Anträge, Ärger mit dem Vermieter, dem Stromanbieter oder die Suche nach einem Job – Andreas Trzaska ist für die Menschen da, die Hilfe suchen.

Preisverleihung

Beim Jahresempfang der Stadt Castrop-Rauxel wurde er am 25. Februar für sein Engagement geehrt. Er bekam den Ehrenpreis in der Kategorie Gesellschaft und Kultur verliehen. Gerechnet hatte Andreas Trzaska damit nicht. „Der Preis ist nicht für mich, der ist für alle“, sagt er bescheiden.

Mit „alle“ meint er das Team des Quartiersbüros: Luidmyla Svitelska und Alina Drescher, sie ist die Leiterin des Büros und Integrationsmanagerin bei der Stadt.

Luidmyla Svitelska, Andreas Trzaska und Alina Drescher (v.l.n.r.) stehen im Eingang des Quartiersbürps an der Langen Straße.
Das Team des Quartiersbüros an der Langen Straße: Luidmyla Svitelska, Andreas Trzaska und Alina Drescher (v.l.n.r.). © Lydia Heuser

Die 1000 Pflichtstunden hat Andreas Trzaska längst abgeleistet. Er winkt ab: „Irgendwann habe ich mir die Stunden auch gar nicht mehr aufgeschrieben.“ Er engagiert sich aus Überzeugung.

Für die Menschen, denen er hilft, ist er „Herr Andreas“. Dienstags und donnerstags hat das Büro Sprechzeiten, von 14 bis 16 Uhr beziehungsweise von 15 bis 17 Uhr. Dann stehe schon immer eine Traube von Menschen vor der Tür.

„Herr Andreas“ ist aber nicht nur im Büro im Einsatz. Er geht auch mit zu Behörden, zur Krankenkasse, hilft bei den bürokratischen Hürden, schreibt Bewerbungen.

Es gibt viele Erfolgsgeschichten, die „Herr Andreas“ zu erzählen hat. Zum Beispiel von dem jungen Syrer, der jetzt Busfahrer ist. Oder der Akademikerin aus Armenien, die in Deutschland lieber was mit Menschen machen wollte und unbedingt Verkäuferin lernen wollte.

„Die Menschen hinter den Dingen sehen, das ist nie verkehrt“, sagt Trzaska. „Die Luidmylas dieser Welt sind ganz normale Leute.“ Dass es die Auszeichnung gegeben hat, das findet er wichtig und richtig. „Wir müssen Flagge zeigen.“ Denn dass jeder siebte eine Partei gewählt hat, die mit fremdenfeindlichen Parolen glänzt, das ist ein schlechtes Signal für Ickern und letztlich für Castrop-Rauxel.

Schon mehrfach ist das Quartiersbüro umgezogen. Begonnen hat alles gegenüber des „Problemhauses“, Nummer 107. Dann ging es über die Jahre immer weiter in Richtung B235.

Lisa Kapteinat von der SPD und die nun Erste Beigeordnete Regina Kleff halfen, den jetzigen Standort in Haus Nummer 48 zu finden. Hier ist tagsüber eine Kita untergebracht.

„Wir wollen weitermachen, solange wir dürfen“, sagt „Herr Andreas“ zu den Zukunftsplänen. Die Erdbebenwelle der Menschen aus der Türkei und Syrien stehe erst noch bevor, prognostiziert er. Dann werden wieder Menschen Hilfe suchen und bekommen.

Denn aufhören will Andreas Trzaska nicht. „Die meisten Menschen, die hierherkommen, haben alles verloren. Da muss man helfen.“

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