Extremismus-Experte zu AfD-Wählern „Unterstützen Partei, die im Zweifel Freunde deportieren will“

Experte über AfD-Wähler: „Da ist viel Vertrauen verloren gegangen“
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In Castrop-Rauxel haben die jüngsten Wahlergebnisse für Aufsehen gesorgt: Die AfD erreichte beachtliche 17,5 Prozent der Stimmen, in einigen Wahlbezirken wurde sie sogar stärkste Kraft. Doch was bewegt über 5800 Bürgerinnen und Bürger dazu, ihre Stimme einer teils als rechtsextrem eingestuften Partei zu geben? Dieser Frage sind wir nachgegangen und haben dazu eine anonyme Umfrage initiiert. Sie ist nicht repräsentativ, aber mittlerweile haben über 100 Menschen teilgenommen. Um die Hintergründe besser zu verstehen, haben wir die Expertise von Professor Dierk Borstel eingeholt. Der Rechtsextremismusforscher von der Fachhochschule Dortmund hat sich die Statements der Teilnehmer angeschaut.

Dierk Borstel betont, dass die Umfrage nur ein Stimmungsbild ist: „Diese kleine Umfrage lässt sich methodisch natürlich leicht zerlegen – aber ich finde die Antworten trotzdem spannend. Es zeigen sich mehrere Erklärungen, die sich mit dem Forschungsstand decken.“ Viele Teilnehmer haben davon geschrieben, wie frustriert sie von den Alt-Parteien sind: „Deutlich wird, dass den demokratischen Parteien von den Grünen bis zur CDU nicht zugetraut wird, die für diese Menschen wichtigen Themen konstruktiv zu bearbeiten.“

AfD füllt eine Leerstelle

Teilweise haben sich die Teilnehmer Dinge gewünscht, die sich mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren lassen oder die offen rassistisch sind. Aber nicht jeder Wunsch der AfD-Wähler ist verfassungswidrig. Im Gegenteil: „Aber es gibt auch offene Bedürfnisse z. B. nach konkreter Sicherheit im Wohnort, nach bezahlbaren Mieten usw. Viele haben nicht das Gefühl, dass die demokratischen Parteien diese Bedürfnisse ernst nehmen. Sie fühlen sich von ihnen nicht mehr verstanden und abgeholt. Sie bestreiten auch ihre Glaubwürdigkeit.“

So schreibt beispielsweise ein Teilnehmer auf die Frage, warum er oder sie die AfD gewählt hat: „Weil keine andere Partei sich für die Bürger einsetzt. KEINE.“ Dierk Borstel stellt fest: „Da ist viel Vertrauen verloren gegangen und diese Leerstelle füllt die AfD jetzt aus.“

Unterschiedliche Reaktionen

Wir haben die Teilnehmer auch gefragt, ob es sie stört, dass die AfD ein rechtsextremistischer Verdachtsfall ist. Hier sei das Bild nicht so eindeutig, meint Dierk Borstel: „Das habe ich in den Antworten unterschiedlich wahrgenommen. Einigen ist es völlig egal, andere verweisen bei den anderen Parteien auf fehlende Abgrenzungen zur linken Militanz und sprechen ihnen auch hier die Glaubwürdigkeit ab. Wieder andere folgen der AfD Argumentation und halten die Einstufung für politisch motiviert.“

Es gibt aber noch eine Gruppe von AfD-Wählern, die in der Berichterstattung manchmal unterrepräsentiert ist: „Spannend fand ich einige migrantische Stimmen: Sie haben merklich mit sich gekämpft, ob sie den Rassismus der Partei ignorieren können. Einige kritisieren die Unterstützung von Flüchtlingen und dabei zeigen sich die eigenen Kränkungen, solche Unterstützungen selbst nicht bekommen zu haben.“

Keine Selbstkritik

Trotz der unterschiedlichen Angaben aus denen Menschen die AfD gewählt haben, stehe am Ende ein großer Punkt im Raum: „Alle müssen sich aber fragen lassen, ob es ihr jeweiliger Protest, Frust und Vertrauensverlust rechtfertigt, Parteien zu unterstützen, die im Zweifel den eigenen Freund oder Nachbarn deportieren wollen. Solche selbstkritischen Gedanken finde ich nicht.“

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