Marcel Schmelzer: "Wir sind zusammengewachsen"

BVB-Kapitän zieht Bilanz

Sein erstes Jahr als Kapitän des BVB liegt hinter ihm. Marcel Schmelzer führte seine Borussia durch eine turbulente Saison - an deren Ende der Pokalsieg stand. Sascha Klaverkamp traf sich mit Marcel Schmelzer zu einem Bilanz-Gespräch über Gänsehaut, Hierarchie und Vertrauen.

DORTMUND

, 02.06.2017, 07:29 Uhr / Lesedauer: 4 min
Eine dunkle Seite und eine helle - BVB-Kapitän Marcel Schmelzer erlebte "vom Kopf her die anstrengendste Saison meiner Karriere".

Eine dunkle Seite und eine helle - BVB-Kapitän Marcel Schmelzer erlebte "vom Kopf her die anstrengendste Saison meiner Karriere".

Marcel Schmelzer, Sie haben uns vor dem Pokalfinale gesagt: Es würde ein Gänsehaut-Moment werden, wenn Sie den Pokal überreicht bekommen sollten. Jetzt, wenige Tage nach dem Pokalsieg: wie war es wirklich?

Ein absoluter Gänsehautmoment. Es fühlt sich sogar noch besser an als ich geglaubt hatte. Das ist einer der größten Momente in meiner Karriere. Als Kapitän des BVB diesen Pokalsieg zu erleben ist mehr als etwas Besonderes.

 

Haben Sie diesen Titel, erstmals als Kapitän, anders erlebt als den Pokalsieg 2012?

Wir haben sehr, sehr viel Kraft in diese Saison gesteckt. Ich als Kapitän, der Mannschaftsrat, alle Spieler. Es gab viele Turbulenzen und wir haben unsere Ziele am Ende trotzdem erreicht. 2012 waren wir die jungen Wilden, da haben uns Spieler wie Sebastian Kehl und Roman Weidenfeller geführt und sich um alles gekümmert. Diesmal waren wir gefordert. Darum ist dieser Pokalsieg noch einmal ein ganz anderes Erlebnis.

 

Der Feiermarathon liegt hinter Ihnen: Wie hart waren die Nacht nach dem Abpfiff in Berlin und die viereinhalb Stunden Jubel-Korso?

Ich brauchte zum Start des Korsos fünf Minuten, um wieder in Fahrt zu kommen, wir hatten in der Nacht nach dem Finale ja wenig Schlaf. Aber dann ging es direkt weiter, als wir die ersten Fans gesehen haben, plötzlich bist du wieder mittendrin. Der Korso war ein wunderschönes Erlebnis. Du merkst an diesen Momenten, was das Besondere an Borussia Dortmund ist. Wenn Du da durchfährst und siehst in so viele Augen, die Du glücklich gemacht hast, indem du dieses Finale gewonnen hast. Du siehst Freude, Dankbarkeit und was Borussia für Fans und Stadt bedeutet. Für diese Momente lohnt es sich, soviel Kraft hineinzustecken: Du kannst den Fans für ihre Unterstützung etwas zurückgeben.

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Wer ist das größte Feierbiest im Dortmunder Kader?

Schade, dass schon Ramadan ist, sonst hätte Nuri Sahin an meiner Seite sicher ausgelassen mitgefeiert (lacht). Erstaunt war ich über Felix Passlack, wie lange er durchgehalten hat.

 

Der Pokalsieg steht als Krönung am Ende einer Saison, die in vielerlei Hinsicht turbulent verlief. Ziehen wir Bilanz: Welche Schulnote verdient diese Spielzeit?

Eine 2 plus. Wir haben den Pokal gewonnen, das war unser großes Ziel. Und wir wollten uns für die Champions League qualifizieren, auch das haben wir geschafft. Wir waren am Ende nur drei Punkte vom zweiten Platz entfernt, hätten wir nicht ein paar Zähler im Laufe der Saison unnötig liegen gelassen, wären wir noch Vizemeister geworden.

 

Vor der Saison gingen die Säulen Mats Hummels, Henrikh Mkhitaryan und Ilkay Gündogan. Viele junge Spieler kamen. Wie schwer war es, schnell eine neue Balance, auch eine neue Hierarchie zu finden?

Anfangs war es schon schwer, es gab eine Menge neuer Aufgaben. Mats Hummels hatte es mir auch gesagt, dass das erste Jahr als Kapitän für ihn schwer war. Vom Kopf her war es die anstrengendste Saison meiner Karriere, ich musste auch lernen, Aufgaben im Mannschaftsrat zu verteilen. Danke an dieser Stelle an Marco Reus, Nuri Sahin, Sven Bender und Lukasz Piszczek, die mir sehr geholfen haben, die sich um die Integration der jungen Neuzugänge gekümmert haben.

Welche Faktoren gaben den Ausschlag, dass Sie die Erfolge einfahren konnten?

Ich denke, dass wir als Mannschaft zusammengewachsen sind, spätestens nach dem Anschlag. Wir haben danach viel miteinander gesprochen, auch über andere Dinge als Fußball. Wir haben uns noch mehr vertraut, das konnte man spüren.

 

Der Bombenanschlag vor dem Monaco-Spiel. So etwas kann man nicht einfach aus den Kleidern schütteln. Wie sehr steckt das noch in Ihrem Kopf?

Ich konnte es ganz gut wegschieben. Aber zwischendurch bin ich mit Sven Bender einfach mal einen Abend rausgegangen, wir haben bei einem Bier über Vieles gesprochen. Dieser Abend hat mir sehr dabei geholfen, den Kopf frei zu bekommen. Ich glaube aber, dass dieser Anschlag noch einmal in mir hochkommen wird. Es wäre sogar gut so, damit ich es verarbeiten kann, auch wenn es schmerzt.

 

Haben Sie sich schon mit der Frage beschäftigt, was hätte passieren können?

Ja, ich habe mit meiner Frau, mit meinen Freunden darüber gesprochen. Nuri Sahin und ich haben Marc Bartra im Krankenhaus besucht, wir waren auf der Autofahrt zurück kurz davor loszuweinen, weil wir alles realisiert haben.

Hat der Anschlag Sie verändert?

So wichtig der Fußball für uns ist, so wichtig er für die Fans ist. Aber am Ende ist es nur Fußball, das Leben ist wichtiger. Das ist mir noch klarer geworden als vorher. Ich genieße jeden Moment jetzt noch bewusster.

 

Die letzten Wochen wurden überschattet vom internen Zwist beim BVB: Trainer Thomas Tuchel gegen die Vereinsbosse. Wie haben Sie als Kapitän den Zwist wahrgenommen?

Wir als Mannschaft haben das ausgeblendet – was für den Erfolg sehr wichtig war. Wir Spieler haben viel miteinander geredet in der Kabine, haben verinnerlicht, dass wir unseren Fokus auf unsere zwei großen Ziele legen, dass wir uns durch nichts aus der Bahn werfen lassen.

 

Thomas Tuchel hat davon gesprochen, dass das Vertrauen zur Mannschaft auch am Ende noch sehr groß war. Wie sehen Sie das?

Der BVB hat sich von Thomas Tuchel getrennt, er ist nun nicht mehr unser Trainer. Es bringt nichts, noch Öl ins Feuer zu gießen.

Sie sind - wie Marco Reus - Nuri Sahin nach dem Finale zur Seite gesprungen, er wurde nicht berücksichtigt für den Kader. Öffentlich wurde das als Seitenhieb gegen den Trainer gewertet. Zu Recht?

Ich wurde nach dem Spiel gefragt, ob ich genauso verwundert gewesen sei wie die Journalisten, dass Nuri nicht im Kader stand. Da habe ich zugestimmt, dazu stehe ich auch. Das war aber keine Kritik. Ich finde einfach, dass Nuri eine sportliche Top-Leistung bringt, wenn er fit ist.

 

Hat Ihr Vertrauen in die Klubführung gelitten durch den Zwist? BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat öffentlich viele verbale Ohrfeigen einstecken müssen…

Ich kann für die Mannschaft sprechen, dass wir nach wie vor vollstes Vertrauen haben in Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc. Sie handeln komplett im Sinne des Vereins. Mein Vertrauensverhältnis zur Klubführung ist eher noch gewachsen.

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