Beim BVB reicht es für Leonardo Balerdi noch nicht zum Debüt bei den Profis. Beim zweifachen Weltmeister Argentinien gehört er zur neuen Generation. Das sagt der 20-Jährige zu seiner Situation.
Kalter Wind pfeift durch den Gang, Leonardo Balerdi schiebt sich das von Schweiß und Regen durchnässte dunkelblonde Haar zurück. Der junge Argentinier steht zwischen dem Stadion Rote Erde und dem Signal Iduna Park. Soeben hat er mit der U23 von Borussia Dortmund gegen Rot-Weiß Oberhausen 2:0 gewonnen, die Abwehr des BVB stabilisiert, eine tadellose Leistung gebracht. Er bekommt reichlich Lob. Aber: Es ist eben nur Regionalliga, nicht die große Arena in seinem Rücken, sondern nur die kleine Bühne. Es ist noch nicht das Terrain, auf dem man einen 15,5 Millionen Euro teuren Transfer erwartet.
Leonardo Balerdi spielt seit Januar beim BVB
Seit Mitte Januar gehört Leonardo Balerdi zum BVB-Tross. Im Winter lotste ihn Sportdirektor Michael Zorc von den Boca Juniors in Argentinien nach Westfalen und griff dabei tief ins Portemonnaie. Abwehrspieler Manuel Akanji fiel zu der Zeit verletzt und auf unbestimmte Zeit aus, Balerdis Verpflichtung zogen die Borussen daraufhin vor.
Neun Monate später vermisst Balerdi nicht nur die wärmende Sonne Südamerikas, sondern auch Einsatzzeiten im Profifußball. Am Mittwochabend könnte es zu der doch sehr kuriosen Situation kommen, dass er sein erstes Spiel im großen Stadion, Balerdi blickt über die Schulter, nicht als BVB-Spieler bestreitet. Sondern im himmelblauen und weißen Hemd der argentinischen Nationalmannschaft.
„Das“, sagt Balerdi auf Nachfrage, „wäre natürlich etwas ganz Besonders für mich. Ich wäre sehr froh, wenn ich hier in Dortmund mit dem Nationaltrikot auflaufen kann.“ Für sein Land zu spielen, das sei doch das Größte, was man erreichen kann.
Balerdi steht viermal im Kader - aber noch nicht auf dem Feld
Der Sprung von den Boca Juniors zur Borussia „war hart“, betont er. Mit gerade einmal 20 Jahren tauchte er in eine völlig neue Welt ein, oder besser gesagt: Er tauchte ab. Gemessen an seiner Transfersumme, für die er keine Verantwortung trägt, und dem, was er bislang zu leisten imstande war für den BVB, ist Balerdi eine sehr teure Investition in die Zukunft.

Training mit den BVB-Profis: Leonardo Balerdi (r.) muss sich langsam an das Niveau des Bundesliga-Kaders heranarbeiten. © imago
Zurückgeben konnte der Spieler noch nichts. Viermal stand er im Profikader, blieb ohne Einsatz. Achtmal spielte er bei der „Zweiten“ in der Regionalliga. Und im September debütierte er für den zweifachen Weltmeister. Die Gauchos befinden sich seit der WM 2018 im Umbruch. Balerdi gehört zur neuen Generation, zu den Hoffnungsträgern.
„Dieser Wechsel“, wirbt er um Verständnis, „war ein großer Schritt für mich. Aber meine Familie unterstützt mich immer.“ Vater oder Mutter, auch der kleine Bruder sorgen in Dortmund für Heimatgefühle. Mit Mateu Morey, dem spanischen Rechtsverteidiger, verbringt er viel Zeit. Auch mit Achraf Hakimi oder Paco Alcacer kann er in seiner Muttersprache sprechen.
Balerdi: Ein außergewöhnlich guter Kicker und eleganter Verteidiger
Dass Balerdi ein außergewöhnlich guter Kicker ist, sieht man sofort. Ein eleganter Innenverteidiger, mit gutem Auge und starker Antizipation. Er spielt wenig Foul, dafür präzise Pässe mit links und rechts. In der Luft helfen ihm seine 1,87 Meter bei Kopfbällen. Er denkt und spielt vorwärts, nach vorne.
Nur allmählich, sagt er, habe er sich an die Spielweise in Europa gewöhnt. „In Deutschland wird sehr schnell Fußball gespielt, sehr technisch mit vielen kurzen Pässen“, erklärt er. In Argentinien sei das Spiel anders angelegt, mehr auf weite Schläge.
Kürzlich hat Trainer Lucien Favre ihn an die Seite genommen, mit ihm über seine Situation diskutiert. „Er braucht noch etwas Zeit, aber das ist ganz normal“, sagt der Schweizer. „Der Fußball in Argentinien ist ganz anders als in Europa. Das Tempo ist höher, die Distanz zwischen den Linien ist ganz anders.“
Die Eingewöhnungszeit läuft. Mitgebracht hat Balerdi sein herausragendes Talent und viel Bereitschaft, zu lernen. Aneignen muss er sich die andere Spielart. „Das war so geplant“, bestätigt Favre. Weil sein Schützling ein kluger Kopf ist, nimmt und gibt er sich die Zeit dazu.

Einsatz in der Regionalliga: Spielpraxis sammelt Balerdi in der U23 des BVB. © imago
„Die neun Monate waren bisher sehr gut für mich. Ich arbeite daran, noch weiter hochzukommen.“ BVB-Sportdirektor Michael Zorc attestierte ihm im August „große Fortschritte“.
Balerdi-Debüt im Signal Iduna Park steht bevor
Schritt für Schritt will sich Balerdi herantasten. Bislang musste er in Dortmund aus dem Kabinentrakt raus und über den zugigen Gang ins Stadion Rote Erde laufen. Am Mittwochabend könnte er zum ersten Mal mit Spielminuten in den Beinen durch den langen Spielertunnel im Signal Iduna Park laufen.
Dann könnte er wieder über seine Fortschritte reden. Über den Umbruch im Team der argentinischen Nationalmannschaft. An derselben Stelle, an der er vor wenigen Tagen noch über die viertklassige Regionalliga West gesprochen hat. Der Weg dazwischen: So nah, und doch so weit. Balerdi sagt: „Ich warte auf meine Chance. Und wenn sie kommt, werde ich bereit sein.“
Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.
