
© Guido Kirchner
Kein BVB, keine Bundesliga, kein Fußball: Nobby Dickel allein zu Haus
Borussia Dortmund
Der Ball ruht bei Borussia Dortmund, das Stadion bleibt auf unbestimmte Zeit leer. Was macht eigentlich ein Stadionsprecher, wenn keine Fans kommen dürfen? Ein Anruf bei Nobby Dickel.
Nobby „mich nennt nur meine Frau Norbert“ Dickel hat seine markante Lache nicht verloren. Sie schallt durch den Hörer, unverkennbar, immer mal wieder, und man könnte in diesen Momenten beinahe glauben, alles sei wie immer. Doch das, was Dickel sagt, passt nicht zu wie immer. Es ist ja auch nichts wie immer. Das Coronavirus hat in kurzer Zeit vieles verändert, auch im Fußball, auch bei Borussia Dortmund.
Nobby Dickel will wieder ins Büro fahren
Dickel sagt Sätze wie: „So eine Zwangspause habe ich auch noch nicht erlebt.“ Oder: „Das hier, das willst du einfach nicht haben.“ Und: „Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich bald gerne wieder ins Büro fahren würde.“
Sein Büro auf der BVB-Geschäftsstelle am Rheinlanddamm steht aktuell leer. Homeoffice ist das Gebot der Stunde. Härter aber trifft Dickel, dass auch das Großraumbüro, in dem er sonst jeden zweiten Samstag arbeitet, aktuell leer steht – und sich daran so schnell wohl auch nichts ändern dürfte. Dickel ist Stadionsprecher beim BVB. Der Signal Iduna Park, der kürzlich seinen 46. Geburtstag feierte, ist sein liebster Arbeitsplatz, seit mittlerweile 28 Jahren. Die Zeit als Spieler noch nicht einmal mit eingerechnet.
Borussia Dortmund wird seine Heimspiele in der näheren Zukunft, wenn überhaupt, nicht wie sonst vor über 80.000 Zuschauern austragen, sondern vor genau null Zuschauern. Geisterspiele, womöglich bis Jahresende oder sogar noch länger, sollen dafür sorgen, dass zumindest die TV-Gelder fließen, wenn es schon keine Zuschauereinnahmen gibt.
Nobby Dickel geht nicht zur Arbeit, er geht zum BVB
Wie geht ein Stadionsprecher damit um, wenn keine Fans mehr kommen dürfen? Noch dazu einer, der ab und an im Rausch der Emotionen zwar übers Ziel hinausschießt, aber bei dem es keine Zweifel daran gibt, dass er immer alles raushaut, wie es im Fußball zu oft heißt. Bei dem es keine Zweifel gibt, wenn er sagt, dass er nie zur Arbeit, sondern immer nur zum BVB gehe.
So richtig wolle er sich damit noch gar nicht beschäftigen, sagt Dickel. „Wir mussten es für das Derby im Kopf durchspielen, das ja erst kurz vorher abgesagt wurde und schon komplett durchgeplant war. Trotzdem: Ich weiß nicht. Alles komisch.“ Er wisse natürlich, dass es gerade viel wichtigere Dinge als Fußball gebe, erzählt der 58-Jährige, das stehe völlig außer Frage, „die Maßnahmen gegen das Coronavirus sind richtig“. Man bekomme die Zeit ja auch ohne Fußball irgendwie rum, „aber natürlich hofft man auch, dass es irgendwann wieder weitergeht“.
Die Decke falle ihm aktuell zu Hause noch nicht auf den Kopf, meint Dickel, passionierter Golfer, der gerade auch seiner zweiten großen Leidenschaft neben dem Fußball nicht nachgehen kann. „Trotzdem habe ich viel um die Ohren. Außerdem kann ich jetzt auch mal die Dinge erledigen, die ich sonst immer vor mir hergeschoben habe.“ Kurze Pause, dann das nächste Lachen. „Obwohl, wenn ich ehrlich bin“, sagt der ehemalige Stürmer, „habe ich die auch schon alle erledigt. Scheinen wohl nicht so viele gewesen zu sein.“
Stadionsprecher Dickel fehlt die Arbeit im Stadion
Und dann redet Dickel wieder darüber, wie sehr ihm die Arbeit im Stadion fehlt. „Mir fehlt alles, die ganze Umgebung, die Stimmung, die Menschen“, sagt er, „du musst wissen: Ich bin ja schon relativ alt – und wenn du dein ganzes Leben eigentlich immer nur mit Fußball zu tun hattest, dann ist es einfach eine Katastrophe, wenn du plötzlich zu Hause hängst und dich fragst, wie lange das noch so gehen soll.“
Wie lange es noch so gehen soll, das kann aktuell niemand wirklich seriös beantworten. Die Frage, wie es bei BVB-Heimspielen weitergeht, wenn in Dortmund irgendwann vor leeren Rängen gespielt, beantwortet Dickel zunächst einmal mit einem tiefen Seufzen. „Tja“, sagt er dann nach einer Weile, „wahrscheinlich wird es für mich nicht mehr besonders viel zu sprechen geben im Stadion. Ist ja niemand da.“ Dennoch werde er das, was noch zu tun sei, „genauso machen, wie ich es immer mache. Es ist einfach wichtig, dass es weitergeht, dass wir die Saison zu Ende spielen. Sonst wird es für manch einen Klub bedrohlich“.
BVB will an gewissen Ritualen auch bei Geisterspielen festhalten
Das „genauso machen wie immer“ beziehe sich vor allem auf die Zeit kurz vor dem Anpfiff. „Die letzte Viertelstunde, bevor es losgeht, die ist uns heilig“, sagt Dickel. „Da wird sich von meiner Seite so gut wie nichts ändern. Das mache ich auch für die Spieler. Wir haben das intern besprochen und uns gefragt, wie wir am besten mit der neuen und ungewohnten Situation umgehen können. Wir wollen zumindest ein bisschen das Gefühl vermitteln, dass wir ein Heimspiel haben.“ Auch ohne mehr als 80.000, die die Namen der Spieler und der Torschützen rufen.
Es gehe am Ende einfach darum zu versuchen, das Beste aus der neuen und ungewohnten Situation zu machen.
Er versuche daher, sagt Dickel, auch in dieser schwierigen Zeit das Positive zu sehen. „Die Leute können die Spiele, wenn es denn irgendwann weitergeht, alle im BVB-Netradio verfolgen“, sagt er. Er werde am Mikrofon jedenfalls alles geben, um neue Rekordquoten zu erzielen.
Und dann lacht er schon wieder.
Tobias Jöhren, Jahrgang 1986, hat an der Deutschen Sporthochschule in Köln studiert. Seit 2013 ist er Mitglied der Sportredaktion von Lensing Media – und findet trotz seines Berufes, dass Fußball nur die schönste Nebensache der Welt ist.
