Sahin mit BVB-Rumpfkader im DFB-Pokal gegen Wolfsburg Es schlägt die Stunde der Talente

Sahin mit BVB-Rumpfkader im DFB-Pokal gegen Wolfsburg: Es schlägt die Stunde der Talente
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443 Pflichtspiele als Profi hat Julian Brandt in den Beinen, ungefähr die Hälfte im Trikot von Borussia Dortmund. Dazu gesellen sich 47 Länderspiele. Das spricht für geballte Erfahrung, und dennoch: Eine Phase wie diese, meinte der 28-Jährige, habe er noch nicht erlebt, seit er 2019 zum BVB wechselte. Brandt im Krisenmodus, der BVB im Krisenmodus. Mitten drin ein junger Trainer, der einen Sturm der Enttäuschung aushalten und gleichzeitig versuchen muss, in zwei Tagen eine schlagkräftige Mannschaft auf die Beine zu stellen, die bestehen kann.

BVB fabriziert haarsträubende Fehler

Den Ernst der Lage mochte Brandt, 28, gar nicht verschweigen. Warum und wieso, von diesen Fragen gebe es viele, Antworten könne er nicht liefern, meinte er, versuchte es aber dennoch. „Das ist wie mit einem Tau. Das ist leichter mit vielen Leuten zu ziehen als alleine. Aber dieses Synchronschwimmen bekommen wir nicht hin aktuell.“ Beim Versuch einer Erklärung für haarsträubende individuelle Fehler, mannschaftstaktische Defizite und unverkennbar fehlende Widerstandskraft landet man ganz am Anfang der Saison.

Mit viel Euphorie war Nuri Sahin sein Amt angetreten, aber er musste mit dem Umstand umgehen, wegen der EM etliche seiner Stammspieler erst Ende Juli begrüßen zu können. Kaum 14 Tage später mussten etliche dieser Spieler ins erste Pflichtspiel. Von einer geregelten Vorbereitung konnte keine Rede sein, dort aber werden vor allem die physischen Grundlagen für eine Spielzeit mit mehr als 40 Pflichtspielen gelegt.

BVB-Trainer Sahin auf vielen Ebenen gefordert

Die Folgen bekommt Sahin schon jetzt zu spüren. Eine viel zu große Zahl an Verletzten, was mit dem ganz bewusst verkleinerten Kader kollidiert. Eine viel zu große Zahl an Spielern, die daher schon etliche Minuten in den Beinen haben und nach nicht einmal einem Drittel der Saison ausgelaugt wirken, in den Füßen und im Kopf. Dass es ruckelt und die Ergebnisse ausbleiben, befeuert diesen Effekt. Voller Selbstvertrauen spielt derzeit niemand im Dortmunder Kader.

Sahin ist auf vielen Ebenen gleichzeitig gefragt. Er muss seine Defensive stabilisieren, die Offensive ankurbeln, Leichtigkeit in die Köpfe bekommen und am besten Spielfreude vermitteln. Er muss seiner Mannschaft Mittel an die Hand geben, um deutlich regelmäßiger Spiele zu gewinnen – was schwierig wird, wenn man so leichte Gegentore wie aktuell fängt. Eine Aufgabenfülle mindestens mal für eine lange Winterpause. Doch die ist weit entfernt und auch noch ultrakurz.

BVB mit massiven Personalproblemen

Sahin hat ohnehin ein kurzfristigeres Problem zu lösen: Er benötigt für Dienstag eine ausreichende Zahl an gesunden Spielern. „Wir werden elf finden“, versprach er mit Trotz und Sarkasmus in der Stimme. Doch beim Durchzählen wird er schnell an Grenzen stoßen. Acht verletzte Spieler mit Stammplatz-Potenzial: Neben einigen selbst verschuldeten Baustellen hat den BVB auch das Pech fest im Griff, wobei das so eine Sache ist, wenn die überwiegende Zahl an Blessuren muskuläre Ursachen haben. Dieses Problem glaubte der BVB eigentlich in den Griff bekommen zu haben.

Das führt vor allem im Defensivbereich zu einer alarmierend geringen Zahl an einsatzfähigen Spielern. Nico Schlotterbeck und Ramy Bensebaini sind die beiden einzig verbliebenen gesunden Ketten-Akteure. Um sie herum wird der Dortmunder Trainer basteln müssen: Emre Can als Rechtsverteidiger oder doch in der Innenverteidigung, doch wer bliebe dann für die rechte defensive Bahn? Bensebaini innen neben Schlotterbeck, das praktizierte Sahin schon in Augsburg so.

BVB mit Lührs oder Mane?

Auf der Bank saßen in der Fuggerstadt zwei weitere gelernte Innenverteidiger. Ihr Erfahrungsschatz? Sehr überschaubar! Filippo Mane gilt als überaus talentiert, kommt aber aus einer langen Verletzung. Yannik Lührs hat immerhin elf Drittliga-Spiele für die BVB-U23 absolviert und ist sozusagen im Rhythmus. Links bliebe Almugera Kabar, ebenso unerfahren und in Augsburg übermotiviert, wo er Gelb-Rot sah. Im Pokal dürfte er spielen.

Die Not setzt sich fort. Weil Can in irgendeiner Form hinten benötigt wird, bleiben für die Doppel-Sechs nach dem Ausfall von Marcel Sabitzer nur noch Pascal Groß und Felix Nmecha. Der junge Kjell Wätjen kämpft sich nach einem Durchhänger erst wieder zurück. Generell muss Sahin die Frage beantworten, wieviel junges Blut die körperlich wie mental nicht sattelfeste Mannschaft auf ihre Schultern nehmen kann Das 1:2 in Augsburg mit all seinen Begleiterscheinungen hat die Situation in Dortmund auf vielen Ebenen dramatisch zugespitzt.