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Ex-BVB-Spieler Weigl exklusiv: Darum ist Guerreiro mein Lieblingsspieler
Nationalmannschaft
2016 gehörte Julian Weigl zum deutschen EM-Kader, seit 2020 spielt der ehemalige BVB-Profi für Benfica Lissabon. Im Interview spricht er über Portugal, die DFB-Elf, seine Pläne - und Guerreiro.
Viereinhalb Jahre trug Julian Weigl das Trikot von Borussia Dortmund, bevor er sich im Januar 2020 nach Portugal verabschiedete. Für den portugiesischen Rekordmeister Benfica Lissabon absolvierte der 25-Jährige seither 46 Pflichtspiele. Bei der EM 2016 stand er im Kader der deutschen Nationalelf - kam allerdings nicht zum Einsatz. Seine letzte Partie im Trikot des DFB-Teams liegt mittlerweile vier Jahre zurück. Im exklusiven Interview mit den Ruhr Nachrichten spricht Weigl über den Titelverteidiger, seinen ehemaligen Teamkollegen Raphael Guerreiro, seine Zukunftspläne und darüber, wie Joachim Löws Mannschaft am Samstag (18 Uhr, live in der ARD und bei Magenta TV) zum Erfolg kommen kann.
Wie ist die EM-Stimmung im Land des Titelverteidigers? Welche Begeisterung löst die Seleção aus?
Die Portugiesen haben sehr große Lust auf dieses Turnier, die EM ist seit Wochen großes Thema. Die Menschen sind immer noch sehr stolz auf den Erfolg von 2016. Und damit steigt natürlich auch die Erwartungshaltung. Viele haben den Wunsch und die Hoffnung, dass Portugal sogar den Titel verteidigen kann.
Mein Eindruck: Der Kader der Portugiesen ist nochmal stärker als vor fünf Jahren.
Die Mannschaft von 2016 muss ja auch schon gut gewesen sein, sonst wäre sie nicht Europameister geworden. Aber es stimmt schon: Der aktuelle Kader ist gespickt mit vielen Spielern, die bei den internationalen Topklubs Leistungsträger sind. Mit Ruben Dias habe ich bei Benfica zusammengespielt, der ist als bester Verteidiger der Premier League ausgezeichnet worden. Bruno Fernandes, Bernardo Silva und natürlich Cristiano Ronaldo – das ist eine sehr erlesene Offensive. Joao Felix oder Andre Silva, zweitbester Torschütze in Deutschland, kommen von der Bank – das sagt schon alles.
Portugal ist längst nicht mehr „nur“ Ronaldo.
Ja, die Verantwortung und die Belastung kann auf mehrere Schultern verteilt werden. Trotzdem ist Ronaldo immer noch der Unterschiedspieler. Das hat ja auch das erste EM-Spiel gezeigt, in dem er zweimal getroffen hat. Er gehörte und gehört zu den besten Fußballern aller Zeiten. Und auf mich macht er nicht den Eindruck, als sei er satt, müde oder älter geworden. Im Gegenteil, er will immer noch jedes Spiel gewinnen.
Welche Rolle spielt Borussia Dortmunds Raphael Guerreiro?
Eine ähnliche wie im Klub. „Rapha“ gehört, da muss ich mich outen, zu meinen absoluten Lieblingsspielern. Es macht einfach großen Spaß, mit ihm zusammen auf dem Platz zu stehen. In der Seleção ähnelt seine Rolle der beim BVB. Als linker Verteidiger wäre das nicht zutreffend beschrieben, er ist ein verkappter Spielmacher auf dem Flügel. Und torgefährlich: Gegen Ungarn hat er das wichtige 1:0 erzielt.

Viereinhalb Jahre trug Julian Weigl das Trikot von Borussia Dortmund. © imago / Simon
Top-Offensive, starke Verteidiger - etwas schwächer aufgestellt sind die Portugiesen nur in Ihrem Revier, im defensiven Mittelfeld, oder?
Da klingen die Namen nicht so gewaltig, aber als Schwachstelle würde ich das nicht bezeichnen. Portugal hat insgesamt eine sehr homogene, gut eingespielte Mannschaft.
Deutschland wiederum hat gerade im Zentrum eine überbordende Auswahl. Kroos, Gündogan, Goretzka, Kimmich, Can …
Im Mittelfeld sind wir unfassbar gut besetzt, und nicht nur dort. In Deutschland ist die Stimmung manchmal etwas kritisch, aber ich kann versichern: Portugal und alle anderen Länder haben sehr großen Respekt vor uns. Das war bei den Franzosen so, das wird auch am Samstag bei den Portugiesen so sein. Die werden erstmal sehen, dass sie sich gut positionieren, im Block sicher stehen, und dann mal schauen, was nach vorne möglich ist.
Nach dem 0:1 gegen Frankreich zum Auftakt gibt hier es eine lebhafte Debatte über das System und die Leistung: Kann eine Niederlage ein Fortschritt sein?
Deutschland wollte ja nicht verlieren. Und sie haben auch nicht schlecht gespielt, wie ich finde, sondern gegen die bärenstarken Weltmeister denkbar knapp verloren. Frankreich hat sehr gefährliche Konter gefahren und das Spiel vor allem im Mittelfeld dominiert, obwohl Deutschland mehr Ballbesitz hatte. Das sehe ich aber nicht als eine Frage des Systems. Man kann auch mit nur zwei zentralen Mittelfeldspielern die Partie kontrollieren und gefährlich werden, wenn die Flügelspieler und die Jungs aus der offensiven Dreierreihe die Halbräume gut besetzen, in die Tiefe gehen oder mit Kombinationen Überzahlsituationen schaffen.
Trauen Sie der DFB-Elf zu, dass sie Portugal schlagen kann?
Auf jeden Fall! Ein Weg könnte sein, sie in den Umschaltmomenten zu knacken. Da muss Deutschland schneller werden, ohne Umwege nach vorne spielen. Dann ist alles möglich. Tempo und Tiefe sind dabei die Schlüssel.
Mit welcher Gefühlslage verfolgen Sie die Spiele? 2016 gehörten Sie noch zum DFB-Kader, jetzt liegt das letzte Ihrer fünf Länderspiele bereits vier Jahre zurück.
Ich fiebere natürlich mit vor dem Fernseher und habe in den letzten Wochen oft an das Turnier 2016 zurückgedacht. Aber ich kann nicht sagen, dass ich große Hoffnungen auf eine Nominierung hatte. Beim deutschen Team gab es durchaus eine Aufbruchstimmung. Es ist auch toll zu sehen, dass wieder Zuschauer im Stadion sind. Das sorgt sofort für eine andere Atmosphäre. Hoffentlich kann die Mannschaft jetzt Fahrt aufnehmen und punkten.

2016 gehörte Julian Weigl ebenso wie Mats Hummels zum Kader der DFB-Elf. © imago / Schreyer
Abgeschlossen haben Sie mit der Nationalmannschaft aber noch nicht, oder?
Klares Nein! Aber ich weiß, dass ich mich nur ausschließlich durch gute Leistungen im Verein empfehlen kann. Also konzentriere ich mich darauf.
Laut Transfermarkt.de gehören Sie immer noch zu den 25 wertvollsten deutschen Fußballern. Liegt Benfica außerhalb des Radars?
Wir haben in der vergangenen Saison nicht in der Champions League gespielt, das ist sicher ein Nachteil gewesen. Da fehlt die Bühne, sich zu präsentieren. Und wir sind in der Liga nur Dritter geworden, das ist für so einen großen und beliebten Traditionsverein zu wenig. Persönlich habe ich eine gute Spielzeit hinter mir. Von den Fans bin ich zum Spieler der Saison gewählt worden, diese Anerkennung hat mich sehr gefreut.
Sie sind immer noch erst 25 - würde Sie eine Rückkehr nach Deutschland reizen? Oder in eine andere Top-Liga?
Dazu kann ich gerade nicht viel sagen. Ich habe einen langfristigen Vertrag bis 2024 unterschrieben, ich fühle mich sportlich wohl hier, auch privat mit meiner Familie. Die Entwicklungen sind wegen der Coronakrise schwer vorherzusehen. Keiner weiß, wie sich die Situation in den Vereinen und auf dem Transfermarkt in den nächsten Wochen darstellt.
Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.
