Julian Brandt machte sich als Erster auf den kurzen Weg. Aus dem Kabinentrakt im Frankfurter DFB-Campus runter auf den Trainingsplatz sind es nur wenige Meter. So unbeliebt der Juni-Termin für die Länderspiele auch ist: Wer wie Brandt nominiert ist, will die Chance nutzen und sich ein Jahr vor dem Start der EM 2024 bei Bundestrainer Hansi Flick in den Fokus spielen.
Brandt von BVB-Kollegen umgeben
Das gelang Brandt wenige Minuten später auch mit einem perfekten Kopfball in den Winkel. Die lockere Übung mit einer Passfolge von der Dreierkette über die Flügel bis in den Strafraum lockerte die Beine, und für den Dortmunder Borussen vielleicht auch das Gemüt. Nach dem missratenen Saisonfinale in der Bundesliga und der verpassten Deutschen Meisterschaft könnte Urlaub gut tun – oder eben gleich wieder die Kugel an den Fuß zu bekommen. Neben Brandt spielen auch seine Vereinskameraden Nico Schlotterbeck, Emre Can und Marius Wolf bei Flick vor. Youssoufa Moukoko wurde kurzfristig als Trainingsgast ebenfalls in die Main-Metropole beordert. Am Sonntag geht es für den Youngster weiter ins Trainingslager der U21, die sich in Südtirol auf die Europameisterschaft vorbereitet.
Beim Wiedersehen in Frankfurt bemerkte Lukas Klostermann, mit Leipzig gerade zum zweiten Mal hintereinander DFB-Pokalsieger geworden, „unterschiedliche Gefühlslagen bei allen Spielern“. Bei den RB-Jungs ist die Laune glänzend, bei den Vertretern des Deutschen Meisters FC Bayern München dürfte das trotz des Titels unrühmliche Saisonfinale noch in den Köpfen stecken. Und die aktuell fünf Dortmunder Borussen im Aufgebot von Flick hätten nach dem haarscharf verpassten Triumph in der Bundesliga wohl auch nichts gegen Urlaub einzuwenden gehabt. Doch die Pause muss warten.

Dem aktuellen Lehrgang kommt auch ohne ein Pflichtspiel große Bedeutung zu. In ziemlich genau einem Jahr, ab 14. Juni 2024, beginnt die Europameisterschaft im eigenen Land. Nach den vergeudeten Großturnieren seit 2018 bietet sich die außergewöhnliche Gelegenheit, die Fußballnation und die DFB-Elf wieder miteinander vertraut zu machen. „Wie bei der WM 2006“, meint Mittelstürmer Timo Werner, müsse es das Ziel sein, „die Fans wieder mitzureißen“. Er weiß wie alle im schwarz-rot-goldenen Kader: „Wir haben was gutzumachen, stehen in der Bringschuld. Es liegt an uns, damit gleich im ersten Spiel zu beginnen.“
Länderspiel-Dreierpack
Vorrunden-Aus bei den Weltmeisterschaften in Russland und Katar, chancenlos gegen England im Achtelfinale der EM 2021, das sind die Fakten. Und nicht nur die Resultate stimmten nicht. Über die wahre Leistungsstärke dürften auch die Testspiele beim aktuellen Lehrgang keinen endgültigen Aufschluss geben. Das Team von Bundestrainer Hansi Flick trifft am kommenden Montag (ab 18 Uhr, live im ZDF) in Bremen auf die Ukraine, am 16. Juni (ab 20.45 Uhr, live in der ARD) in Warschau auf Polen und am 20. Juni (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) in Gelsenkirchen auf Kolumbien.
Ein besonderes Augenmerk will Flick auf die Defensive richten. Es soll wieder schwieriger werden, gegen Deutschland Tore zu erzielen. Dazu wird auch die Dreierkette ausprobiert, um flexibler agieren zu können. „Mit der Dreierkette haben wir eine bessere Organisation in der Restverteidigung, das könnte helfen, um Sicherheit zu gewinnen“, beschrieb Klostermann die Vorzüge. Ob diese Variante offensiver oder defensiver sei, liege auch am vorhandenen Personal und den Aufgaben für die einzelnen Spieler. „In der Praxis ist das sowieso häufig ein schwimmender Übergang“, sagte der frühere Bochumer. Helfen sollen die Länderspiele auch dabei, „ergebnisorientierter“ zu spielen, wie es Bundestrainer Flick formulierte.
Flick mit hoher Erwartung
Um das Maximum aus seinen Spielern herausholen zu können, verlangt Flick von ihnen eine tadellose Arbeitsauffassung. Die hat ihm bei Innenverteidiger Niklas Süle offenkundig gefehlt, der nicht nominierte Dortmunder bekam von Flick öffentlichkeitswirksam eine Schelte verpasst. „Ich finde, er lässt noch einiges liegen. Ich will, dass er von seiner Einstellung, von seiner Mentalität einen Schritt nach vorne macht“, sagte Flick in einem FAZ-Interview über Süle, der seit seinem A-Team-Debüt vor sieben Jahren auf 45 Länderspieleinsätze kommt. Bei den drei jüngsten deutschen Turnierflops war der Verteidiger jeweils dabei.
Flicks Affront gilt aber wohl nicht nur dem BVB-Abwehrhünen, sondern allgemein als Warnung an alle EM-Kandidaten: Potenzial reicht nicht, 90 Prozent Leistung reichen nicht. Deutschland liegt international im Hintertreffen. Die stolze Fußballnation muss aufholen. Wer bereit und in der Lage ist, dabei mitzuwirken, sollen die nächsten rund zwei Wochen bei der Nationalmannschaft zeigen.
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