Zu Besuch bei den Münchner Borussen: So fühlt es sich an, als BVB-Fan in München zu leben
Borussia Dortmund
Es gibt Städte, in denen sind BVB-Fans nicht gerne gesehen. Gelsenkirchen ist so eine, aber auch München. Eine Reportage über das Revierderby bei den Münchner Borussen - samt Zwieback und Scheidung.

Die "Münchner Borussen" vor ihrer Stammkneipe dem "Wirtshaus zum lustigen Bauern". © Lukas Wittland
„Spielen die eine Rotze“, flucht ein BVB-Fan in der 15. Minute der zweiten Halbzeit. Andere Schwarzgelbe in der Kneipe stimmen zu. Wer ihrer Meinung nach „Rotze spielt“ sind ihre Dortmunder Borussen - ausgerechnet im Derby gegen Schalke.
Ein Bild, das sich so wahrscheinlich in vielen Dortmunder Kneipen am vergangenen Samstag abgespielt hat. Doch diese Fans passen eigentlich nicht hierhin. Was hier hingehört sind die Autos mit Münchener Kennzeichen vor der Tür und der Fernsehturm, den man die Straße herunter sehen kann, der eben nicht der Florianturm ist, sondern der im Münchener Olympiapark.
Der Präsident der „Münchner Borussen“ kommt aus Potsdam
Das Spiel gegen den ärgsten Rivalen schauen sie im selbst gewählten Exil - und wenn man die manchmal zur Polemik neigende Fußballsprache bedienen möchte: Im Zentrum des tiefroten Feindeslands.
Denn sie sind Mitglieder eines Fanclubs, der auf den ersten Blick schon einen Widerspruch im Namen trägt. Sie sind die "Münchner Borussen".
Karsten Mundo ist der Präsident dieses Fanclubs. Eigentlich kommt der 38-Jährige aus Potsdam. In der Jugend spielte er Fußball bei Stahl Brandenburg, wo auch Steffen Freund früher gegen den Ball getreten hatte. Als er ihn im Trikot vom BVB wieder sah, wurde er Fan des Vereins, erzählt er am Samstag bei einem Kippchen vor dem Derby.

Sharon Karow, Karsten Mundo und Stefan Budde vor dem Derby. © Lukas Wittland
Bei den beiden anderen am Tisch ist die Liebe zum BVB zumindest örtlich gesehen naheliegender. Stefan Budde kam 2005 aus Dortmund-Dorstfeld. Sharon Karow aus Castrop-Rauxel. Jetzt also München. Das bringt als BVB-Fan schon ein paar Besonderheiten mit sich:
Extra mit einer anderen Bahn unterwegs, wenn Bayern spielt
Weil die Bayern gleichzeitig ein Heimspiel haben, hat Karow auf dem Weg zur Kneipe, extra eine andere Bahn genommen. "Die ganzen Roten sind dann immer in der U6. Das vermeide ich dann schon", sagt die 30-Jährige.
Ein Bayern-Fan habe auf dem Weg gegen die Scheibe der U-Bahn gespuckt, als er sie als BVB-Fan erkannt habe.

© picture alliance / Tom Hevezi/EP
"Die beiden Meisterschaften haben den Stachel tief reingetreten", erklärt Budde. "Hätten wir 2013 auch noch das Champions League Finale gewonnen, würden die uns richtig hassen", glaubt er.
"Die sehnen sich hier auch nach einer gewissen Rivalität. 1860 spielt in der dritten Liga und sonst gibt es in der Nähe keine ernsthafte Konkurrenz."
Mit einem Dortmunder Banner auf dem Marienplatz in München
Ein bisschen Provokation lassen sich die "Münchner Borussen" da nicht nehmen. Als Dortmund Meister wurde, hätten sie das mit ihrem Banner auf dem Marienplatz gefeiert, sagt Budde - also dort, wo die Bayern ihren Fans sonst Jahr für Jahr die Schale präsentieren.
"Ein bisschen schmutzig muss es ja auch sein, sonst macht es keinen Spaß", findet der 40-jährige.
Ein paar mal habe es aber auch schon Ärger gegeben, als sie bei Auswärtsspielen vom BVB in München mit der S-Bahn zum Stadion fuhren. Dem versuchen sie aus dem Weg zu gehen. Deshalb werden sie in zwei Wochen, wenn der BVB in München gastiert, wie in den vergangenen Jahren auch, wieder mit einem Reisebus fahren.
"Die Spiele in München sind natürlich immer etwas Besonderes, vor allem auch weil da immer viele von uns können", sagt Karow "Das Derby ist aber eigentlich wichtiger."
Schwarzgelber Farbklecks unweit des Olympiaparks.
15 Fanclub-Mitglieder sind dafür nach Gelsenkirchen gefahren. Und ins "Wirtshaus zum lustigen Bauern", der Stammkneipe des Fanclubs kommen auch einige Borussen - einer von ihnen offensichtlich direkt von der Arbeit: Den schwarzgelben Fleece-Pulli der deutschen Post wechselt er gegen ein Trikot. Die Farben bleiben die selben.

Der Fanclub darf seine Utensilien in der Kneipe von Dimo Katsikas aufhängen. © Lukas Wittland
In der Kneipe sind knapp über 100 Menschen. Die meisten von ihnen tragen schwarzgelb. Auch die Bedienungen. Seit Anfang der Saison schauen sie die Spiele im "Zum lustigen Bauern".
Die Kneipe liegt unweit des Olympiaparks, die Straße herunter ist das BMW-Werk. Vorher hatten sie ihre Kneipe mitten in der Münchener Innenstadt am Sendlinger Tor.
„Da gibt es schon Vorbehalte gegen uns Dortmund-Fans“
Der Chef war Löwen-Fan, musste seinen Laden aber dicht machen. "Und dann find mal etwas Neues in München. Da gibt es schon Vorbehalte gegen uns Dortmund-Fans", sagt Mundo. "Dabei sind die Münchener selbst klassischerweise eher 1860-Fans." Am Ende findet der Fanclub seine neue Heimat im "lustigen Bauern".
"Da sind wir auch echt froh drüber, die akzeptieren uns hier richtig." Den Nebenraum, in dem das Spiel auf einer Leinwand gezeigt wird, darf der Fanclub für die Partien mit seinen Bannern schmücken.
Eine Nachbildung der schwarzgelben Totenkopf-Choreo verdunkelt dann die Fenster. In der Kneipe liegen BVB-Sticker zum Mitnehmen aus. Dabei ist der Wirt, Dimo Katsikas, Bayern-Fan.
„Borussia“-Rufe unter bayrisch blau-weißen Girlanden
Über sich selbst sagt der 54-jährige: "Ich habe vier Pässe: den deutschen, den griechischen, den schwäbischen und den bayrischen." Über die "Münchner Borussen" sagt er: "Das sind alles coole Leute."
Einen Makel hätten sie natürlich, sagt er und grinst: "Sie sind halt Dortmund-Fans, da kann man nichts machen." Freunde hätten ihn gefragt, ob er übergelaufen wäre. "Aber das ist natürlich Quatsch. Das ist halt auch eine ökonomische Überlegung. Die machen mir den Laden voll."

Spielt der BVB in München wird Wirt Dimo Katsikas sein Poloshirt gegen ein Bayern-Trikot tauschen. © Lukas Wittland
Anpfiff: "Borussia Borussia"-Rufe erklingen in der Kneipe unter deren Decke bayrisch blau-weiße Girlanden hängen.
Jetzt ist 90 Minuten Derby. Alle sind heiß. Im Laufe des Spiels wird es im vollen Laden immer wärmer und auch die Stimmung heizt sich, ob der lustlos wirkenden Spielweise der Borussen auf. "So kannst du in einem Derby doch nicht auftreten", ruft jemand.
Der Fanklub gründete sich im Jahr 2010
Als die Borussen mal wieder einen Fehlpass spielen, mischt sich im Raum ein westfälisch gefluchtes "Meine Fresse" mit einem bayrischen "So ein Schmarrn".
Die Mitglieder des Fanclubs kommen aus allen Ecken Deutschlands. Viele sind aus beruflichen Gründen in München. "Wir haben sogar etwas ganz Seltenes", sagt Mundo. "Einen Saarländer."
Mundo selbst ist damals der Liebe wegen nach München gezogen. Die hielt nicht, aber er blieb. Im Internet fand er in den "Münchner Borussen" Menschen, die seine andere Liebe teilten, guckte mit ihnen Fußball und wurde Mitglied. Da gab es den Fanclub schon ein paar Monate. Am 10.10.2010 - ein Datum, an dem andere heiraten - gründete er sich offiziell.
"Mittlerweile sind daraus richtige Freundschaften entstanden"
"Wir kannten uns alle vorher nicht, mittlerweile sind daraus aber richtige Freundschaften entstanden", sagt Mundo.
"Das Schöne ist, dass hier wirklich der komplette Querschnitt vertreten ist. Es spielt keine Rolle, welche Nationalität, welchen Beruf oder welche Beeinträchtigung jemand hat. Wir sind halt alle Borussen", ergänzt Budde.
Am Anfang wären sie von anderen Fanclubs kritisch beäugt worden. "Ach die Münchner, das sind die Erfolgsfans, hieß es da", sagt Mundo. Dabei seien eigentlich alle schon deutlich länger als 2010 BVB-Fans. In den Meisterjahren seien aber einige Mitglieder dazugekommen. 180 Mitglieder seien es da gewesen. "Das war Käse, wir haben deshalb auch abgespeckt." Jetzt sind es noch 103.
Zwieback und Scheidungen
Budde hat seit 22 Jahren eine Dauerkarte für das Westfalenstadion, Mundo fast genauso lange. Meistens fährt er auch auswärts mit. "Die internationalen Spiele und die DFB-Pokalspiele sehe ich eigentlich alle im Stadion", sagt er. Vergangene Woche waren sie mit 37 Leuten in Mailand. "Das ist ja für uns sogar näher als nach Dortmund."
Auf dem Fernseher wird eine BVB-Anhängerin neben einem Schalke-Fan gezeigt. "Mädel, lass dich lieber scheiden", ruft einer seine Beziehungstipps in den Raum. Es ist der gleiche, der sich später über Julian Brandt ärgert, als dieser einen Ball vertendelt: "Ey Zwieback, was war das denn?"
Wie er zu diesem Spitznamen kommt? Wegen der Namensgleichheit zur bekannten Zwieback-Marke, aber natürlich auch, weil er aussehe wie der Junge auf der Verpackung, erklärt der Mann. Logisch.
In zwei Wochen kommt es zum großen Aufeinandertreffen
Dann ist das Spiel vorbei. 0:0. "Da können wir noch froh sein", konstatiert Budde knapp. In zwei Wochen geht es dann gegen die Mannschaft, die es sich die vergangenen sieben Jahre ganz oben gemütlich gemacht hat, bis auf vergangene Saison weit entfernt vom Rest der Liga, weich gebettet auf einem fetten samtig-roten Punktepolster. Dann spielt der BVB auswärts gegen Bayern.
Für die "Münchner Borussen" ist es ein Heimspiel. Die Bedienungen im "lustigen Bauern" werden dann übrigens nicht schwarzgelb tragen und Wirt Katsikas tauscht sein Poloshirt gegen ein Bayern-Trikot. Die meisten der "Münchner Borussen" sind aber ohnehin im Stadion.