Anfang April nimmt Lars Ricken bei der 45. Ausgabe von Brinkhoff’s Ballgeflüster als einer der Gäste auf dem Podium Platz. Anlässlich des 50. Geburtstags des Westfalenstadions findet die Veranstaltung dem Anlass entsprechend unterhalb der Südtribüne statt. Die meiste Aufmerksamkeit zieht an diesem Mats Hummels auf sich. Dennoch ist Ricken auch 15 Jahre nach dem Ende seiner aktiven Karriere noch immer sehr gefragt bei den BVB-Fans. Ob im Signal Iduna Park, in der Roten Erde oder im Jugendstadion in Brackel. Wo immer der 47-Jährige auftritt, muss er Autogramm- und Selfie-Wünsche der schwarzgelben Anhänger erfüllen. So auch an diesem Abend.
Seit mehr als drei Jahrzehnten beim BVB
Lars Ricken, so empfinden es viele BVB-Fans, ist einer von ihnen. Borusse durch und durch. „Ich wollte immer tief verwurzelt sein in diesem Verein. Ich bin hier geboren, ich bin ein Dortmunder Jung. Schon durch meinen Vater wurde ich mit der Liebe zum BVB erzogen“, hat Ricken einmal gesagt. Dieses Maß an Identifikation ist neben seiner fachlichen Expertise ausschlaggebend dafür, dass der Präsidialausschuss des Vereins ihn zum Geschäftsführer Sport befördert hat. Am 1. Mai wechselt er auf die neue Stelle.
Seit fast 34 Jahren ist Ricken nun bei Borussia Dortmund. Als 14-Jähriger wechselt er vom TSC Eintracht zum BVB. Die ersten Trainingseinheiten absolviert er damals noch im Hoeschpark und auf dem Mendeplatz auf Asche. Es folgt eine beispiellose Profi-Karriere mit drei Deutschen Meisterschaften, der Krönung mit dem Titel in der Champions League und dem Jahrhundert-Tor im Finale gegen Juventus Turin. In seinen 18 Jahren als Profi ist Ricken zu einer Ikone gereift, sein Konterfei ziert in Dortmund U-Bahnen, seine Schusstechnik gegen Juve ist auf dem Fanflieger verewigt.
Seine gesamte Laufbahn verbringt Ricken beim BVB, wo er sie bis Anfang 2009 bei den Amateuren in der Regionalliga West ausklingen lässt. Der Übergang vom Spieler zum Funktionär erfolgt nahtlos. Denn parallel durchläuft der damals 32-Jährige ein Trainee-Programm auf der Geschäftsstelle des Klubs und wird kurz darauf Nachwuchskoordinator, seit Januar 2021 bekleidet er den Posten des Direktors des NLZ.
BVB-Youngster Ricken vom Europapokal auf die Schulbank
Ricken ist in seinen Anfängen beim BVB noch „komplett auf mich alleine gestellt“ und trainiert auf Asche. Im Podcast der Ruhr Nachrichten erinnert er sich einmal an einen Dezemberabend 1994. Der BVB spielte im Uefa-Cup bei Deportivo La Coruna. „Während die Mannschaft erst am nächsten Tag zurückgereist ist, bin ich mittwochnachts um 3 Uhr mit dem Fanflieger zurück nach Düsseldorf geflogen, weil ich am nächsten Tag noch eine Geschichtsklausur geschrieben habe. Im Flieger habe ich noch dafür gelernt“, so Ricken. Von Düsseldorf aus fuhr er mit dem BVB-Fanbus retour nach Dortmund. „Dort angekommen, habe ich mich dann noch eine halbe Stunde in die Großmarktschänke gesetzt und bin dann zur Schule“, erzählt Ricken.

Ohne eine Sekunde Schlaf habe er die sechsstündige Klausur geschrieben und sei anschließend direkt zum Training gefahren. Trotz Schlafmangels läuft Ricken an diesem Vormittag zur Höchstform auf. „Es war eine 2+ - meine beste Klausur, die ich jemals in Geschichte geschrieben habe.“
Hartes BVB-Werben um Talente
Seither hat sich die Fußballwelt rasant entwickelt. Heute kümmern sich im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) des BVB rund 100 Mitarbeiter um die knapp 200 Spieler. Neben Trainern, Scouts, Spielanalysten, Medizinern und Physiotherapeuten gibt es Mitarbeiter im Jugendhaus, Lehrer, (pädagogische) Betreuer und Fahrdienste für die Spieler. Unter Rickens Ägide feierte der BVB jeweils drei Deutsche Meisterschaften mit der U19 und U17 und erreichte zweimal das Viertelfinale der Youth League. In seiner Rolle als BVB-Nachwuchschef legt der 47-Jährige aber stets viel Wert darauf, neben den sportlichen Fähigkeiten auch die Persönlichkeit der jungen Talente weiterzuentwickeln.

Darüber hinaus ist es ihm in den vergangenen Jahren trotz enormer Konkurrenz aus ganz Europa immer wieder gelungen, Top-Talente wie Youssoufa Moukoko, Giovanni Reyna oder Jamie Bynoe-Gittens ausfindig zu machen und sie nach Dortmund zu lotsen. Im Klub genießt der 47-Jährige ein hohes Ansehen. Er gilt als jemand, der bereit ist, gerade bei kontroversen Themen verschiedene Meinungen zu hören. Geschätzt wird seine Kompromissbereitschaft, aber auch seine Entscheidungsstärke, wenn er von etwas überzeugt ist. Eine wichtige Eigenschaft, in der täglichen Zusammenarbeit mit Sportdirektor Sebastian Kehl, dem neuen Technischen Direktor und Kaderplaner Sven Mislintat sowie Cheftrainer Edin Terzic.
Ricken beim BVB hoch angesehen
„Ich kann ohne To-do-Liste ins Büro kommen und habe den ganzen Tag zu tun. Mein Büro liegt so, dass jeder Mitarbeiter daran vorbei muss. Und es ist keine Floskel, dass meine Tür in der Regel offen ist. Somit ist die Hemmschwelle, mal reinzukommen, relativ niedrig“, hat es Ricken im Podcast der Ruhr Nachrichten einst beschrieben.
Im Verein sind sie vom vertrauensvollen Umgang mit dem Ex-Profi angetan. „Ich schätze Lars als Chef und als Mensch sehr. Die Zusammenarbeit mit ihm ist sehr vertrauensvoll und immer auf Augenhöhe, was mich sehr beeindruckt. Obwohl er beim BVB eine Vereinslegende ist, schafft er es, bodenständig zu bleiben und einfach nur Lars zu sein“, sagt U19-Trainer Mike Tullberg im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten.
Ricken beim BVB stets offen für Neues
Auch Rickens Offenheit für Neues wird hochgeschätzt. Während seiner Zeit als BVB-Nachwuchschef hat er im NLZ immer wieder Veränderungen angestoßen. Unter seiner Regie schloss der Klub unter anderem einen Kooperationsvertrag mit der Sport-Fakultät der Ruhr-Universität Bochum ab und installierte unter der Leitung von Otto Addo ein spezielles Training für Top-Talente. Der neue Geschäftsführer Sport gilt als jemand, der im Berufsalltag ohne Allüren auftritt.

Durch sein jahrzehntelange Tätigkeit im Profi-Geschäft ist Ricken sehr gut vernetzt. An der Reform der Junioren-Bundesligen war er im Rahmen einer Arbeitsgruppe beim DFB beteiligt. „Ich freue mich sehr darüber, dass Lars Ricken die Position des Geschäftsführers für den sportlichen Bereich übernimmt. Ich bin sicher, dass Borussia Dortmund mit den Geschäftsführern Thomas Treß, Carsten Cramer und Lars Ricken auch in Zukunft fachlich erstklassig aufgestellt sein wird“, sagt BVB-Boss Hans-Joachim Watzke zur Beförderung des 47-Jährigen, der damit den Vorzug vor Sebastian Kehl erhält, mit der er gegen Ende seiner Karriere noch gemeinsam spielt.
Umwälzungen im BVB-Jugendbereich
Mit dem neuen Amt als Geschäftsführer Sport ab Mai erklimmt Lars Ricken die nächste Stufe der Karriereleiter bei Borussia Dortmund. Seine Beförderung wird Umwälzungen im Nachwuchsbereich des BVB nach sich ziehen. Der Posten des NLZ-Direktors ist ab Mai vakant. Zudem verlässt Otto Addo nach Saisonende den Verein, wird neuer Nationaltrainer Ghanas. Dafür wird Thomas Broich zur neuen Saison Sportlicher Leiter im Nachwuchsbereich. Es ist viel in Bewegung bei Schwarzgelb.

Der Auftrag für die Jugend bleibt derweil gleich. Der BVB setzt bei der Ausbildung der Talente auf vier Grundpfeiler: „Die Jungs sollen Widerstandsfähigkeit, Bodenständigkeit, Selbstbewusstsein und ein großes Maß an Identifikation mit Mitspielern, dem Verein und der Stadt entwickeln.“ Wenn man so will, sucht der BVB mit Lars Ricken in neuer Funktion künftig weitere Lars Rickens.
Lars Ricken wird neuer BVB-Geschäftsführer Sport: Sven Mislintat neuer Technischer Direktor