Wie bewerten Sie die aktuelle sportliche Situation von Borussia Dortmund?
In der Bundesliga auf Platz elf zu stehen, ist sehr, sehr unbefriedigend. Für unsere Fans, für den Klub, für die Mannschaft und auch für mich persönlich. Wir hinken unseren Ansprüchen weit hinterher und versuchen, mit aller Macht gegenzusteuern. Wir werden die weiße Fahne aber nicht hissen, weil wir in der Liga noch acht Spiele haben, aus denen wir das Maximum herausholen müssen.
Der BVB droht erstmals seit 2015 die Champions League zu verpassen. Was denken Sie darüber?
Ich weiß nicht, was am 17. Mai unterm Strich herauskommt. Es ist unsere Pflicht, noch so viele Spiele wie möglich zu gewinnen. Nur dann werden wir zumindest noch in die Reichweite eines Europapokal-Wettbewerbs kommen.
Also lautet die Vorgabe, noch 24 Punkte zu holen?
Diese 24 Punkte würde ich gerne nehmen, aber das wird eine sehr große Herausforderung, denn ich kenne unser Restprogramm, und das beinhaltet unter anderem Spiele in München und in Leverkusen. Aber: Wenn wir zum Beispiel zuhause gegen Augsburg nicht gewinnen, was mich unfassbar geärgert hat, dann haben wir uns diese Ausgangslage selbst eingebrockt. Wir müssen jetzt erstmal am Sonntag Mainz schlagen, dann können wir uns auf die nächsten Aufgaben konzentrieren.
Wie hat sich die Konkurrenzsituation in der Bundesliga für den BVB verändert?
Die Ausgangslage ist sicher eine andere als noch vor fünf oder mehr Jahren, weil andere Klubs auch gute Arbeit leisten, ihre eigenen Nischen gefunden haben, was sich schlussendlich in der Tabelle oder in Transfererlösen widerspiegelt. Wir haben wieder mehr Spannung an der Tabellenspitze, es wird umkämpfter in allen Bereichen. Ich glaube, das steigert die Attraktivität der Liga.
Nur ist der BVB nicht mehr ganz vorne dabei. Warum?
Aus meiner Sicht sind wir weiterhin voll mit dabei, auch wenn die Momentaufnahme national betrachtet unbefriedigend ist. Aber noch mal: Andere Klubs schlafen nicht, einige haben neue Wege eingeschlagen, haben gute Entscheidungen getroffen. Auch Bayern München oder internationale Top-Vereine wie PSG oder Chelsea zum Beispiel verfolgen inzwischen die Idee, junge Spieler früh zu verpflichten und zu entwickeln. Das macht das Wettbewerbsumfeld für Borussia Dortmund mit den hohen Erwartungen, mit dem vorhandenen Budget und mit den Zielen deutlich herausfordernder und risikobehafteter. Trotzdem stellen wir uns dieser Aufgabe mit Zuversicht und allem, was wir aufbieten können.

Platz elf in der Bundesliga, schon elf Niederlagen auf der einen, das Viertelfinale in der Champions League auf der anderen Seite. Wo liegt die wahre Leistungsstärke dieser Elf?
Dass diese Diskrepanz zwischen der Champions League und der Bundesliga Fragen aufwirft, ist total verständlich. Gerade nach Champions-League-Spielen haben wir in der Bundesliga zu viele Punkte liegengelassen. Das ist ein Thema, bei dem wir ansetzen müssen. Insgesamt sind die Schwankungen in dieser Saison schwer nachzuvollziehen, sicherlich auch von außen. Wir müssen zurückfinden zu mehr Stabilität in den Ergebnissen. Am Ende sind wir womöglich nicht so gut, wie wir alle und viele Experten gedacht haben, aber auch nicht so schlecht, wie es die Tabelle aktuell darstellt.
Wie finden sie den Weg zurück?
Wenn es eine einfache Lösung für dieses Problem gäbe, dann hätten wir es längst abgestellt. Eine Sache sollte klar sein: Jeder einzelne Spieler hat zu verinnerlichen, wo wir gerade stehen, und jeder Einzelne hat die absolute Pflicht, jetzt alles zu geben für Borussia Dortmund. Sofort, und zwar am absoluten Maximum, in jedem Spiel.
Das war demnach bislang nicht immer so. Hat die Mannschaft Sie enttäuscht?
Ich bin überzeugt davon, dass diese Mannschaft viel zu oft nicht das abgerufen hat, was in ihr steckt. Die Qualität war viel zu selten zu sehen. Wir haben zu viele Fehler gemacht, Spiele teilweise weggeschenkt, sind zu spät aufgewacht, haben Verläufe nicht mehr korrigiert bekommen. Unsere Mannschaft hat mehrfach für bittere Enttäuschung gesorgt. Sie ist für ganz andere Erwartungen und Ansprüche zusammengestellt. Wir haben einen der teuersten Kader der Bundesliga, und dem werden wir nicht gerecht.
Die Champions League zu erreichen, ist nicht mehr realistisch. In der Europa League ist nur ein Fünftel der Einnahmen wahrscheinlich. In der Conference League zahlt man vielleicht sogar drauf. Wie wirkt sich das auf den Etat, die Spielerakquise, die Wirtschaftlichkeit aus?
Wir planen mit unterschiedlichen Szenarien. Es ist unsere Aufgabe, für diese einzelnen Fälle Lösungen zu erarbeiten. Diese Gespräche führen wir. Dann macht es einen Unterschied, ob wir in der Champions League noch eine Runde weiterkommen, wie lange wir bei der Klub-WM mitspielen. Das wäre mit Einnahmen verbunden, durch die wir einiges auffangen könnten. Und eine weitere Erkenntnis wird wichtig sein.
Welche?
Wir werden in den nächsten Wochen genau schauen, auf welche Spieler Borussia Dortmund auch in der Zukunft bauen kann. Wer nimmt diese Situation jetzt an? Wer stellt sich auch in den Wind und wer übernimmt jetzt Verantwortung? Es stehen nicht nur für den Klub wichtige Woche an, sondern auch für jeden einzelnen Spieler.
Das heißt im Klartext, die Spieler kämpfen auch um ihre Zukunft beim BVB?
Keiner unserer Spieler darf sagen, dass es so weitergehen kann. Keiner!
Im Kader läuft kein Vertrag in diesem Sommer aus. Ein Umbruch wird also nicht so einfach.
Trotzdem gibt es Konstellationen, in denen man Entscheidungen im Sinne des Klubs treffen muss. Das kann bedeuten, dass man mit Spielern verlängert oder sich mit ihnen offen über die Zukunft und Perspektiven austauscht. Wir haben sehr viel Vertrauen ausgesprochen, und ich werde hier jetzt auch keinen Spieler öffentlich an den Pranger stellen. Doch am Ende muss jeder hier Gas geben und vollen Einsatz zeigen!

Bei der Suche nach Gründen für die Krise fallen Schlagwörter wie unzureichende Fitness, fehlende Form wegen mangelhafter Arbeitseinstellung. Manche Spieler halten dem Druck nicht stand. Wo suchen Sie nach Gründen? Wo können Sie vorbeugen, dass sich so eine Saison wiederholt?
Wir machen uns in allen Bereichen Gedanken, von der Athletik über die Medizin bis zur Taktik. Auch das Mindset spielt eine Rolle. Es gibt nicht den einen Grund, der dazu führt, dass sich dann alle anderen Themen erübrigen. Wir müssen individuell analysieren, warum die Leistungen nicht abgerufen werden, wodurch die Schwankungen begründet sind, warum die Mannschaft so wechselhaft auftritt.
Von den fünf Sommer-Neuzugängen hat bis jetzt nur Serhou Guirassy vollends überzeugt.
Er hat wettbewerbsübergreifend schon 24 Tore erzielt, das ist stark! Es gibt aber bei keinem für uns machbaren Transfer eine 100-prozentige Garantie, dass ein neuer Spieler sofort voll einschlägt. Manchmal braucht es etwas Zeit, denn dieses Trikot kann richtig schwer sein. Aber klar ist natürlich auch: Zu viel Zeit darf es auch nicht brauchen.
Aber müssen Spieler, die 20, 25 oder 30 Millionen Euro Ablöse gekostet haben wie Waldemar Anton, Yan Couto oder Maximilian Beier nicht sofort funktionieren?
Das muss man differenziert betrachten. Es gibt immer wieder Beispiele dafür, dass der Transferwert keine Garantie für sofortige Leistung ist. Dazu ist der Markt zu heiß gelaufen. Auch das war vielleicht vor fünf Jahren noch anders. Wir als Borussia Dortmund müssen in Potenziale investieren und Phantasie haben, um mit Klubs mithalten zu können, die mehr Ablöse und Gehalt bezahlen können. Oftmals beschäftigen wir uns mit jungen Spielern, die dann letztlich doch in England landen, weil dort mehr Geld locker sitzt als wir hier aufbringen könnten. Und trotzdem kämpfen wir immer auch um diese Spieler, weil wir ihr Potenzial erkennen. Die Konsequenz ist am Ende aber: Wir müssen entweder noch früher dran sein oder wir gehen ein noch höheres Risiko ein. Es kann nicht jeder Spieler am Ende einen Marktwert wie Jude Bellingham oder Erling Haaland erreichen. Trotzdem müssen wir versuchen, solche Typen zu finden. Aber vorrangig aufgrund ihrer großen Qualität für diese Mannschaft! Denn nur wenn wir als Klub erfolgreich sind, werden sich auch nachhaltig Marktwerte entwickeln.
Warum haben Sie im Winter nicht reagiert und auf dem Transfermarkt zugeschlagen?
Wir haben doch reagiert und Daniel Svensson und Carney Chukwuemeka geholt.
Ich meinte das in Bezug auf die Torgefahr. Schließlich ist in Donyell Malen einer der potenziellen Scorer gegangen. Ersatz haben Sie nicht verpflichtet. Warum nicht?
Wenn es diesen Top-Spieler auf dem Markt gegeben hätte, der uns in unserer Situation sofort weitergeholfen hätte und finanzierbar gewesen wäre, hätten wir ihn selbstverständlich geholt. Alles andere bläht den Kader unnötig auf. Carney und Daniel geben dieser Mannschaft mit ihrem Profil noch mal eine andere Komponente. Am Ende ist der Wintertransfermarkt kein optimaler Markt für Borussia Dortmund. Und ich wiederhole mich gerne noch mal: Dieser Kader ist viel besser als das, was wir aktuell sehen. Da sind wir uns intern alle einig.

Wertsteigerung ist ein Stichwort: Wenn es mit dem Europapokal nichts wird, muss dann ein Jamie Gittens oder ein Karim Adeyemi verkauft werden?
Nicht zwangsläufig. Ganz grundsätzlich: Mit Transferthemen auf der abgebenden Seite beschäftigen wir uns im Sommer, denn vieles hängt auch davon ab, wie wir uns am Ende der Saison platzieren.
Der BVB hat mitten in der Saison den Trainer gewechselt, von Nuri Sahin zu Niko Kovac. War das die richtige Entscheidung?
Es war keine einfache Entscheidung, den Trainer zu wechseln. Aber wir haben in Niko Kovac jemanden gesehen, der mit seiner Erfahrung, seiner Klarheit und seinem Auftreten vor der Mannschaft, den Grundwerten, die er vertritt, sofort helfen kann. Wir haben gute Entwicklungen genommen, das beweisen die Daten: Wir laufen unter seiner Leitung mehr, wir gewinnen mehr Zweikämpfe, wir arbeiten uns mehr Torchancen heraus. Nur gibt es auch ein Aber: Uns fehlt die Effizienz. Wir haben nur 45 Tore geschossen, für Borussia Dortmund ist das nach 26 Spieltagen ein nicht akzeptabler Wert. Da sind alle Spieler gefragt, vor allem fehlt uns direkte und indirekte Torgefahr aus dem Mittelfeld. Es gibt die Statistik der Expected Points, also der zu erwartenden Punktausbeute. Demnach wären wir Vierter! Aber das ist graue Theorie, in der Praxis sehen die Fakten ganz anders aus.
Sie sind seit knapp 24 Jahren hier im Klub und haben intensive Monate hinter sich. Ihr Mitarbeiter Slaven Stanic musste gehen, Lars Ricken wurde Ihnen als Geschäftsführer vorgezogen, dann Sven Mislintat ungewollt an die Seite gestellt. Sie sind immer loyal geblieben. Warum?
Ich arbeite hier über die Hälfte meines Lebens mit einer ganzen Menge Herzblut. Ich bin hochmotiviert und voller Tatendrang, Borussia Dortmunds Weg mitzugestalten. Das gilt insbesondere in Phasen, in denen es nicht läuft. Wir müssen gerade jetzt die Ärmel hochkrempeln und alles für diesen Klub geben. Am Ende geht es doch um das gegenseitige Vertrauen. Wir treffen gemeinsam Entscheidungen und stehen zusammen in den guten und in den schwierigen Zeiten. Dann kann so eine Situation wie unsere am Ende auch wieder Kraft geben, zusammenzuwachsen und eine neue Ausrichtung zu gestalten. Diese Chance haben wir.
Ein Umbruch soll kommen, in der Krise wird auch über Ihren Job diskutiert. Sind Sie auch im Sommer weiter Sportdirektor bei Borussia Dortmund?
Ich habe doch erst vor ein paar Wochen meinen Vertrag hier verlängert und habe genug Kraft, Ideen und Leidenschaft, um mich dieser Aufgabe zu stellen.
Welche Ideen haben Sie?
Einige, aber die bespreche ich natürlich jetzt nicht hier öffentlich mit Ihnen (schmunzelt), sondern wie immer mit Aki Watzke, unter dessen Leitung dieser Verein immer gewachsen ist, sowie mit unserem Geschäftsführer Sport, Lars Ricken. Wenn wir keine Ideen hätten und keine Lösungen präsentieren könnten, wären wir fehl am Platz. Ansätze gibt es viele. Es kommt darauf an, welche letztendlich umsetzbar sind und welchen neuen Kurs wir einschlagen.
Edin Terzic hat oft moniert, der Mannschaft fehle es an intrinsischer Motivation. Nuri Sahin hat kritisiert, hier gebe es zu viele satte Spieler mit teuren Verträgen. Wie steht es um die Leistungskultur, die Borussia Dortmund eigentlich prägen soll?
Siegeswille und Erfolgshunger sollten immer ein Prädikat von Borussia Dortmund sein und damit auch der Spieler, die zu uns kommen. Wir haben daher unter anderem die Verträge deutlich leistungsorientierter gestaltet. Sportlicher Misserfolg wird somit auch für die Spieler Auswirkungen haben. Unabhängig davon brauchen wir gierige Spieler genauso wie junge Talente, die die Zukunft des Klubs sind, gepaart mit Erfahrung und Führungsstärke, um die Mannschaft auf höchstem Niveau zu stabilisieren. Und im vergangenen Sommer gab es einen großen Schnitt, als Mats Hummels und Marco Reus uns verlassen haben. Bis sich eine neue Hierarchie gebildet hat, kann es manchmal dauern. Wir müssen für uns definieren, wie viel Zeit wir den Spielern und Prozessen geben. Klar ist: Wer nicht die richtige Haltung an den Tag legt, vertritt nicht die Werte, für die wir stehen wollen und wird damit auch keine Perspektive in diesem Klub haben.

Durch die vielen Trainerwechsel ist meiner Meinung nach die Spielidee von Borussia Dortmund verloren gegangen.
Jeder Trainer trägt eine gewisse Spielphilosophie in sich, jeder hat eine andere Herangehensweise, grundsätzliche Spielprinzipien oder taktische Vorlieben. Da hatten wir unterschiedliche Einflüsse, das stimmt. Trotzdem gibt es natürlich gewisse Vorgaben, die wir als Verantwortliche definieren. Wir wollen intensiv spielen, attraktiven und mutigen Fußball zeigen, mit einer hohen Geschwindigkeit, der natürlich erfolgreich sein muss. Dazu gehört harte Arbeit genauso wie spielerische Qualität, die unsere Fans begeistert. Am Ende ist der Klub größer als jeder Spieler, jeder Trainer. Borussia Dortmund soll einen Wiedererkennungswert und Alleinstellungsmerkmale haben.
Was muss Borussia Dortmund tun, um wieder unangefochten die Nummer zwei zu sein in Deutschland?
Es geht nun zuallererst gar nicht darum, diese Erwartungshaltung zu erfüllen. Wir müssen im Sommer gute Entscheidungen treffen, aber jetzt erst einmal die aktuelle Situation voll fokussiert annehmen. Das bedeutet, das Heimspiel gegen Mainz zu gewinnen. Wir brauchen jetzt Männer, die Lust auf Herausforderungen haben, die angriffslustig sind und sich nicht verstecken. Das wollen die Fans sehen, das sind wir ihnen schuldig. Wir werden genau hinschauen, wer diesen Kurs mitgeht.