Für Tausende aktive Fans stand der BVB jahrelang an erster Stelle. Durch die Corona-Pandemie hat sich das geändert. Die entstandene Distanz könnte langfristige Folgen haben.

Dortmund

, 26.01.2021, 06:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

Ich geh‘ mit dir, egal wohin du willst, auch bis ans Ende dieser Welt“. Jahrelang war dieser Satz nicht nur eine Textzeile, die die BVB-Fans auf der Südtribüne inbrünstig gesungen haben. Es war die Lebenswirklichkeit Tausender Fans. Sie haben für den BVB gelebt, ihn tatsächlich überall hinbegleitet, zu jedem Spiel, egal wie weit. Für viele stand die Borussia sogar noch über ihrer Familie. Ein Leben für den BVB. Und dann kam die Pandemie und hat dieses Gefüge – vielleicht für immer – verändert.

Corona-Pandemie hat die BVB-Fanszene verändert

Fabian Rustemeier ist – oder zumindest war er es bislang – so ein Allesfahrer. Nicht nur bei jedem Heimspiel – Südtribüne, Block 12 – war er dabei, sondern auch bei fast jedem Auswärtsspiel. In der abgelaufenen Saison hatte er bis zur coronabedingten Saisonunterbrechung kein einziges BVB-Spiel verpasst. Und jetzt hat er seit zehn Monaten kein einziges BVB-Spiel mehr gesehen. Auch nicht im Fernsehen. „Ich schaue mir die Ergebnisse an, aber nicht die Spiele selbst“, sagt er. So wie er halten es zurzeit etliche Fans.

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Die Corona-Pandemie hat die Fanszene in zweierlei Hinsicht verändert – beides spielt ineinander. Zum einen haben sich viele Fans über das Verhalten der Fußballverantwortlichen zu Beginn der Corona-Pandemie geärgert. Zum anderen mussten sich die Fans – gezwungenermaßen – mit anderen Dingen als ihrem BVB beschäftigen. So ist eine Distanz entstanden, die anhält und die dem Fußball die Emotionalität nimmt, von der er lebt. Das Interesse hat nachgelassen und dieser Zustand könnte auch anhalten, wenn die Pandemie überstanden ist und die Fans zurück ins Stadion dürfen. „Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass eine deutliche Entfremdung der Fußballfans in ganz Deutschland stattfindet“, sagt Tobias Westerfellhaus aus dem Vorstand der BVB-Fanabteilung. Thilo Danielsmeyer, Leiter des Dortmunder Fan-Projekts und seit Jahren in der Dortmunder Fanszene unterwegs, beobachtet vor allem eines: „Gerade bei den jungen Fans gibt es die Tendenz, sich vom Fußball dauerhaft abzuwenden.“

„You‘ll never walk alone“ singen die BVB-Fans. Gilt das auch noch nach der Corona-Pandemie?

„You‘ll never walk alone“ singen die BVB-Fans. Gilt das auch noch nach der Corona-Pandemie? © imago / Kirchner-Media

Kritik am Fußball erreicht durch Corona ihren Gipfel

Seit Jahren hadert die aktive Fanszene mit dem Kurs des Fußballs, kritisiert die Kommerzialisierung, Internationalisierung, Materialisierung ihres Sports. „Es ging immer mehr um Geld und die Fans vor dem Fernseher, aber immer weniger um das, was die Fans im Stadion wollen“, sagt Fabian Rustemeier. „Es ist eine Gesamtentwicklung, die kaum aufzuhalten ist und Corona hat einem das noch drastischer vor Augen geführt.“ Es habe ihn und viele seiner Freunde zu Beginn der Corona-Pandemie extrem verärgert, wie sich die Verantwortlichen im Profifußball verhalten haben. Dass, obwohl alles stillstand, versucht worden sei, für den Fußball Sonderregeln durchzubringen, dass man unbedingt habe weitermachen wollen – auch ohne die Fans. „Es war ein großes Thema, dass der Fußball versucht hat, sich durchzumogeln“, sagt Rustemeier.

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In diese Kerbe stößt auch Tobias Westerfellhaus: „Der Fußball hat sich im ersten Lockdown keinen Gefallen getan, die Verantwortlichen haben seinerzeit mit der gesellschaftlichen Bedeutung für die Menschen argumentiert. Dabei ging es im Grunde darum, das eigene ‚System Profi-Fußball‘ aufrecht zu erhalten. Da war man einfach nicht ehrlich.“ Erste Konsequenzen dieser Entwicklung sind bereits zu spüren. Die Ultra-Gruppe Jubos hat sich bereits im vergangenen Frühjahr aufgelöst. Die Gründe dafür waren zwar vielschichtig, die Corona-Pandemie bot letztlich aber den Anlass, einen Schlussstrich zu ziehen.

„Viele haben gemerkt, dass es auch ein Leben ohne Fußball gibt“

Auch für andere aktive Fans waren die Entscheidungen der Verantwortlichen und die erzwungene Stadionpause Anlass, sich – zumindest zunächst – vom Fußball abzuwenden. Weil die Nähe fehlt, weil sie nicht mehr jedes Wochenende im Stadion stehen, ist für viele Fans der Fußball in den Hintergrund gerückt. „Viele haben gemerkt, dass es auch ein Leben ohne Fußball gibt“, sagt Tobias Westerfellhaus. Bei ihm, sagt Fabian Rustemeier, sei der erste Ärger mittlerweile verflogen. An dessen Stelle sei eine gewisse Gleichgültigkeit getreten. „Mit der Zeit hat sich einfach eine Distanz entwickelt, die die Emotionen aus der ganzen Sache nimmt“, sagt Rustemeier. „Mittlerweile beschäftigen mich die Themen rund um den BVB viel weniger.“

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Ähnlich sieht das auch Ramona Steding, die sich unter anderem bei „Schwatzgelb.de“ und dem Netzwerk „F_in - Frauen im Fußball“ engagiert. Sie spricht von einer Ent-Emotionalisierung. „Durch die fehlenden Stadionbesuche sind viele Routinen verloren gegangenen. Man kann nicht mehr austauschen, man erlebt den BVB nicht mehr zusammen“, sagt sie. Als aktiver Fan neige man dazu, den Fußball zu überhöhen. „Jetzt pendelt sich das wieder auf ein Normalmaß ein. Andere Dinge bekommen wieder mehr Aufmerksamkeit, vor allem die Familie.“ Sie schaue zwar die Spiele am Fernseher, aber viel weniger interessiert. „Allein der Fernseher schafft ja schon Distanz.“ Und je länger die Pandemie andauere, desto größter werde diese.

Die Sehnsucht nach dem BVB-Stadionerlebnis ist trotzdem da

In dieser Saison, das zeichnet sich ab, werden wohl keine Zuschauer mehr in den Stadien zugelassen. Wie es dann weitergeht, ist offen. Es könnte noch dauern, bis die Stadien wieder zu 100 Prozent gefüllt werden können. Wenn wieder alle Fans zugelassen sind – und erst dann - wird Fabian Rustemeier wieder hingehen. Auch Ramona Steding wird das tun. „Ich habe oft diese Erinnerung im Ohr, wie es ist, wenn das Stadion explodiert nach einem Tor. Das will man ja schon noch mal erleben.“ Viele, die im vergangenen Frühjahr angekündigt haben, nicht wieder ins Stadion zu gehen, werden vermutlich doch zurückkehren. Die Sehnsucht treibt sie. „Die Leute sind ja schon noch hungrig danach“, sagt Ramona Steding. Das, was die Fans vermissen, ist allerdings weniger der Fußball als vielmehr das Drumherum: die Begegnungen, das Erlebnis, die Freundschaften und Rituale.

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Uwe Pleß hat seit fast 40 Jahren eine Dauerkarte. Er, sagt er, sehne sich sehr nach Normalität, und das bedeute für ihn, wieder ins Stadion gehen zu können. „Die Alteingesessenen wie ich, die schon ewig ins Stadion gehen, die warten nur auf das Signal, wieder gehen zu können. Aber bei den jüngeren Fans sieht das sicher anders aus.“ Gerade zu Beginn der hundertprozentigen Fanrückkehr gebe es deshalb sicher erst einmal einen kleinen Hype. „Aber ob das langfristig so bleibt, wenn der erste Hunger gestillt ist, ist die große Frage“, sagt Ramona Steding. Die Corona-Pandemie hat die BVB-Fans verändert. Ein Zurück zur alten Normalität, das zeigen die Gespräche, scheint zurzeit kaum möglich.

Wenn die aktiven Fans sich künftig weniger für den BVB engagieren, dann könnte sich auch die Stimmung auf der Südtribüne ändern.

Wenn die aktiven Fans sich künftig weniger für den BVB engagieren, dann könnte sich auch die Stimmung auf der Südtribüne ändern. © imago / Kirchner-Media

Die Stimmung im BVB-Stadion könnte leiden

„Viele Menschen, die bisher 100 Prozent ihrer Zeit in den BVB investiert haben, könnten im schlimmsten Falle vielleicht nur noch 50 Prozent oder weniger investieren“, vermutet Tobias Westerfellhaus. „Es gibt nicht mehr diesen Drang, immer dabei sein zu müssen“, sagt auch Fabian Rustemeier. War es früher ein Drama, ein Spiel zu verpassen, könnte das demnächst als weniger schlimm empfunden werden. Das werde sich wahrscheinlich nicht in der Auslastung des Stadions zeigen, aber in der Zusammensetzung derjenigen, die dort hingehen. Genug Leute, meint Uwe Pleß, die ins Stadion gehen wollen, werde es immer geben. „Die Frage ist welche.“ Und wenn die aktiven Fans mit weniger Herzblut dabei sind, vielleicht auch nicht mehr jedes Spiel kommen, „dann wird sich das wiederum auf die Stimmung im Stadion ausschlagen“, sagt Fabian Rustemeier.

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Ob und wie engagiert die Fans in Zukunft sein werden, hängt aber auch davon ab, wie sich der BVB verhält. „Der Fußball muss aus Corona lernen. Die Fans müssen wieder in den Fokus rücken, dann gibt es auch einen gemeinsamen Weg“, sagt Ramona Steding. Auch der DFB habe im Sommer, unter anderem mit der Gründung der Taskforce Profifußball, viele Versprechungen gemacht, sich wieder mehr auf seine Fans zu besinnen, sagt Thilo Danielsmeyer. „Die aktiven Fans sind sehr kritisch.“

BVB-Boss Watzke: „Fußball muss zu Wurzeln zurückkehren“

In der Führungsetage des BVB ist man sich der fortschreitenden Entfremdung der Fans durchaus bewusst. Der Eindruck, dass nicht alles wieder wird wie vorher, ist längst erwachsen. In einem Interview mit dem Kicker sagte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke kürzlich: „Die Herausforderung ist groß, und klar ist, dass der Fußball ein Stück weit zu den Wurzeln zurückkehren muss.“ Eine Ent-Kommerzialisierung, wie die Fans sie sich wünschen, aber werde es nicht geben. „Wer wirklich das Gefühl hat, dass er sich von diesem Unterhaltungsfußball komplett verabschieden will, den respektiere ich. Aber wir werden diese Entwicklung nicht komplett verhindern können. Da können wir noch so viele Arbeitsgruppen einberufen.“

Ein aktuelles Beispiel für diese Diskrepanz zwischen Fans und Verein ist sicher das Vorhaben des BVB, einen Fan-Token zu implementieren. „Im normalen Spielbetrieb wäre das Thema deutlich präsenter und mit Nachdruck kritisiert worden“, sagt Tobias Westerfellhaus. „Aber so sorgt diese Entscheidung bei vielen Fans nur für noch mehr Kopfschütteln. Das ist bedenklich.“ Ramona Steding sieht es ähnlich. „Der Token bindet die Leute an das Produkt, aber nicht an den Verein. Wenn das der Weg ist, verliert der BVB die Fans.“

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