BVB-Trainer Edin Terzic verschwand mit versteinerter Miene in der Kabine. Er benötigte zehn Minuten zur Abkühlung, bevor er nach dem 2:4 in Mönchengladbach seinen Interview-Marathon bestreiten konnte – angesichts der desaströsen Abwehrleistung seiner Mannschaft verständlich. Sportdirektor Sebastian Kehl wählte bedacht seine Worte, um Schärfe in der Kritik nicht mit Schärfe in der Sprache zu verwechseln. Julian Brandt, bester Borusse, legte bemerkenswert offen dar, was seiner Mannschaft beim Verteidigen fehlt.
BVB gibt ein erschütterndes Bild ab
„Mit dem ersten Ballverlust fressen wir das erste Gegentor. Das ist für mich Kategorie: Unvermögen“, urteilte Brandt. Das Dilemma mit den frühen Rückschlägen in Spielen ist alles andere als neu. In Wolfsburg oder Leipzig fielen die Treffer in der sechsten Minute, in Gladbach in der vierten und in der 46. Minute. Was läuft da falsch? Brandt meint klipp und klar: „Uns fehlen die letzte Konsequenz im kollektiven Verteidigen, die Konzentration, die Bereitschaft und der Wille, den Zweikampf unbedingt zu gewinnen.“ Jedes Punkt für sich ist ein Makel, addiert ergibt die Liste ein erschütterndes Bild.
Offensichtlich hat Borussia Dortmunds Mannschaft vergessen, was sie zu Saisonbeginn noch ausgezeichnet hat. Vom gemeinsamen, konzertierten Abwehrverhalten, das noch im August und September vier 1:0-Siege und damit eine erkleckliche Punktausbeute verschafft hat, ist nicht mehr viel zu sehen. Laut Brandt fehlt es an Grundsätzlichem. An der Abstimmung, an teamtaktischer Geschlossenheit und Disziplin.
16 BVB-Gegentore in acht Auswärtsspielen
„Bei uns habe ich manchmal das Gefühl: Einer geht raus in den Zweikampf, wird überspielt. Dann kommt der nächste, dasselbe Problem. Wir müssen lernen, zu funktionieren wie ein Fischschwarm. Wenn einer nach rechts geht, dann ziehen alle mit. Es gibt viele Mannschaften in der Bundesliga, die das hervorragend machen. Die damit erfolgreich sind. Das funktioniert bei uns nicht ausreichend.“ In acht Bundesliga-Auswärtsspielen haben die Borussen 16 Gegentore geschluckt, und folgerichtig fünf Niederlagen. Trotz eines formidablen Torhüters Gregor Kobel.
Explizit bezog Brandt in seine fundamentale Kritik sämtliche Feldspieler ein. Auch Kehl legte den Finger in die Wunde, beklagte die kollektive Passivität. „Es ist immer ein Nachschieben, ein Nachrücken, den Rückraum besetzen. Wenn wir so gemeinsam verteidigen, dann können wir nicht erfolgreich sein.“ Von einem Miteinander im Spiel gegen den Ball kann kaum die Rede sein. „Wie wir solche Zweikämpfe führen, der eine verlässt sich auf den anderen, so kann man kein Bundesliga-Spiel gewinnen“, schimpfte Kehl.
BVB landet immer wieder auf dem Hosenboden
Die Fußballer aus der Arbeiterstadt Dortmund können oder wollen nicht malochen. Doch gute Mannschaften, Spitzenmannschaften, zeichnet aus, dass sie immer die Basics beherzigen und dann ihre fußballerische Klasse draufsatteln. Beim Versuch, diese Reihenfolge zu ändern, landet der BVB immer wieder auf dem Hosenboden.
„Kompakt verteidigen, auch wenn wir hoch pressen“, das hatte Terzic seiner Elf mit auf den Weg gegeben. „Schon der erste Impuls war nicht gut, wir sind zu langsam angelaufen, dadurch hatte der Gegner zu viel Zeit.“ Die weiteren Fehler seien dann eine Folge gewesen, eine fatale Kettenreaktion. „Besonders im Nachrückverhalten das Spielfeld klein zu halten“ sei nicht gelungen. „Da waren wir am Anfang der Saison deutlich besser. Da konnten wir häufig die Null halten. Daran konnten wir jetzt nicht anknüpfen.“
BVB verteidigt wie ein Hühnerhaufen
Eine Statistik wie die „Expected Goals“ kann bei der aufgewühlten Debatte Aufschluss geben. Der Beleg: Bei den drei Auswärtsspielen in Kopenhagen (22 Torschüsse/ 2,56 xGoals), in Wolfsburg (15/2,92) und Mönchengladbach (15, 2,53) hat der BVB verteidigt wie der sprichwörtliche Hühnerhaufen. Bei Terzics Elf kann man sich nicht darauf verlassen, dass zumindest erst einmal die Abwehr steht. Zu keinem Zeitpunkt.
„Wenn man sich die Gegentore anschaut, wird man sehen, dass es zu wenig ist“, befand Kehl. „Wie wir das vierte Tor verteidigen, nämlich gar nicht! Und das ist etwas, was wir nicht verstehen. Wir sensibilisieren in der Halbzeit, man hatte auch das Gefühl, jeder weiß, dass wir dieses Spiel noch drehen können. Und dann gehen wir raus und schenken es her. Da fehlt mir, ehrlich gesagt, auch gerade der Ansatz, weil: Das ist nicht zu erklären. Und da muss sich jeder an die eigene Nase fassen.“
BVB-Trainer Terzic: „Direkte Analyse“
Terzic kündigte eine „harte, ehrliche und direkte Analyse“ an. Ob das eines Tages Wirkung zeigt, lässt sich erst ab Ende Januar begutachten. Bei vielen Fans schwindet so langsam der Glaube an diese Mannschaft.
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