Das Fußball-Wunder des VfL Bochum Unfassbarer Abend für fünf Männer im Brauhaus Rütershoff

Fußball-Wunder von Düsseldorf: Unfassbarer Abend für VfL-Fans im Brauhaus
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Es ist 23.17 Uhr. In Düsseldorf legt sich Takashi Uchino im rot-weißen Fortuna-Trikot den Ball auf dem Elfmeterpunkt zurecht. Im Castrop-Rauxeler Brauhaus Rütershoff legt Willi Bols seine Hände auf den Tisch vor ihm und fixiert mit den Augen den Fernseher. Sekunden später liegt sich der VfL-Bochum-Fan mit vier Kumpels in den Armen, hebt seine Brille vom Boden auf: Uchino hat verschossen. Der VfL Bochum schafft das Wunder von Düsseldorf. Die fünf Fans in der Kneipe sind glückselig. Fünf?

Castrop-Rauxel ist voller Fußballfans. Viele von ihnen fiebern schon dem Wochenende entgegen: Dann steht Borussia Dortmund im Champions-League-Finale von London gegen Real Madrid. Tausende gehören zum Schwarz-Gelben Lager.

Hunderte Dauerkarteninhaber und Vereinsmitglieder des FC Schalke 04 leben in Castrop-Rauxel. Aufkleber des Gelsenkirchener Traditionsclubs mit der riesigen Anhängerschaft prangen an vielen Auto-Hecks mit CAS-Kennzeichen, blau-weiße Fahnen wehen in Kleingärten. Die Europastadt ist in Sachen Fußball eine geteilte Stadt.

Am nächsten aber liegt der VfL Bochum: Wer sich in Castrop-Altstadt aufs Fahrrad setzt, steht in einer halben Stunde vor dem Bochumer Ruhrstadion. Der Bundesligist aber fristet ein Nischendasein: Es gibt sie, die VfL-Fans in Castrop-Rauxel. Doch sie sind in der Minderheit.

Das wird Montagabend (27.5.2024) überdeutlich, als wir im Brauhaus Rütershoff fünf VfL-Fans antreffen. Sie haben sich zum Fußballgucken verabredet. Es steht ein Spiel auf dem Spielplan, das die nähere Zukunft des VfL Bochum von 1848 maßgeblich bestimmt. Es geht um den Klassenerhalt. Gegner ist Fortuna Düsseldorf. Auswärts. Es ist das Abstiegs-Endspiel.

Am Donnerstag zuvor war das Thema für viele eigentlich schon abgehakt: Da verlor der Drittletzte der Bundesligasaison sang- und klanglos das Relegations-Hinspiel gegen den Dritten der 2. Liga. 0:3 nach 90 Minuten: Bochumer Fans und Verantwortliche waren da schon im Tal der Tränen. Am Montag aber erlebten sie doch das niemals für möglich gehaltene Fußballwunder von Düsseldorf.

Castrop-Rauxeler Fans des VfL Bochum erleben im Brauhaus Rütershoff das Elfmeterschießen und das Relegations-Wunder von Düsseldorf.
Castrop-Rauxeler Fans des VfL Bochum erleben im Brauhaus Rütershoff das Elfmeterschießen und das Relegations-Wunder von Düsseldorf. © Tobias Weckenbrock

Niemals für möglich gehalten? Falsch. Martin Janicki sagt: „Wenn wir früh mit 1:0 in Führung gehen und so in die Halbzeit gehen, dann ist noch was drin.“ Er ist leidenschaftlicher Fußballer beim SV Wacker Obercastrop, Dauerkarten-Inhaber beim VfL. Der Schal hängt locker über seinen Schultern. Er trinkt ein Dunkles aus dem Brauhaus, eines der Castroper Biere, die man bei Rütershoff vom Fass bekommt. Neben ihm Willi Bols und drei weitere Fans aus Castrop-Rauxel. Vor ihnen auf dem Tisch steht ein mittelgroßes blauweißes Segelschiff mit VfL-Aufschrift. Bochum in Seenot?

Gewiss nicht: Philipp Hofmann trifft nach 18 Minuten zum 1:0 für den VfL. Die Hoffnung ist wach bei den Männern. Die Nerven sind gespannt wie ein Flitzebogen. Immer wieder legt Willi Bols sein Gesicht in die Hände, kratzt sich über die Haare, kann nicht hinschauen auf den großen Fernseher in der Stammkneipe. Nicht alle sind so zuversichtlich wie Janicki.

Willi Bols kann es kaum ertragen: Der Obercastroper gehört zu den eingefleischtesten VfL-Fans in Castrop-Rauxel.
Willi Bols kann es kaum ertragen: Der Obercastroper gehört zu den eingefleischtesten VfL-Fans in Castrop-Rauxel. © Tobias Weckenbrock

Doch der behält recht: Wieder Hofmann ist es, der in der 66. Minute das 2:0 erzielt. Wird das hier wirklich noch wahr? Minuten später: Der Ball springt im Strafraum an den abgewinkelten Arm von Fortuna-Spieler Matthias Zimmermann. Der Schiedsrichter gibt Elfmeter. Den verwandelt Kevin Stöger zum 3:0. Der Jubel kennt keine Grenzen. Im Stadion rasten Tausende Fans aus, im Brauhaus sind es fünf.

Es geht in die Verlängerung. Keine Tore. Es geht ins Elfmeterschießen. Eine Lotterie, in der man in Castrop-Rauxel ganz auf Luthe vertraut: Das ist der Schlussmann Andreas, der erst vor wenigen Tagen ins Tor des VfL rückte, weil der Stammtorwart Manuel Riemann aufgrund seines mannschaftsinternen Verhaltens suspendiert wurde. Doch aus dem Krisen-Club wird wenig später noch der Comeback-Club.

„Nie mehr 2. Liga“ singen die fünf Bochum-Fans und tanzen im Kreis. Ihr Club bleibt nach dem Wunder von Düsseldorf erstklassig.
„Nie mehr 2. Liga“ singen die fünf Bochum-Fans und tanzen im Kreis. Ihr Club bleibt nach dem Wunder von Düsseldorf erstklassig. © Tobias Weckenbrock

Die fünf Männer schreien sich warm, singen sich Mut zu und werden dann ganz still. Der Düsseldorfer André Hofmann verschießt den ersten Strafstoß. Doch es bleibt eng, weil auch Erhan Masovic für den VfL als dritter Schütze nicht trifft. Dann sind alle Elfer drin, bis Takashi Uchino den Ball über die Querlatte jagt.

Die Fans springen im Kreis, fallen sich in die Arme, jubeln und singen. „Nie mehr 2. Liga“ erklingt im Brauhaus Rütershoff. Der VfL bleibt erstklassig. Und was ist mit den fünf Fans? Wäre es hier der BVB oder Schalke 04 gewesen, dann hätte es vielleicht einen Autokorso am Engelsburgplatz gegeben. Dafür sind Fünfe zu wenig und das Bier zu viel.

Vier von ihnen steigen in ein Taxi. Sie fahren nach Bochum und feiern die ganze Nacht im Bermuda-Dreieck.

Zwischen Bangen und Feiern: das Elfmeterschießen aus der Kneipe im Video auf rn.de/castrop