Es gibt unterschiedliche Indikatoren, dieses Dilemma aufzuzeigen. Einen Fingerzeig geben die nüchternen Daten. Nur neun der 19 Pässe von Julian Brandt landeten am Dienstagabend beim Mitspieler. Der Zehner strahlte null Torgefahr aus, war insgesamt nur 31 Mal am Ball. 16 Mal verlor er die Kontrolle über das Spielgerät und brachte seine Mannschaft in die Bredouille. Das Champions-League-Achtelfinale gegen den OSC Lille lief, kurz zusammengefasst, komplett an Borussia Dortmunds Spielmacher vorbei.
BVB-Fans stöhnen bei Brandt-Fehlern
Dafür gab es auch akustische Belege. Ein lautes Stöhnen ging durchs Stadion, als Brandt beim Versuch eines Absatzkicks scheiterte oder als er den vergleichsweise einfachen Steckpass auf Julian Ryerson über wenige Meter völlig falsch dosierte, den Ball nicht sanft in den Fuß des einlaufenden Rechtsverteidigers schob, sondern mit zu viel Tempo Richtung Werbebande pöhlte. Und noch offensichtlicher: Nach einer gelungenen Gegenpressing-Aktion gemeinsam mit Serhou Guirassy sprintete Brandt Richtung Grundlinie, von wo aus er die Kugel nicht zu einem der gut positionierten Mitspieler schickte, sondern auf Kniehöhe quer durch den Strafraum drosch. Das Echo auf die misslungenen Aktionen war deutlich hörbar.
Julian Brandt, der zentrale Mann im offensiven Mittelfeld des BVB, steckt in einer tiefen Formkrise. Nach zwei Partien Pause – Muskelverhärtung, keine Verletzung – versuchte es Niko Kovac nochmal mit dem Blondschopf in der Startelf. Der Trainer wurde genauso enttäuscht wie die Fans, die allerdings deutlich früher auf die schwache Vorstellung reagierten als der Verantwortliche an der Seitenlinie. Brandt bringt’s gerade nicht.
„Julian war total bemüht, läuferisch sehr aktiv, fußballerisch in der einen oder anderen Situation zwar nicht so glücklich, aber das wird uns nicht weiter aufhalten“, wählte Sebastian Kehl eine milde Variante der Analyse für Brandts vergeigten Arbeitstag (RN-Note 5,0).
Brandt-Überhöhung durch BVB-Trainer
Den potenziellen Führungsspieler starkzureden hat Methode beim BVB. Ex-Trainer Edin Terzic überhöhte ihn, als er dessen Wichtigkeit mit der von Weltstar Kevin de Bruyne bei Manchester City verglich. Nuri Sahin wagte den Vergleich mit Florian Wirtz von Bayer Leverkusen und Jamal Musiala vom FC Bayern, auch Kovac äußerte sich so. Wie viel Überzeugung hinter diesen Wertschätzungen steckt, ist fraglich. Es handelt sich eher um politische Aussagen und Versuche, dem Spielmacher Selbstvertrauen einzuflößen.

Das gelingt nicht. Nur alle 175 Minuten eine Torbeteiligung – das ist die harte Währung für die laufende Spielzeit und ein klarer Abfall gegenüber der konstant guten Vorsaison (125 Minuten pro Scorer). Der Klub, die Fans, Brandt selbst, alle erwarten mehr vom Nationalspieler. Die gestiegenen Anforderungen durch das Aufrücken in der internen Hierarchie und der damit verbundene Druck, auch abzuliefern zu müssen, hemmen den 28-Jährigen eher, als dass sie ihn beflügeln. Die interne wie externe Kritik nimmt er wahr, er hört sie im Stadion von den Rängen, er hört sie hinter verschlossenen Türen. „Das geht nicht spurlos an mir vorbei, die Situation trifft mich sehr“, sagte er. Als intelligenter Junge wünschte er mehr sachliche Einordnungen und bekrittelte das Schwarz-Weiß-Denken („In diesem Klub läuft es entweder gut oder ganz, ganz schlecht“). Allem voran muss, das weiß er auch, Leistung stehen. Und die stimmt gerade nicht.
BVB steckt im Dilemma
Brandts Malaise ist auch Borussia Dortmunds Malaise. Auf seiner Position gibt es derzeit nur Giovanni Reyna als Alternative, solange Kovac das System nicht umstellt, und der junge US-Amerikaner ist mindestens genauso weit von seiner möglichen Topform entfernt. Felix Nmecha fehlt mindestens noch bis nach der Länderspielpause Ende März, und beim ausgeliehenen Carney Chukwuemeka, der diese Rolle auch bekleiden könnte, ist ungewiss, wann und ob überhaupt der junge Engländer eine ernsthafte Alternative darstellen kann.
Schon im Winter wollte der BVB gerne Rayan Cherki von Olympique Lyon verpflichten, scheiterte jedoch mit dem (zu spät eingereichten?) Abwerbeversuch. Weitere Optionen werden intern geprüft. Brandt (Marktwert 35 Millionen Euro) und Reyna (Marktwert 12 Millionen Euro) stehen beide bis 2026 unter Vertrag, könnten im Sommer noch Ablöse einbringen. Während bei Reyna die Zeichen klar auf endgültige Trennung stehen, kann Brandt sich noch bewähren. Wer einen Blick in die Kommentarspalten wirft, muss resümieren, dass der Kreditrahmen beim Anhang allerdings zurzeit ausgeschöpft ist.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 6. März 2025.