Die Verarbeitung des Anschlags am 11. April 2017 dauert bis heute an. © imago
Borussia Dortmund
Der Anschlag vom 11. April 2017 hat den gesamten BVB verändert
Die Erinnerungen werden vor dem Monaco-Spiel unweigerlich kommen: Am 11. April 2017 explodieren drei Sprengsätze, als der BVB-Bus auf dem Weg zum Stadion ist. Der Abend hat vieles verändert.
Wie eigentlich immer bei hypothetischen Fragestellungen lässt sich nur darüber spekulieren, welchen Verlauf diese K.o.-Runde seinerzeit für den BVB genommen hätte, wenn es den Anschlag nicht gegeben hätte, welchen Verlauf auch die restliche Saison genommen hätte. Oder welche personellen Konsequenzen es gegeben hätte. Der 11. April 2017 hat in vielen Bereichen bei Borussia Dortmund eine Zäsur bedeutet. Die, die im Bus saßen und direkt betroffen waren, werden ihn wohl niemals vergessen. Die Verarbeitung des Geschehens dauert bis heute an.
Glück im großen Unglück
Der BVB ist auf dem Weg zum Signal Iduna Park an diesem kühlen Frühlingsabend. Wie immer hat die Mannschaft vor Spielen im L’arrivèe übernachtet, dem Teamhotel im Dortmunder Süden. Der Weg zum Stadion ist nicht allzu weit, etwas mehr als zehn Kilometer nur. Der Bus aber kommt nicht einmal bis zur Hauptstraße. Um kurz nach 19 Uhr gibt es einen lauten Knall, in schneller Serie erschüttern zwei weitere Explosionen das knapp 500 PS starke und über 20 Tonnen schwere Gefährt. Der Bus kommt zum Stehen, im Innern herrscht Chaos. Panik breitet sich aus.
Ziemlich in der Mitte des Busses sitzt Marc Bartra. Der spanische Innenverteidiger der Borussia wird von Metallstiften getroffen, die sich in seinen Unterarm bohren, er ist der einzige Spieler, der körperliche Schäden davonträgt. Die Zusammensetzung der Sprengkörper hätte Schlimmeres anrichten können, das wird später deutlich, als im Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter Sergej W. die Sachverständigen das Wort haben. Im Unglück hat der BVB an diesem Abend riesiges Glück. Bartras Unterarm ist gebrochen, er wird noch in der Nacht operiert und trägt in den folgenden Wochen eine Manschette. Die Verletzungen, die man nicht sehen kann, verändern das Leben vieler Spieler.
Dortmund befindet sich im Schockzustand
Als die Dimension des Geschehens deutlich wird, breitet sich der Schockzustand über die ganze Stadt aus. Das Spiel gegen Monaco findet nicht statt an diesem Abend, aber der Anstoß wird nur um rund 22 Stunden verschoben. „Wahnsinn“ sei das gewesen, sagt Ex-Kapitän Marcel Schmelzer später, „niemand hat in der Nacht geschlafen, niemand hat an Fußball gedacht.“ Ein Team im Ausnahmezustand. Und doch muss es kaum einen Tag später funktionieren. Das klappt nur bedingt, und nach dem 2:3 brechen in der Dortmunder Kabine alle Dämme. „Da kamen die Emotionen richtig raus, da gab es Tränen bei jedem Spieler“, verrät Torhüter Roman Bürki später in einem Zeitungsinterview.
Das Urteil gegen den mutmaßlichen Attentäter Sergej W. soll Anfang November gesprochen werden. © imago
Sportlich bleibt Dortmund in den folgenden Wochen auf Kurs. In der Champions League ist die Hypothek des 2:3-Hinspiels zwar zu hoch, auch die emotionale Rede, die der eigens eingeflogene Bartra in der Kabine des Stade Louis II in Monaco hält, kann der hoch verunsicherten Mannschaft nicht helfen. Borussia Dortmund scheidet nach einem 1:3, das begleitet ist von vielen groben Fehlern, aus der Königsklasse aus. Der große Traum, nach 2013 noch einmal ins Finale dieses größten Vereinswettbewerbs einzuziehen, platzt.
Tuchel hinterlässt verbrannte Erde
In der Liga aber verliert die Elf von Thomas Tuchel kein Spiel mehr, qualifiziert sich erneut für die Champions League und holt im Mai in Berlin den DFB-Pokal. Der Erfolg kann die Risse zwischen Trainer und Team und das längst gestörte Innenverhältnis zwischen Trainer und Vereinsführung allerdings nicht kaschieren.
Tuchel hinterlässt verbrannte Erde in Dortmund. Während ihm sportlich kaum etwas vorzuwerfen ist, weil er den Klub nach Ende der Ära Klopp in die fußballerische Moderne führt, lässt der verbissene Taktiker auf dem Gebiet der sozialen Kompetenz, die es beim Führen einer Fußballmannschaft auch benötigt, beinahe alles vermissen. Der Pokalsieg kann das nicht kitten, weil Tuchel vor dem Endspiel den für den verletzten Julian Weigl eigentlich gesetzten Nuri Sahin aus dem Kader schmeißt.
Keine Bedenken gegen den neuen Spieltermin
Sahin wird im Team enorm wertgeschätzt. Und das Vertrauensverhältnis zur sportlichen Leitung nimmt endgültig irreparablen Schaden, als Tuchel in den Stunden nach dem Sprengstoff-Anschlag die Neuansetzung durch die UEFA - und damit indirekt auch die BVB-Führung als Vermittler in den Gesprächen mit dem Verband - massiv kritisiert. Im Gegensatz zu seinen öffentlichen Äußerungen gibt es vom Trainer intern keine Bedenken gegen den neuen Spieltermin.
20. Mai 2017: Marc Bartra nach dem 4:3 im letzten Saisonspiel gegen Werder Bremen vor der Südtribüne. Eine extrem emotionale Situation. © imago
Der Sprengstoff-Anschlag wirkt in vielen Situationen und in vielen Entscheidungen nach. Bartra übersteht die körperlichen Folgen schnell. Innen drin aber sieht es aber ganz anders aus. Aus Spielerkreisen ist zu hören, dass Bartra sich verändert hat nach diesem Tag. Dass er sehr nervös wirkt und unkonzentriert, ständig abgelenkt. Dabei war er als Frohnatur sehr geschätzt im Mannschaftskreis. Bartra wird die innere Anspannung nicht mehr los, er macht auch in der neuen Saison immer wieder leichte Fehler. Weil ihn zu vieles an diesen 11. April erinnert.
„Der Anschlag hat den gesamten BVB verändert“
Das Teamhotel, die Fahrten im Bus, das Dortmunder Stadion. Der Anschlag ist für Marc Bartra allgegenwärtig. Er leide immer noch unter Albträumen, gesteht er im Prozess mit leiser Stimme. So reift der Entschluss, etwas grundlegend zu verändern. Am 30. Januar 2018 beendet Marc Bartra nach 18 Monaten das Kapitel BVB und kehrt in seine Heimat zurück. Auch Sven Bender verlässt Borussia Dortmund, er geht schon im Sommer, weil er sportlich keine Chance mehr sieht. Aber auch er gesteht, „dass der Anschlag die Entscheidung mit beeinflusst hat.“ Andere wie Nuri Sahin und Torhüter Roman Weidenfeller bestätigen im Prozess, fortlaufend psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die wenigsten können das Geschehen einfach abhaken. „Der Anschlag“, sagt Weidenfeller, „hat den gesamten BVB verändert.“
Das Gesicht der Dortmunder Mannschaft seither auch. Nur noch sieben Spieler (Bürki, Piszczek, Weigl, Guerreiro, Schmelzer, Kagawa, Pulisic), die 24 Stunden nach dem Anschlag im Kader für die Partie gegen Monaco standen, gehören heute noch dem BVB-Profikader an. Vor dem Spiel seien die Ereignisse von vor 18 Monaten „kein großes Thema“ gewesen, sagt Innenverteidiger Manuel Akanji. Dennoch wird es für die Spieler, die damals betroffen waren, kein leichtes Spiel am Mittwoch. Das zeigte sich schon im März und April, als im Prozess die Spieler nacheinander ihre Aussagen machen mussten und die Ereignisse wieder greifbar, wieder real wurden. „Dieser Anschlag“, meinte damals der mittlerweile für Werder Bremen spielende Nuri Sahin, „wird mich mein Leben lang begleiten.“
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