In der Nachspielzeit eines lange ideenlosen Auftritts im kleinen Revierderby meldete sich Borussia Dortmund doch noch einmal vor dem Tor von Bochums Manuel Riemann an. Der eingewechselte Jamie Bynoe-Gittens kam zum Abschluss, der Schuss freilich flog zu zentral auf den Keeper des VfL. Riemann wehrte ab, die letzte BVB-Chance verpuffte.
BVB läuft weniger als Bochum
Das eigentlich bemerkenswerte an dieser Szene: Bynoe-Gittens‘ Aktion in der 90.+5. Minute war die erste echte Torannäherung seit dem Außenpfosten-Schuss von Felix Nmecha 30 Minuten zuvor. Eine Mannschaft, die sich über Jahre auch durch ihre Fähigkeit zu einem fulminanten Schlussspurt definierte und die so etliche Partien spät noch drehen konnte, hatte vergeblich nach Mitteln gesucht, um den „kleinen“ VfL Bochum in die Knie zu zwingen. Der hatte am Ende durch den Pfostenschuss von Patrick Osterhage sogar noch die beste Chance zum Lucky Punch.
Die Statistik zur Laufleistung wies die Borussia nach der Partie als die unterlegene Mannschaft aus. 114,3 Kilometer, das war am zweiten Spieltag Liga-Durchschnitt, aber 1,5 Kilometer weniger als beim Sieg gegen Köln und satte 4,8 weniger als der VfL Bochum, der wie erwartet um sein Leben gelaufen war. Fehlte dem BVB gegen diesen wehrhaften Gegner die nötige Wettkampfhärte, um spät noch eine Wende zum Positiven herbeizuführen? Die Diskussionen über eine mangelnde Fitness der Mannschaft wurden anschließend ebenso intensiv wie die über die kaum erkennbare Spielidee geführt. Die Statistiken liefern dazu einige interessante Daten.
300 Pässe mehr als vor einem Jahr
Im Vergleich zu den ersten beiden Spieltagen der Vorsaison mit den Partien gegen Leverkusen (1:0) und in Freiburg (3:1) schneidet der BVB in einigen Bereichen sogar noch besser ab. Die aktuelle Mannschaft spielte satte 300 Pässe mehr als vor einem Jahr, mit einer leicht höheren Erfolgsquote. Sie zog in den 180 Minuten 32 Sprints mehr an als vor Jahresfrist und flankte häufiger.
Doch in einigen entscheidenden Kategorien lässt sich ein leichter Negativtrend erkennen. Auf den Flügeln entwickelte Dortmund deutlich weniger Durchschlagskraft, ging zwar ebenso häufig ins Dribbling, entschied aber wesentlich weniger der wichtigen Eins-gegen-Eins-Duelle für sich. Nur 16 Prozent Erfolgsquote sind mehr als dürftig und zwingend ausbaufähig. Auch führte Dortmund weniger Zweikämpfe – mit einer zudem etwas schlechteren Erfolgsquote.
Deutlich weniger BVB-Torschüsse
Nicht immer bieten Statistiken verlässliche Begründungen für erkannte Defizite oder auch positive Entwicklungen. Interessant ist der Vergleich der ersten beiden Saisonspiele dieser Spielzeit mit zwei Partien aus der Endphase der vergangenen Saison – hier beispielhaft das 1:1 in Bochum, eine Partie, die Dortmund lange bestimmt hatte, und das 3:0 beim FC Augsburg am vorletzten Spieltag, das der Borussia die Titelchance wieder in die eigenen Hände spülte.

Nicht nur Julian Brandt sah seine Kollegen und sich nach dem farblosen Spiel in Bochum am Wochenende „noch nicht wieder da, wo wir vor drei Monaten waren“. In der Tat schoss Dortmund seinerzeit viel häufiger aufs gegnerische Tor (50:27 Torschüsse), begünstigt durch mehr Sicherheit im eigenen Aufbau, die auch aus einer höheren Passquote resultierte. Damit kompensierte der BVB auch eine deutlich schlechtere Zweikampfbilanz (48:52,5 Prozent).
Schlechte Quote bei Dribblings
Der interessanteste Wert lässt sich bei den Dribblings erkennen. 44 Mal setzten BVB-Spieler in den beiden Partien am Ende der vergangenen Spielzeit zum Eins-gegen-Eins an, zwei Sprints mehr als jetzt zum Start der neuen Spielzeit – vor einigen Monaten aber mit dem deutlich höheren Erfolgsfaktor (47,72 zu 38,09 Prozent). In Bochum setzte der BVB 17 Mal zum Dribbling an, gewann aber nur vier dieser Duelle. Hier spielt Brandt eine wesentliche Rolle. Mit ihm auf dem Flügel ist Dortmunds Spiel zu selten an der Linie orientiert. Brandt sucht fast nie das Duell entlang der Seitenlinie, zieht stattdessen gern mit Tempo in die Mitte. Das taktische Mittel, mit einem gewonnenen Duell außen die Verteidigung aufzureißen, kam viel zu selten zum Tragen.
Nicht alle Daten stützen den Eindruck, dass der BVB weniger fit in die Saison gegangen ist – für einige Spieler gilt das gleichwohl. Auf die Probleme einer nicht reibungslosen Vorbereitung durch Verletzungsprobleme zum Beispiel bei Nico Schlotterbeck oder Felix Nmecha hat Trainer Edin Terzic nach der Begegnung in Bochum hingewiesen. Auch Marcel Sabitzer hat erkennbar zu kämpfen, mit zunehmender Müdigkeit ging beim Ex-Bayern die Genauigkeit in seinem Spiel verloren.
Terzic setzt auf Training und Zeit
Terzic setzt bei der Rückerlangung alter Schärfe und Sicherheit vor allem auf gemeinsame Zeit auf dem Trainingsplatz und auf den Faktor Zeit. Mehr Training mit mehr gesundem Personal bewirkt auf Dauer eine bessere Performance, diese Formel galt schon in der langen WM-Pause der vergangenen Saison, aus der die Borussia wie verwandelt kam.
Sechs Wochen intensives Training wie im Winter, dieser Luxus ist Terzic aktuell aber nicht vergönnt. Die positive Entwicklung muss schneller erkennbar sein, unter schwierigeren Rahmenbedingungen. Mit dem Heimspiel gegen Heidenheim am Freitag (20.30 Uhr) endet quasi die verlängerte Vorbereitung. Nach der Partie verabschiedet sich ein Großteil des Kaders in Richtung Nationalmannschaften, nach der Rückkehr der Spieler startet die Champions League. Spätestens dann muss Borussia Dortmund ein besseres Gesicht zeigen – sonst droht ein ungemütlicher Herbst.
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