
Jude Bellingham ist der Dauerbrenner beim BVB. Er stand in allen Partien auf dem Platz. © IMAGO/kolbert-press
BVB-Profi Bellingham: Spagat zwischen Belastungssteuerung und Unverzichtbarkeit
Borussia Dortmund
Jude Bellingham ist der absolute Dauerbrenner bei Borussia Dortmund. Klar ist: Der 19-Jährige braucht irgendwann eine Pause. Die Frage ist nur: wann?
Bei der Szene in der 80. Minute des Länderspiels zwischen England und der DFB-Elf musste man auch zusammenzucken, wenn man nicht als Cheftrainer von Borussia Dortmund sowieso mit einem besonderen Augenmerk auf diese Partie blickt. Auf der einen Seite Jude Bellingham, der einen Ball am Strafraumrand der deutschen Elf mit dem langen Bein zum Mitspieler befördern will, auf der anderen Nico Schlotterbeck, der den Ball vor Bellingham wegspitzeln will – mit seiner Grätsche aber um einen Sekundenbruchteil zu spät kommt und seinen Teamkollegen aus Dortmund voll am unteren Schienbeinansatz trifft.
BVB-Profi Bellingham kehrt mit 180 Minuten in den Beinen zurück
Der fällige Elfmeterpfiff ist unstrittig, folgt aber erst drei Minuten später nach Intervention des VAR. Zu diesem Zeitpunkt steht Bellingham schon wieder und bejubelt humpelnd die nachträgliche Entscheidung mit einem lauten Schrei und einer geballten Faust. Im Stillen dürfte auch Edin Terzic zumindest ein wenig jubiliert haben, denn ein Ausfall seines wichtigsten Mittelfeldspielers hätte gravierende Folgen gehabt.
Am Dienstag kehrte Bellingham nach Dortmund zurück. Mit einem dicken blauen Fleck am Schienbein – und, mindestens genauso problematisch, weiteren 180 Pflichtspiel-Minuten im Gepäck. Bellingham spielte gegen Deutschland bis zum Ende der regulären Spielzeit und stand auch in Italien über 90 Minuten auf dem Feld. Rücksichtnahme auf seinen Trainerkollegen in Dortmund konnte sich Englands Nationaltrainer Gareth Southgate nicht erlauben, der Druck auf die Three Lions war vor diesem Nations-League-Doppelpack riesengroß.
Trotz einer weiteren Doppelbelastung für das Dortmunder Talent war der Erfolg der Maßnahme bescheiden. Die Engländer verabschieden sich vorerst aus der höchsten Spielklasse des Uefa-Länderwettbewerbs.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Auszeit?
Das Vorgehen nach Bellinghams Rückkehr nach Dortmund wird dem Prozedere in allen bisherigen Englischen Wochen gleichen: Bellingham wird sich intensiv behandeln lassen und vom BVB ansonsten bis zum nächsten Spiel in Watte gepackt werden. Als einziger Feldspieler im Kader hat der junge Engländer die bislang maximal mögliche Zahl an Einsatzminuten abgerissen. Zwölf Pflichtspiele insgesamt, macht 1080 Minuten Fußball auf höchstem Niveau, ohne große Erholungspausen.
Für den BVB und Terzic ist das eigentlich ein Alarmzeichen, denn beginnend mit dem Köln-Spiel am Samstag stehen der Borussia und ihrem dritten Kapitän weitere sechs Englische Wochen ins Haus. Bis zur frühen Winterpause nach dem 15. Spieltag am 11. November bedeutet das weitere 13 Pflichtspiele in 42 Tagen. Denen sich eine Weltmeisterschaft direkt anschließt, bei der Bellingham im englischen Team ebenfalls eine tragende Rolle einnehmen soll. Dass der 19-Jährige zwischendurch eine schöpferische Pause braucht, ist eigentlich klar. Nur wann ist der richtige Zeitpunkt?
Pause für Bellingham: BVB-Trainer Terzic fehlen die Alternativen
Terzics Planungen in diesem Punkt werden durch die dünne Personaldecke im defensiven Mittelfeld erschwert. Mahmoud Dahoud wird nach seiner Schulter-OP wohl erst nach der WM-Pause wieder ein Thema werden, bei Salih Özcan sollte die Zwangspause wegen seines Knochenödems zwar deutlich kürzer ausfallen, zumindest die Rückkehr zum Ex-Klub Köln wird der 24-Jährige allerdings wohl nur in Zivil erleben. Bleibt als „gelernter“ Sechser für die Position neben Bellingham eigentlich nur Emre Can. Dessen sehr ordentliche Leistung beim 1:2 in Manchester gibt zwar Anlass zu Optimismus, auch Can aber kommt aus einer von Verletzungen geplagten Vorsaison. Einen Bellingham-Ersatz müsste sich Terzic mit Improvisation zurechtbasteln. Julian Brandt wäre eine Option, auch einen Gio Reyna könnte man sich auf dieser Position vorstellen. Beiden ist allerdings der Drang zur Offensive gemein, und auch, dass sie nicht über die defensiven Qualitäten des Engländers verfügen. Ideallösungen wären sie somit nicht.
Den Spagat zwischen notwendiger Belastungssteuerung und Unverzichtbarkeit fürs Team muss Terzic in der Causa Bellingham mit besonders viel Fingerspitzengefühl bewältigen – und immer auch über den Tellerrand, sprich das kommende Spiel, hinausblicken. Nach Köln folgt der Dreierpack mit zwei vorentscheidenden Partien in der Champions League in und gegen Sevilla, am Samstag in einer Woche als Sandwich dazwischen das Gipfeltreffen mit dem FC Bayern. Partien, in denen Terzic auf Jude Bellingham eigentlich nicht verzichten kann.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
