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Michael Zorcs Analyse des 0:0 gegen Barcelona zeigt: Neues Selbstwertgefühl beim BVB
Champions League
Mit einer Leistung nahe am Optimum dominiert der BVB die zweite Hälfte im Spiel gegen Barcelona. Das 0:0 stimmte daher weder Spieler noch Michael Zorc zufrieden. Das zeigt das neue Selbstvertrauen.
Es war kurz vor Mitternacht, als Marco Reus zu erklären versuchte, was aus seiner Sicht nur schwer zu begreifen war. Reus überlegte, dann antwortete er kurz und bündig: „Mein Elfmeter? Schlecht geschossen.“ Warum etwas unnötig verkomplizieren, was am Ende dann doch so einfach war.
Reus scheitert mehrfach im Privatduell mit ter Stegen
Reus wirkte geknickt, was dem persönlichen Fehler in der Elfmeterszene zuzuschreiben war und einigen weiteren Szenen, in denen er im Privatduell mit Barcelonas deutschen Torhüter Marc-André ter Stegen das Nachsehen hatte. Reus war wie alle anderen aber vor allem enttäuscht darüber, dass Borussia Dortmund eine große Chance liegen gelassen hatte.

Die Szene, die die Partie hätte entscheiden können: Marc-Andre ter Stegen hat den Elfmeter von Marco Reus pariert und sichert sich vor dem Dortmunder Kapitän auch den Abpraller. © Inderlied
Am präzisesten formulierte Roman Bürki das Dilemma der Borussia: „Wir hatten die Chancen, wir hätten gewinnen müssen“, erklärte der Schlussmann aus der Schweiz, „aber man kann auch sagen: Marc-André ter Stegen hat das nicht zugelassen.“
Hummels und die BVB-Defensive lassen nichts zu
Vor allem in der zweiten Hälfte wuchs die deutsche Nummer zwei über sich hinaus. Es war die Phase des Spiels, in der Borussia Dortmund die Fesseln komplett ablegte. Getragen von einer Defensive, die mit Mats Hummels an der Spitze den Gästen so gut wie nichts gestattete, entfachte der BVB nach Ballgewinnen eine enorme Angriffswucht.
Borussia Dortmund machte aus am Ende nur 41 Prozent Ballbesitz eine Menge. Nach Ballgewinnen ging es bisweilen blitzschnell nach vorne, vor allem über die rechte Außenbahn kam der BVB immer wieder zu gefährlichen Flanken. „Sie haben uns richtig leiden lassen“, gestand Barcelonas Trainer Ernesto Valverde einigermaßen erstaunt. Weil auch die Dortmunder Offensivspieler perfekt mit nach hinten arbeiteten, blieb der BVB-Strafraum für die Katalanen weitgehend unerforschtes Territorium.
BVB belohnt sich nicht für den Mut
Es waren mitreißende zweite 45 Minuten. Was seine Mannschaft dort geboten hatte, gefiel auch BVB-Trainer Lucien Favre: „Wir hatten mehr Geduld, haben besser und höher gepresst“, erklärte er. „Wir haben eine sehr gute zweite Hälfte gespielt.“
Für ihren Mut belohnte sich die Borussia aber nicht, das blieb der einzige Makel. „Wir wollten das Spiel gewinnen, wir hätten es gewinnen können oder sogar müssen“, meinte Sportdirektor Michael Zorc am Morgen danach gegenüber dieser Redaktion. „Und wir haben nicht gewonnen, weil wir unsere Chancen nicht genutzt haben.“
Zorc sieht positive Entwicklung
Auch Zorcs Gemütszustand war daher von Zufriedenheit weit entfernt. Wie Mats Hummels, der von einer „verpassten Chance“ sprach, empfanden nach dem Abpfiff fast alle Borussen. Das mag ungewöhnlich erscheinen, wenn man einer der besten Mannschaften im Weltfußball gerade ein Unentschieden abgetrotzt hat, zeugt aber vom gestiegenen Selbstwertgefühl dieser Mannschaft. Der BVB sieht sich bereit, den Großen Europas auf gleichem Level zu begegnen.
So schnell geht das im Fußball: Vor knapp mehr als zwei Wochen verlor Dortmund bei Aufsteiger Union Berlin, danach aber folgten zwei Auftritte, die sehr viel Mut machen. Auch Zorc bestätigt die positive Entwicklung: „Die Viererkette stabilisiert sich, das Zusammenspiel mit dem Mittelfeld funktioniert, auch die Offensivspieler haben mit verteidigt“, meinte er. „So muss das bleiben.“
Auch in Frankfurt wartet eine schwere Prüfung
Die Leistung von Dienstag hat in der Tat die Messlatte hoch gelegt, weil Borussia Dortmund dort zeigte, zu welchen Leistungen man fähig ist. Zorc gibt sich aber auch als Mahner: „Ich bin kein Freund davon, jetzt zu viel Lob auszuschütten“, erklärte er. Am Sonntag wartet die nächste schwere, aber doch eine ganz andere Prüfung, wenn der BVB bei Eintracht Frankfurt antreten muss – und in der Commerzbank Arena sah die Borussia zuletzt eigentlich immer schlecht aus.
Marco Reus wird, wenn der Pfiff ertönen sollte, dort vielleicht wieder an den Punkt herantreten. Er müsse, meinte er noch, „das einfach mehr üben.“ 17 Elfmeter hat Marco Reus in Pflichtspielen für Borussia Dortmund geschossen, der Fehlschuss am Dienstagabend war erst sein dritter überhaupt. Und vielleicht gibt ihm ja die Gewissheit, dass er nicht jeden Tag dann „El muro alemán“, der „deutschen Mauer“, wie die spanische Zeitung „Sport“ über ter Stegen titelte, gegenüberstehen wird, das gute Gefühl zurück.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
