Wie Klubs den BVB beim Werben um Toptalente skrupellos ausstechen Der Fall Kendry Paez

Wie Klubs den BVB beim Werben um Toptalente skrupellos ausstechen: Der Fall Kendry Paez
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Im Fußballbusiness fallen häufiger Superlative als in den meisten Spielen Tore. Da ist Vorsicht geboten, umso mehr, wenn es sich bei dem beschriebenen Fußballer um einen 16-Jährigen handelt. Wenn allerdings in der Beraterszene der Begriff „Sensationsspieler“ fällt, bei Scouts die Bezeichnung „Megatalent“ hervorgeholt und derjenige in Klubkreisen von Borussia Dortmund als legitimer Nachfolger von Jude Bellingham gehandelt wird, scheint es um einen besonderen Kicker zu gehen. Wobei im Fall des jungen Ecuadorianers Kendry Paez in Verbindung mit dem BVB der Konjunktiv II die korrekte Form lauten müsste. Paez wäre als potenzielles Wunderkind in Dortmund gehandelt worden, wäre er denn zum BVB gewechselt.

Kendry Paez ist früh auf dem BVB-Radar

Vor etwas mehr als einem Monat ist Kendry Paez, ein offensiver Mittelfeldspieler, 16 Jahre alt geworden. Da hatte er bereits sein erstes Profispiel bestritten für seinen Heimatklub Independiente del Valle und natürlich auch gleich ein Tor geschossen. Beim Talente-Turnier „Next Generation Trophy“ in Österreich erhielt er die Trophäe als bester Spieler. Im April holte er mit Ecuadors U17 den zweiten Platz bei der Südamerikameisterschaft (acht Spiele, zwei Tore, sechs Vorlagen) und legte jetzt bei der U20-Weltmeisterschaft nach. Mit 16 Jahren und 22 Tagen avancierte er zum jüngsten Torschützen der Historie dieses Turniers. Bald soll er sein Debüt für die A-Nationalmannschaft der Südamerikaner geben. Bis er elf Jahre alt war, heißt es, habe er nur in der Schule Fußball gespielt.

Obwohl Borussia Dortmund Südamerika nicht als die präferierte Region für das Scouting ganz junger Talente benennen würde, fiel der zentrale Mittelfeldspieler den Spähern früh auf. Noch bevor er 15 Jahre alt war, kannte der BVB den 1,77 großen Jugendlichen, der es aufgrund seiner Physis und Gewandtheit früh mit erwachsenen Fußballern aufnehmen konnte. Paez geriet erst ins Blickfeld, dann in den Fokus. Dortmund machte ihm bereits 2022 Avancen, sprach auch mit dem Klub, wie Independiente-Geschäftsführer Santiago Morales lokalen Sendern bestätigte. Dass der BVB bereits alle persönlichen Verabredungen mit dem Spieler vereinbart hatte, lässt sich nicht nachweisen. Als gesichert gilt, dass die Borussia entschlossen war, Paez nach Möglichkeit zu verpflichten. So bald wie möglich.

Mize, Reyna und Pulisic als BVB-Beispiele

An dieser Stelle wird die Story kompliziert. Transfers von Spielern unter 18 Jahren über Kontinente hinweg sind gemäß Statuten des Fußball-Weltverbands FIFA verboten. Es gibt Ausnahmen, beispielsweise eine Staatsangehörigkeit in einem EU-Land, oder wenn die Eltern bereits in Europa berufstätig sind. So hatte sich für den BVB zum Beispiel der Wechsel des US-Amerikaners Jack Mize ergeben. Christian Pulisic hatte Mitte der 2010er-Jahre einen gültigen Pass bekommen dank kroatischer Großeltern, Giovanni Reyna einen portugiesischen. Alles legitim.

Doch manche Klubs beugen Recht und Gesetz weit über die tragfähige Interpretation von Paragraphen hinaus. Es geht hier wohlgemerkt nicht um Straf- oder Zivilrecht, sondern um die Statuten des Verbands, die wissentlich ignoriert werden. Mal mit Konsequenzen, mal ohne. 2019 wurde der FC Chelsea zu einer Geldstrafe und einer Transfersperre verdonnert, weil er nach Ansicht der FIFA in 29 (!) Fällen gegen die Regeln verstoßen und U18-Spieler rekrutiert hatte. Der FC Barcelona war wegen vergleichbarer Verstöße ebenso mit einem Bann belegt worden, der jedoch nicht aufrechterhalten wurde.

Reinier scheitert beim BVB

In Portugal werden regelmäßig minderjährige Spieler aus Südamerika importiert. Real Madrid kokettiert geradezu mit seiner Praxis, Kinder vor allem aus Brasilien anzuwerben. Im Dezember 2022 vermeldete der Renommierklub die Verpflichtung von Endrick (16), dem möglicherweise größten Talent vom Zuckerhut. In Spanien aufschlagen wird er dann mit 18 Jahren, wie zuvor die heutigen Superstars Vinicius Junior oder Rodrygo. Bei Reinier, zeitweise als Leihspieler für Borussia Dortmund unterwegs, ging die Wette nicht auf. Atemraubend: Das Gesamtpaket für die Transferentschädigung und den folgenden Fünf-Jahres-Vertrag soll sich bei Endrick auf mehr als 70 Millionen Euro belaufen.

Es drängt sich die Frage auf, wie es den Vereinen möglich ist, U18-Spieler unter Vertrag zu nehmen, obwohl jegliche Verhandlungen und Geldflüsse in solchen Fällen streng untersagt sind. Eine gewisse Skrupellosigkeit im Showbusiness Fußball muss man wohl voraussetzen, moralische Maßstäbe dürften hier bei Real Madrid oder dem FC Chelsea eine untergeordnete Rolle spielen. Sie werfen mit Geld um sich, platzieren hohe Wetten auf Nachwuchsspieler, bei denen völlig offen ist, ob sie eines Tages überhaupt in den großen Stadien der Welt auflaufen. Inwiefern die Vereine juristisch oder vom Verband belangt werden für diese Exzesse, bleibt abzuwarten. Bei den Recherchen stößt man auf Verwunderung und Irritation darüber, wie rücksichtslos manche Klubs die Grenzen für sich verschieben und dem Verband und anderen Vereinen, die sich an die Regeln halten, eine lange Nase drehen.

BVB rechnete sich gute Chancen bei Paez aus

Im Fall von Kendry Paez hatte sich der BVB im Winter wohl noch gute Chancen ausgerechnet. Wie so oft war der Klub früher dran als andere, doch das nahezu lückenlose Scouting haben andere längst kopiert. Und dann treten potentere – und offensichtlich skrupellosere – Konkurrenten auf den Plan. Auch Manchester United hinterlegte sein Interesse in Ecuador, doch die „Blues“ aus London übertrumpften alle bestehenden Angebote, erfüllten immer höhere Forderungen. Als seien die Machenschaften gute Sitte in einem bösen Spiel, machten sie am 5. Juni die Verpflichtung von Paez sogar offiziell, teilten in einem Klub-Communiqué mit, der Ecuadorianer werde sich nach seinem 18. Geburtstag Chelsea anschließen.

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In Südamerika habe er sich den Ruf erworben, „eines der schillerndsten und kreativsten jungen Talente zu sein dank einer Kombination aus versierten Dribblings und dem Auge und der Technik, mit seinen Pässen Abwehrreihen aufzureißen“. Bedenken, geltendes Recht nicht nur gebeugt, sondern sogar gebrochen zu haben? Fehlanzeige! Die Meldung ist ausdrücklich rechtskonform. Aber die wirtschaftlichen Hintergründe dürften einer verbandsjuristischen Überprüfung nur schwerlich standhalten.

Paez wechselt 2025 zum FC Chelsea

In den einschlägigen Portalen ist von einer Ablösesumme von 20 Millionen Euro die Rede. In der Szene geht man bei Paez inklusive Honoraren, Einmalzahlungen und späterem Gehalt von einem Gesamtpaket von mehr als 50 Millionen Euro aus. An so einem Geschäft müssen viele mitverdienen wie die Dealmaker, die Kontakte pflegen und Vorschläge für die Kontrakte übermitteln. Ob Paez, wie zu hören ist, von der spanischen Agentur Futbol Division vertreten wird, die sich auf junge Fußballer aus Südamerika und Afrika spezialisiert hat, lässt sich nicht bestätigen. Deren offizieller Firmensitz: Dubai, Vereinigte Arabische Emirate.

In der Fußballbranche wird der Name Paez erst einmal wieder in den Hintergrund rücken, bis er in zwei Jahren beim FC Chelsea auftaucht. Wird er dann wie erhofft der nächste Neymar, würden sich die Engländer auf die Schulter klopfen, sie hätten aus ihrer Sicht viel richtig gemacht. Solange ihnen keiner genauer auf die Finger schaut.