Zu Besuch bei BVB-Gegner Sportfreunde Lotte
Pokalschreck aus Liga drei
Keine Angst vor großen Namen! Der Drittligist aus Lotte will im Duell mit dem Branchenriesen aus Dortmund für den nächsten Pokal-Coup sorgen. Für die eher filigran veranlagte Borussia wird die Partie auf dem holprigen Rasen zu einem Charaktertest. Wir haben dem Außenseiter kurz vor dem Pokal-Kracher einen Besuch abgestattet.

Schon drei Pokalsensationen hat das Frimo Stadion in Lotte erlebt - auch heute setzen Koch Hakki Hamidanoglu und Spieler Tim Wendel (r.) auf den Heimvorteil.
Heute um 17.45 Uhr wird Hakki Hamidanoglu, den in Lotte alle einfach nur mit dem Vornamen Hakki rufen, das tun, was er immer tut, wenn die Sportfreunde Lotte ein Heimspiel haben. Er wird die Tür seiner Pizzeria Soave in der Bahnhofstraße abschließen und das Geschlossene-Gesellschaft-Schild dranhängen. Er wird über 30 Portionen Nudeln mit Pesto und Tomaten-Sahne-Soße servieren. Und er wird zu seinen Gästen so etwas sagen wie: „Egal, wie das Spiel ausgeht, für mich seid ihr alle Gewinner.“
Der Erfolgskoch
Hakki ist, wenn man so will, der Erfolgskoch der Sportfreunde Lotte. Vor jedem Heimspiel kommt die Mannschaft bei ihm vorbei. Immer drei Stunden vor Anpfiff wird gegessen, immer kommt das Gleiche auf den Teller: Nudeln mit Pesto und Tomaten-Sahne-Soße eben. „Penne à la Aufsteiger“, nennt der 36-Jährige sein Erfolgsrezept. Für die Auswärtsfahrten gibt er dem Drittligisten Reiseproviant in Aluschalen mit in den Mannschaftsbus. Wenn Hakki davon erzählt, klingt es wie bei einer fürsorglichen Mutter, die ihrem Sohn im ersten Semester an der Uni Tupperdosen voll Essen zusteckt, weil sie Angst hat, dass der Junge sonst vom Fleisch fällt.
Am vergangenen Sonntag wirkt das alles noch weit weg. Es ist kurz nach eins am Mittag. Die Pizzeria Soave öffnet heute erst um 17 Uhr. Sonntags-Mittagstische in Lotte sind kein Kassenschlager, das Dorf ist wie leer gefegt. Von Vorfreude auf den BVB oder gar Pokal-Viertelfinal-Euphorie ist in der 14.000-Einwohner-Gemeinde nichts zu spüren, geschweige zu sehen.
Theke mit Autogrammkarten dekoriert
Hakki sitzt in seinem Laden und raucht. An der Wand hängt ein Mannschaftsfoto der Sportfreunde Lotte aus der Saison 2013/2014, an der Kasse ein Schal des Klubs. Die Theke ist mit Autogrammkarten dekoriert. Die Namen der Berühmtheiten, die hier ihre Grüße hinterlassen haben, kennen vermutlich schon im zehn Kilometer entfernten Osnabrück nur noch die Wenigsten: Matthias Rahn, Tim Wendel, Jaroslav Lindner oder Marcel Kaffenberger. Dafür lesen sich die Botschaften herzlich und persönlich. „Für meinen Freund Hakki“ und „für den besten Pizzabäcker der Welt“ steht dort gekritzelt.
Einer der Autogrammschreiber hängt nicht nur an der Theke rum, er sitzt auch gerade bei Hakki am Tisch. Tim Wendel ist auf einen Kaffee vorbeigekommen. Zum Quatschen vor dem Training, das um 16 Uhr beginnt. Er mache das häufiger, sagt der defensive Mittelfeldspieler, viele seiner Mitspieler handhabten das so. Der 28-Jährige spielt sein viertes Jahr in Lotte, hat im vergangenen Sommer den Aufstieg aus der Regionalliga West in die 3. Liga gefeiert und diese Saison fleißig am Pokalmärchen der Blau-Weißen mitgebastelt. „Hakki kocht nicht nur für uns“, erklärt Wendel, „er ist ein Freund, er gehört zur Mannschaft dazu, auch wenn er keinen offiziellen Posten im Verein hat.“
"Ein sehr wichtiger Faktor"
Denn für die Spieler der Sportfreunde steht Hakkis Tür rund um die Uhr offen. Was sind schon Öffnungszeiten, wenn man den Erfolg des Lieblingsklubs aktiv mitgestalten kann? Und geschlossene Gesellschaften sind in der Pizzeria Soave ja sowieso irgendwie eher die Regel als die Ausnahme. Seit sechs Jahren läuft das jetzt so. „Hakki ist ein sehr wichtiger Faktor“, sagt auch Trainer Ismail Atalan, „er tut alles für uns, er ist immer für uns da. Er ist ein Fußballverrückter im positiven Sinn. Wir sind froh, dass er uns unterstützt.“
Der Erfolgscoach weiß natürlich, dass es nur mit Penne in Tomatensoße vom Erfolgskoch nicht getan ist. Und nur mit Penne in Tomatensoße gewinnt man auch nicht gegen Bremen, Leverkusen und 1860 München. Dennoch legt Atalan viel Wert auf das familiäre Umfeld am Autobahnkreuz Lotte/Osnabrück. Bei den Sportfreunden setzt sich Obmann Manfred Wilke auch mal selbst auf den Rasenmäher oder der Vorsitzende Hans-Ulrich Saatkamp greift persönlich zur Schneeschippe, wenn es halt sein muss.
"Wir müssen elf Gönner sein"
Seine Mannschaft brauche diese Nähe „zueinander, aber auch zum Dorf“, meint der 36-Jährige, der sich in nur sieben Jahren vom Kreisliga-A- zum Drittliga-Trainer hochgearbeitet hat und derzeit die Fußballlehrer-Lizenz anstrebt. „Wir müssen keine elf Freunde sein, aber wir müssen elf Gönner sein.“ Was er damit meint? „Die Jungs müssen nicht zusammen in den Urlaub fahren, aber sie müssen sich untereinander alles gönnen.“
Über all das plaudert Atalan in seinem Trainerbüro. Ein kleines Zimmer neben der Geschäftsstelle im Frimo-Stadion. An der Wand hängen die Leistungsdaten seiner Spieler, auf dem runden Schreibtisch in der Mitte des Raumes stehen zwei aufgeklappte Laptops. Atalan und sein Trainerteam analysieren Spielszenen des BVB. Die Erkenntnisse sind schnell zusammengefasst: Dortmund sei „das Maximum“, gegen das man in Deutschland antreten könne, sagt der Deutsch-Türke, „nach Bayern München“.
Keine gängigen Floskeln
Trotzdem bereite er seine Mannschaft auf dieses Spiel genauso vor, wie auf ein Spiel im Westfalen-Pokal gegen Gütersloh. Atalan hält nämlich nichts von gängigen Floskeln wie „Bonusspiel“ oder „wir wollen das Spiel genießen“. Er sagt: „Wir wollen nicht genießen, wir wollen gewinnen.“ Deshalb sei der BVB kein Traumlos für ihn, er hätte lieber einen leichteren Gegner gehabt. Gleichwohl rechnet er sich Chancen aus, auch wenn er nicht müde wird zu betonen, dass es natürlich sehr unwahrscheinlich sei, dass seine Mannschaft ins Halbfinale einziehe.
Den wichtigsten Vorteil sieht Atalan beim Duell Lotte gegen Goliath in den Köpfen der Spieler: „Dortmund freut sich auf den Abpfiff, wir freuen uns auf den Anpfiff.“
Aberglaube und Geschäftstüchtigkeit
Auf den Anpfiff freut sich auch Hakki. Das Spiel schaut er nicht im Stadion, sondern in seiner Pizzeria. Der Grund dafür ist eine Mischung aus Aberglaube und Geschäftstüchtigkeit. Gegen Leverkusen und 1860 sei er nicht im Stadion gewesen, „vielleicht bringt das ja Glück“, sagt er und kratzt sich an seinem ergrauenden Bart. Außerdem habe er gehört, dass viele Dortmunder Fans nach Lotte kommen sollen. „Da muss der Chef im Laden sein.“
Nach dem Mannschaftsessen vor dem Match öffnet Hakki sein Lokal nämlich wieder für jedermann. Zumindest bis zum Abpfiff. Dann könnte die nächste geschlossene Gesellschaft des Tages auf ihn warten. Jedoch wohl eher ohne Nudeln, aber dafür mit viel Bier und lauter Musik. Je nach Ergebnis.