BVB-Trainer Lucien Favre. © imago / Kirchner-Media
Kommentar
Der BVB und Lucien Favre: Es sollten klare Sichtverhältnisse herrschen
Der BVB sichert das Minimalziel Vizemeisterschaft. Ein Titel bleibt im dritten Jahr nacheinander aus. Lucien Favres größter Makel ist das Abschneiden in den Pokalwettbewerben. Ein Kommentar.
Hans-Joachim Watzke wollte partout noch kein Saisonfazit ziehen, als er am Samstagabend auf der Autobahn seinem 61. Geburtstag entgegenfuhr. Erst noch das Spiel gegen Hoffenheim am letzten Spieltag abwarten, dann analysieren, dann Bilanz ziehen.
Dabei sind die wichtigsten sportlichen Entscheidungen für Borussia Dortmund seit Samstag endgültig gefallen. In der Bundesliga war man zu stark für 16 Vereine, aber nicht stark genug für den FC Bayern München. Es hat nicht gereicht für ganz oben, trotz einer guten Rückrunde. Der Abstand zum Branchenführer aus dem Süden ist größer als vor einem Jahr, der BVB wird mindestens vier Punkte weniger sammeln als in der Vorsaison. Das gehört zur Wahrheit genauso dazu wie die Tatsache, dass in der Champions League erneut im Achtelfinale Schluss war und der DFB-Pokal einmal mehr zu leicht hergeschenkt wurde.
Borussia Dortmund: Der erhoffte Schritt nach vorne ist ausgeblieben
Beim nackten Blick auf die Zahlen bleibt festzuhalten: Der erhoffte Schritt nach vorne ist in Dortmund trotz eines besseren und teureren Kaders ausgeblieben, der erhoffte Titel ist es, den Supercup mal ausgeklammert, ebenfalls. Die beiden sehr guten Halbserien, die es braucht, um die Bayern auf Strecke besiegen zu können, hat der BVB auch im zweiten Jahr unter Trainer Lucien Favre nicht auf den Rasen bekommen.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, und das lässt die Analyse beim BVB knifflig werden, dass die Entwicklung seit der Winterpause, als der Kader durch Emre Can und Erling Haaland noch einmal nachhaltig verstärkt wurde, in die richtige Richtung zeigt. Borussia Dortmund hat sich in der Defensive merklich stabilisiert und in der Offensive so viele Tore geschossen wie noch nie zuvor in einer Bundesliga-Spielzeit.
Favre hat beim BVB die Dreierkette zu spät eingeführt
Lucien Favre, vom Punkteschnitt her der beste BVB-Trainer der Vereinsgeschichte, muss sich vorwerfen lassen, dass er zu lange gebraucht hat, um zu erkennen, dass seine Mannschaft und seine Spieler mit einer Dreierkette deutlich besser aufgehoben sind als mit der vom Schweizer bevorzugten Viererkette. Es ist egal, ob alle großen Mannschaften dieser Welt mit Viererkette spielen, wenn Borussia Dortmund mit einer Dreierkette ganz offensichtlich erfolgreicher ist, weil Spieler wie beispielsweise Achraf Hakimi oder Raphael Guerreiro ihre Stärken dann am gewinnbringendsten einfließen lassen können.
Die Verantwortlichen müssen sich vorwerfen lassen, dass sie die Notwendigkeit eines weiteren Stürmers im vergangenen Sommer augenscheinlich unterschätzt haben. Man setzte auf Paco Alcácer und spielstarke Alternativen im eigenen Kader, was sich beim Blick in den Rückspiegel, wenn es freilich leicht zu sagen ist, nur als Fehler bewerten lässt. Es passte also nicht von Anfang an - und deswegen fällt am Ende das Ergebnis nicht so aus, wie es sich erhofft wurde. Es reicht nicht für die Bayern, wenn es keine rundum perfekte Saison ist, das gilt auf allen Ebenen.
Der BVB wird auf dem Transfermarkt nicht viel unternehmen
Die spannendste Frage ist nun, wie die Analyse der Entscheidungsträger in der Trainerfrage ausfällt. Am Kader wird der BVB aufgrund der Corona-Krise keine zu großen Veränderungen vornehmen können, er muss vielmehr in erster Linie darum kämpfen, die Leistungsträger zu halten. Achraf Hakimi steht vor der Rückkehr zu Real Madrid, um Jadon Sancho werden sich weiter Gerüchte ranken. Das Transferfenster bleibt aller Voraussicht nach bis in den Oktober geöffnet, es bleibt viel Zeit für Störgeräusche.
Hans-Joachim Watzke, Michael Zorc, Sebastian Kehl und Matthias Sammer werden sich in ihrer sogenannten Elefantenrunde also fragen müssen, ob es irgendwo auf dieser Fußballwelt einen verfügbaren Trainer gibt, der mehr aus dieser Mannschaft herauskitzelt als Favre in der Rückrunde. Und: Gibt es dafür eine Garantie? Für die Bosse wäre eine Entlassung Favres vermutlich das größere Risiko als eine Fortsetzung der Zusammenarbeit, dafür war die Rückrunde zu gut. Es hätte in der Vergangenheit deutlich günstigere Zeitpunkte für eine Trennung von Favre gegeben als diesen Sommer.
Wird der BVB mit Lucien Favre weiterarbeiten?
Das große Problem ist, dass der Kredit des Schweizers in Dortmund trotzdem nicht so groß ist, um auf eine ruhige Zukunft zu hoffen. Läuft es in der kommenden Saison nicht von Beginn an herausragend, geht das Theater, dem gewiss nicht nur, wie gerne behauptet, eine reine Medienaufführung zugrunde liegt, weiter. Und so ist es wohl auch kein Zufall, dass eine Trainerdiskussion von den BVB-Verantwortlichen auf der einen Seite bislang stets verneint wird, auf der anderen Seite aber auch keine Jobgarantie für Favre über den Sommer hinaus ausgesprochen wird.
Lange geht das Katz-und-Maus-Spiel nicht mehr gut. Noch eine Woche und einen Spieltag lang, um genau zu sein. Es sollten klare Sichtverhältnisse herrschen, wenn in Richtung neunte Deutsche Meisterschaft in See gestochen wird.
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