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„Magischer“ Gosens als Matchwinner - das war 2011 beim BVB nicht zu erahnen
Nationalmannschaft
Robin Gosens führt die DFB-Elf bei der EM zum 4:2-Sieg gegen Portugal und macht das Spiel seines Lebens. Es ist eine unglaubliche Entwicklung, die keiner vorausgesehen hat - inklusive des BVB.
Sechs kurze Sätze per SMS. Robin Gosens schüttelte den Kopf. Er zweifelte am Inhalt. Er misstraute, ob der Absender derjenige war, als der er sich ausgab. Dann dämmerte ihm, was da passierte. „Wie viel geiler konnte es noch werden?! Wir saßen da und weinten vor Freude.“
Gegen Portugal macht Gosens das Spiel seines Lebens
Diese Kurznachricht stammte tatsächlich vom Bundestrainer, sie erreichte ihn vor knapp einem Jahr und las sich wie folgt: „Hallo Robin. Hier ist Joachim Löw. Habe die Nummer von deinem Berater. Würde gerne die nächsten Tage mal mit dir telefonieren. Wann passt es am besten? Liebe Grüße.“
Wenige Wochen später, am 3. September, gab Gosens (26) sein Debüt in der deutschen Nationalmannschaft, am Samstag beim 4:2 in der EM-Partie gegen Portugal bestritt er das Spiel seines Lebens. Der Dauerrenner auf der linken Außenbahn, an allen deutschen Treffern beteiligt und Schütze des vierten Tores, fand das „magisch“ und „unglaublich“. Es ist zweifellos der (vorläufige) Höhepunkt einer Karriere, die ihn wie einen Exoten aussehen lässt. Außergewöhnlich ist der aufgeweckte, unverstellte Gosens, wenn man ihn mit den DFB-Kollegen und deren Werdegang vergleicht.
Der BVB hatte kein Interesse an Robin Gosens
Den WM-Triumph seiner heutigen Teamkollegen 2014 begoss Gosens - Vater Holländer, Mutter Deutsche - noch mit Bierchen und Freunden auf der Fanmeile in Bocholt am Niederrhein. Er hat nie in der Fußball-Bundesliga gespielt und nie ein Nachwuchsleistungszentrum durchlaufen. Fast wäre es 2011 soweit gewesen, doch Borussia Dortmund winkte ab. Karrieren, Entwicklungen sind schwer vorauszusagen, auch ein Kerem Demirbay oder Amos Pieper wurden einst beim BVB aussortiert, der Fall Marco Reus ist bekannt. Und bei Gosens sah es selbst bis 2017, er kickte in der ersten niederländischen Liga für Vitesse Arnheim, wirklich nicht mehr nach dem großen Leistungssprung in die internationale Spitze aus. Sein Marktwert damals: eine Million Euro.
Bei Atalanta Bergamo formte ihn Trainer Luciano Spalletti (Gosens: „Ihm habe ich alles zu verdanken“) zu einem Spielertypen, der gerade schwer gefragt ist: Er kann als „Schienenspieler“ auf der Seite passabel verteidigen und viel, viel Druck nach vorne erzeugen. Wucht und Wille, Dynamik und Durchsetzungsvermögen - mit ihm und seinem Konterpart Joshua Kimmich auf rechts formte Deutschland eine Flügelzange, unter deren Zugriff die Portugiesen am Samstag zerquetscht wurden und, als sich die DFB-Elf in einen Rausch spielte, die Orientierung verloren. Vier blitzsauber herausgespielte Treffer (Havertz, Gosens und zwei Eigentore) sowie eine Reihe weiterer Chancen hatten ihren Ursprung in diesem dynamischen Duo, das sich oft auf Höhe der Abwehrkette postierte und mit einer Mischung aus Power und Präzision nicht aufzuhalten war. Phasenweise, nickte Löw zufrieden, „haben wir die Portugiesen überfordert“.
Gosens kann sich eine Rückkehr nach Deutschland vorstellen
Gosens, als bester Spieler der Partie ausgezeichnet, sprach von einem Abend, an den er sich sein Leben lang erinnern werde. Vielleicht war dieser mitreißende, leidenschaftliche und begeisternde Auftritt der deutschen Elf auch eine Initialzündung für das EM-Turnier. Die ärgsten Zweifel sind ausgeräumt, Deutschland spielt plötzlich wieder modernen Offensivfußball mit Tempo, kluger Taktik und schönen Toren. Den Zugang zum Achtelfinale hat man vor dem finalen Gruppenspiel gegen Ungarn (Mittwoch, 21 Uhr) in der eigenen Hand.
Weil der Karriereweg von Gosens so außergewöhnlich ist, gibt es bereits eine Biographie. „Träumen lohnt sich“, lautet der vielsagende Titel. Eine Fortsetzung mit weiteren Kapiteln über die EM 2020 und die Bundesliga ist nicht ausgeschlossen. Eine Rückkehr nach Deutschland, verriet er, könne er sich gut vorstellen. Sein Marktwert liegt inzwischen bei 35 Millionen Euro. Tendenz steigend.
Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.
