Das Rätselraten um den unerklärlichen Zusammenbruch einer Mannschaft, die sich anschickte, den Bayern ernsthaft die Meisterschale streitig zu machen, wird nach dem zweiten desaströsen Auftritt binnen weniger Tage noch zunehmen. Was nur ist passiert in der Bundesliga-Pause, dass eine zuvor gefestigte Elf wie die der Dortmunder Borussia, nach einer bis dahin fast makellosen Serie nach der Winterpause belohnt mit der Tabellenführung, plötzlich wie von allen guten Geistern verlassen über den Rasen und von einer Verlegenheit in die nächste stolpert?
BVB-Trainer Edin Terzic ist ratlos
Borussia Dortmunds Auftritt in Leipzig, in der Art und Weise, wie die Mannschaft dieses K.o.-Spiel bestritt sogar noch deutlich dramatischer als die Partie in München, hat Schockwellen durch den gesamten Verein rasen lassen. Abzulesen bei zwei Protagonisten: Trainer Edin Terzic, der völlig fertig, ratlos, aber immerhin nicht sprachlos seine Spieler in zuvor so nicht gekanntem Maße in den Senkel stellte.
Und Sportdirektor Sebastian Kehl: geschockt, getroffen, komplett gezeichnet von 95 Minuten, die sich nicht angedeutet hätten, wie er erklärte und die ihn und alle auf der Bank daher umso härter trafen. Beiden stand eine Sorge ins Gesicht geschrieben: Dass Borussia Dortmund womöglich binnen sieben Tagen alles verspielen könnte, was man sich seit der schonungslosen Aufarbeitung der Hinrunde in der Winterpause in mühsamer Kleinarbeit aufgebaut hatte.
Haarsträubende BVB-Harmlosigkeit
Wer auf einen einmaligen Ausrutscher gehofft hatte, weil es war ja München, und da sieht Borussia Dortmund ja traditionell seit Jahren kein Land, der wusste in Leipzig schon nach drei Minuten, dass dieser Optimismus unangebracht war. Wie ein Tsunami rollte Angriffswelle um Angriffswelle aufs Dortmunder Tor zu. Und da war niemand, der das stoppen konnte.
Das paarte sich mit einer haarsträubenden Harmlosigkeit in der Offensive. Im Spiel bei den Bayern hatte der BVB immerhin ja noch einige Angriffsaktionen und schoss zwei Tore, die die eigentliche Chancenlosigkeit einigermaßen kaschierten. In Leipzig schoss Dortmund zum ersten Mal in der Nachspielzeit aufs RB-Tor. Und es mutete grotesk an, dass der Schuss von Jamie Bynoe-Gittens den BVB fast noch in die Verlängerung gebracht hätte, weil es nur 0:1 stand, nachdem sich RB bei der Chancenverwertung äußerst dumm angestellt hatte.
BVB-Kapitän Marco Reus taucht ab
Höchst besorgniserregend war allerdings das Dortmunder Verteidigungsverhalten. Was da in den ersten 45 Minuten über den BVB hereinbrach, fasste Marco Reus ziemlich treffend zusammen. Leipzig habe seinen BVB „aufgefressen“, meinte der Kapitän und wurde damit konkreter als es sein Spiel während der gesamten 90 Minuten gewesen war. An Reus lässt sich ganz gut beschreiben, wie diese Mannschaft zu ticken scheint. Lässt man sie machen, schalten und walten, dann kann das sehr ansehnlich sein, mit schönen Elementen und begeisternden Kombinationen. Steht man dieser Mannschaft auf den Füßen, setzt sie unter Druck und bringt ihr eine gesunde Portion Härte entgegen, verkriecht sie sich in ihren Kaninchenbau.
Aus diesem Holz sind keine Meister geschnitzt. Das Unerklärliche ist dabei, dass diese Haltung auch die Spieler befällt, die eigentlich nicht in erster Linie für Spielkultur stehen, sondern die man geholt hat, weil sie bekannt dafür sind, Widerstand zu leisten, auch mal „dreckig“ zu spielen.
Kann BVB-Trainer Edin Terzic Krise?
Ästheten wie Holzhacker muss binnen weniger Tage ein Trainer zurück in die Spur führen, der noch nie so angeschlagen wirkte wie am Mittwochabend. Edin Terzic stand während seiner Interimsmission nach einer Achterbahnfahrt beinahe schon vor dem Scherbenhaufen einer ganzen Saison, damals rettete er den BVB mit einem Schlussspurt mit acht Siegen in Serie in die Königsklasse. So fertig wie in Leipzig erlebte man den 40-Jährigen aber damals nicht. Ab sofort ist der BVB im Krisenmodus, und die Frage ist nicht nur, ob die Mannschaft Krise kann. Sie lautet auch: Kann Terzic Krise?
Das Gute am Fußball ist, dass am Samstag alles schon wieder ganz anders aussehen kann. Würde irgendwie zu diesem kuriosen Saisonverlauf passen, wenn der BVB am Samstagabend wieder Tabellenführer wäre. Nach dem Spiel in Leipzig wird die Zahl der Optimisten dahingehend allerdings weiter abnehmen.
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