Niko Kovac starrte ins Leere, in Gedanken versunken. Seine Antworten setzten sich auch bei der x-ten Pressekonferenz innerhalb weniger Wochen aus einfachen Sätzen zusammen. „Wir haben viel richtig gemacht, aber der Ball wollte nicht ins Tor“, schilderte der 53-Jährige in Leipzig das, was jeder gesehen hatte. Was sollte er auch sagen? Borussia Dortmund stand sich selbst im Weg. Nicht nur am Samstagabend beim 0:2 in Sachsen, auch nicht erst seit der im Berliner Wedding aufgewachsene Kroate als Cheftrainer fungiert.
BVB-Trainer stehen vor einem Rätsel
Dem fünften Coach in vier Jahren stellen sich dieselben Rätsel wie seinen Vorgängern. Aufgaben, die beim BVB offensichtlich niemand lösen kann. Die Mindesthaltbarkeit der Übungsleiter wird in der Makro-Perspektive immer kürzer, ohne dass einer der versuchten Ansätze dauerhaft Verbesserungen einleitet. Ja, die Bundesliga-Bilanz von Kovac mit vier Niederlagen in sechs Spielen ist „eine Katastrophe“, wie er selbst zugibt. Nach zehn Partien ist er aktuell der BVB-Trainer mit dem schlechtesten Punkteschnitt in diesem Jahrtausend. Damit ist keineswegs die Frage beantwortet, wer denn für die Misere im Kerngeschäft verantwortlich ist.
Weder der kantige Niko Kovac noch der sensible Nuri Sahin, nicht der temperamentvolle Edin Terzic und nicht der rastlose Marco Rose haben Borussia Dortmund dauerhaft in den Griff bekommen. Die unterschiedlich zusammengesetzte Mannschaft hat nachgewiesen, dass sie fabulös Fußball spielen kann - mindestens genauso oft aber auch demonstriert, wie leblos und einzelteilig dieses Gebilde eigentlich ist. Was selten bis nie gelungen ist, waren nachhaltige, dauerhafte Fortschritte, eine Serie von Siegen, eine fußballerische Entwicklung.
Unter Sahin klappte wenig, unter Terzic gab es gute und schlechte Phasen, Rose vergeigte die Cup-Wettbewerbe. Lucien Favre hielt den Klub zumindest über knapp zwei Jahre stabil stark. Doch der letzte Chef, der wie der Verein selbst einen Platz unter den Top 12 in Europa zurecht für sich reklamieren würde, wäre Thomas Tuchel. Dessen Engagement ist acht Jahre her. Seitdem hat sich der stolze BVB bei der Wahl der Trainer stets kleiner gemacht, als er ist, und nie eine stringente Linie verfolgt. Alle Trainer nach Überfigur Jürgen Klopp standen für andere Attribute. Der Fußball von Peter Bosz und Lucien Favre könnte kaum diametraler sein, die Ansätze von Nuri Sahin und Marco Rose verbindet nicht viel. Immer hat sich Borussia Dortmund angepasst statt andersherum. Das ist ein Missstand, den nicht zuletzt die für die Leitlinien zuständige oberste Klubführung um Hans-Joachim Watzke zu verantworten hat.
BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl sieht Fortschritte
Zurück in die Gegenwart: BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl verwies nicht ohne gute Argumente darauf, dass unter Kovac der Trend situativ nach oben zeige, zumindest im Vergleich zu den trübsten Wintermonaten unter Sahin. Gleichzeitig gibt es weiter diese Rückfälle in Apathie und fast Agonie, mal in einzelnen Spielen oder von einer Partie zur nächsten. Kaum hat Kovac defensive Stabilität einigermaßen eingebimst, fallen wieder Gegentore nach Standardsituationen. Mal erarbeitet sich Borussia Dortmund keine nennenswerte Torchance über 90 Minuten, dann wiederum gibt es Möglichkeiten in Hülle und Fülle. Manchmal verschläft die Elf den Start in ein Spiel, manchmal hört sie mitten in der Partie auf, Fußball zu spielen. Unter Konstanz steht in Dortmund nur eine Stadt am Bodensee, aber keine Eigenschaft mit verstetigtem Erfolg.
Wer soll aus dieser Mannschaft schlau werden, die nur aus Ich-AGs zusammengesetzt ist und keinen Zusammenhalt hat? Die sich weiter Disziplinlosigkeiten leistet, als gäbe es gar keine Krise? Die aus Spielern besteht, die nur selten ihr Leistungslimit erreichen?
Kovac ist mit der Erfahrung von Hunderten Bundesliga-Spielen als Profi und Trainer ins Trainingszentrum Hohenbuschei gekommen und hat nach wenigen Wochen jenen Punkt erreicht, an dem andere vor ihm auch früher oder später standen. Schulterzucken. Ratlosigkeit. Neuer Ansatz, neuer Anlauf. Von Umbruch zu Umbruch. Versuch und Irrtum. Dortmund und seine untrainierbaren Mannschaften.

Ob Zuckerbrot und Peitsche, Ballbesitzfußball oder Pressing und Umschalten – kaum einmal passt zusammen, was funktionieren muss: eine Auswahl talentierter bis hochbegabter Fußballer auf der einen und die Aufgabe, die große Mehrzahl der Spiele zu gewinnen, auf der anderen Seite. Eine unterentwickelte Leistungskultur, fehlende Stringenz bei der Spielidee, unglückliches Agieren auf dem Transfermarkt, zu viele satte Spieler mit teuren Verträgen - so lauten einige der Schlagworte in der Analyse. So hilflos wie ein Ertrinkender, der gegen die Strömung anschwimmt und versucht, wieder Boden unter die Füße zu bekommen, sucht der BVB nach Halt.
BVB-Fans liegen richtig
Den gibt es aber nicht. Auch nicht unter Kovac, doch das sagt weniger über dessen Qualität als Trainer aus, sondern mehr über den Zustand von Borussia Dortmund. Da lagen die treuen Fans auf der Südtribüne ganz richtig vor acht Wochen, als sie anprangerten: „Das Problem steht nicht an der Seitenlinie.“
Ob Kovac das über die laufende Saison hinaus beweisen darf? Möglich, aber fraglich. Viel hängt davon ab, wie gründlich Sportgeschäftsführer Lars Ricken sich aufzuräumen traut. Ob Sportdirektor Sebastian Kehl, dessen Einschätzungen intern immer häufiger für Stirnrunzeln sorgen, das Mandat für einen abermaligen Umbau erhält, darf bezweifelt werden. Ein Jahr ohne Europapokal-Teilnahme könnte, bei allem damit verbundenen Ungemach, einem Trainer und einem Sportdirektor die Chance bieten, einen radikalen Umbau zu starten. Endlich, als es nicht mehr anders geht.
BVB-Bosse müssen die Richtung vorgeben
Vielleicht hat Kovac auch daran gedacht in seinen stillen Sekunden in Leipzig: Man müsste bei Borussia Dortmund vieles auf den Kopf stellen, neue Leitplanken einziehen, aussortieren, in die Zukunft starten statt die Gegenwart zu beklagen oder schönzureden. Es ist ja so viel mehr möglich mit diesem nach wie vor großen Klub. Bleibt die Frage, wer diesen Neustart vorgibt und wer ihn umsetzen darf. Die Entscheidung muss jetzt fallen, und sie muss weit über die nahe Zukunft hinaus die Richtung weisen.
Teil 3 am Sonntag
Im dritten Teil der Krisen-Serie geht es um den Marktwertverfall des Teams. Ist der BVB ein schrumpfender Riese?
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 22. März 2025.