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Jeremy Toljan auf dem Abstellgleis - wie lange wartet er auf seine Chance beim BVB?
Borussia Dortmund
Jeremy Toljan fristet beim BVB ein Schattendasein. Der U21-Europameister spielt unter Lucien Favre keine Rolle. Noch wartet er geduldig auf seine Chance. Die Frage ist: wie lange noch?
Wer wollte, konnte aus diesem kleinen Schauspiel durchaus Rückschlüsse auf Jeremy Toljans aktuelle Situation bei Borussia Dortmund ziehen. Als der BVB am Freitag zu Testspielzwecken bei den Sportfreunden Lotte gastierte, da überschlug sich der Stadionsprecher fast vor Euphorie, als er den Zuschauern vor dem Spiel ankündigen durfte, wer später alles auf dem Rasen auftauchen würde.
Es handelte sich nicht um die Vorstellung der Mannschaftsaufstellungen, es ging eine knappe halbe Stunde vor dem Anpfiff lediglich darum, die Fans nochmal ein bisschen einzustimmen auf dieses Fußballspiel, das zumindest für die Sportfreunde aus der dritten Liga ein besonderes war.
Toljans Name fehlt
Natürlich wurde „unser WM-Held“ Mario Götze in Aussicht gestellt, dazu „die Tormaschine“ Paco Alcacer. Julian Weigl, Shinji Kagawa, Marius Wolf. Selbst „Altmeister“ Ömer Toprak fand namentlich Erwähnung in den Ausführungen des Stimmungsmachers. Toljans Name, immerhin der eines U21-Europameisters, fiel nicht.
Die Situation des 24 Jahre alten Stuttgarters beim BVB kann man als komplex beschreiben, oder als zerfahren. Kurz vor Ende der Sommertransferperiode 2017 wechselte er von der TSG Hoffenheim, wo er nicht mehr erste Wahl war, nach Dortmund. Er kam auf den letzten Drücker – und geriet mit der gesamten Mannschaft in den Strudel einer sportlich wie mannschaftsintern schwierigen Spielzeit. Toljan ging mit unter.
Positiv für sich auslegen konnte er, dass er leistungsmäßig nicht stärker abfiel als andere Teamkollegen auch. Anders betrachtet muss er sich vorwerfen lassen, dass er auf dem Platz nicht so nachhaltig für sich werben konnte, dass die Trainer Peter Bosz oder Peter Stöger ihn unbedingt einsetzen mussten. Lucien Favre ist bereits der dritte BVB-Coach, bei dem Toljan weit entfernt ist von einem Stammplatz. Aktuell wohl weiter als je zuvor.
Am Freitagabend aber durfte der Außenverteidiger mal wieder 90 Minuten mitspielen. Toljan tat dies bis zur 89. Minute weitgehend unauffällig. Nach 17 Minuten hatte er aus aussichtsreicher Position einmal aussichtslos übers Tor geschossen, viel mehr war nicht. Doch in der 89. Minute nahm er sich dann ein Herz, ging im gegnerischen Strafraum mutig ins Dribbling und erzielte mit einem satten Linksschuss den 3:2-Siegtreffer.

In Lotte spielte Jeremy Toljan die vollen 90 Minuten - und erzielte am Ende sogar den 3:2-Siegtreffer. © imago
Wirklich jubeln wollte er darüber nicht, war ja nur Lotte. Aber einen kurzen Ausbruch der Freude wollte und konnte er auch nicht verbergen. Dieses Tor musste gut getan haben, dieses Tor tat gut.
Favre sprach nach dem Spiel über Toljan, wie er häufig über Spieler spricht, die bei ihm wenig bis keine Einsatzzeit bekommen. „Wir haben viele Links- und Rechtsverteidiger. Es gehört dazu, dass nicht alle spielen können“, sagte der Schweizer. Es sei aber wichtig für Toljan gewesen, mal wieder über 90 Minuten zu spielen. Mutmacher klingen anders.
Toljan selbst wollte sich in Lotte nicht zu seinem Auftritt äußern. Dabei hätte man ihn gerne gefragt, wie wertvoll die 90 Minuten nach den schwierigen letzten Monaten waren. Man hätte ihn auch gerne nach seinem Tor befragt, doch der ehemalige Junioren-Nationalspieler, über den U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz mal sagte, Toljan sei einer der am „meisten unterschätzten Spieler“, verschwand wortlos im Bus. Es ist nicht die richtige Zeit für Wasserstandsmeldungen.
Toljan blockte die Anfrage aus Neapel ab
Im zurückliegenden Sommer wäre die Chance auf eine Veränderung da gewesen. Sportlich spannend wäre für Toljan zum Beispiel die Option SSC Neapel gewesen. Champions League, Trainer Carlo Ancelotti, finanziell wäre der Rückschritt wohl auch nicht so gewaltig ausgefallen, dass Italien keine Reise wert gewesen wäre. Vom BVB hätte es keine Einwände gegeben. Aber Toljan blockte die Anfragen ab.
Man kann die Sache drehen und wenden, doch es spricht nicht gegen ihn, dass er mit seiner Zeit in Dortmund noch nicht im Reinen war und ist. Als Gescheiterter wollte er nach einem Jahr nicht von dannen ziehen. „Er hat das Gefühl, dass er sich dieser großen Konkurrenzsituation bei Borussia Dortmund stellen will“, erklärt sein Berater Michael Decker im Gespräch mit dieser Zeitung.
Der Haken dabei ist: Der Wettbewerb um die in der Regel drei Außenverteidiger-Plätze im Spieltags-Kader des BVB ist ein enges Rennen. Anfangs hatten die Platzhirsche Marcel Schmelzer und Lukasz Piszczek die Nase vorn. Nach Verletzungsproblemen an verschiedenen Stellen bekamen erst Abdou Diallo und dann Achraf Hakimi den Vorzug. Vor allem Letzterer ist aus der Mannschaft derzeit kaum wegzudenken.
Hakimi hat seine Chance genutzt
Hakimi hat seine Chance genutzt. Jene Chance, die etwa auch ein Dan-Axel Zagadou herbeigesehnt hat. Der junge Franzose galt als Innenverteidiger Nummer vier mit eher wenig Perspektive auf Einsatzminuten. Doch plötzlich rutschte er in die Mannschaft und erledigte seine Aufgabe reihenweise derart gut, dass er in der Hierarchie weit nach vorne gerutscht ist.
Beispiele wie das von Zagadou machen Toljan Mut. Auch der Trainer geht fair und ehrlich mit ihm um. Favre ruft auch die Reservespieler immer wieder zu sich, keiner bekommt den Eindruck vermittelt, er sei nicht erwünscht. Co-Trainer Edin Terzic erklärt: „Wir können nicht jedem Spieler die Minuten versprechen, die er vielleicht braucht. Aber was wir den Jungs versprechen können, ist die Aufmerksamkeit.“ Toljans Berater Decker sagt: „Jeremy fühlt sich überhaupt nicht ungerecht behandelt. Er wartet geduldig auf seine Chance.“
Kommt noch eine Chance für Toljan?
Ob und wann die Gelegenheit kommt, sich beim BVB zu beweisen, steht in den Sternen. Bislang durfte sich Toljan unter Favre, wie auch in Lotte, in Testspielen zeigen, dazu einmal über 90 Minuten in der U 23 in der Regionalliga West, und ein einziges Mal stand er im Spieltags-Kader der Profis. Beim 1:0 in Wolfsburg war das. Toljan blieb ohne Einsatz.
Selbst als auf den Außenbahnen große Not herrschte, wie etwa beim Auswärtsspiel bei Atletico Madrid in der Champions League (0:2), durfte Toljan zwar mitreisen, gehörte letzten Endes aber doch nicht zu den 18 Auserwählten, die es auf den Spielberichtsbogen schafften. Ändert sich an dieser Situation nichts, muss auch Toljan seine Situation neu bewerten. Stand jetzt gilt, dass er sich beim BVB durchsetzen will. Sein Vertrag läuft bis zum Sommer 2022. Viel Zeit, um die Dinge in Dortmund geradezurücken. Zu viel Zeit, um sie auf der Tribüne abzusitzen.
Tobias Jöhren, Jahrgang 1986, hat an der Deutschen Sporthochschule in Köln studiert. Seit 2013 ist er Mitglied der Sportredaktion von Lensing Media – und findet trotz seines Berufes, dass Fußball nur die schönste Nebensache der Welt ist.

Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.
