Edin Terzic wusste es, aber dieses Gefühlschaos in seinem Innern ließ sich in diesem Moment nicht stoppen. Da saß nicht nur ein nach dem Last-Minute-Ausgleich zum 3:3 zutiefst gebeutelter Trainer im Presseraum des VfB Stuttgart, der erklären sollte, was nicht zu erklären war. Da saß auch ein tief enttäuschter und glühender Anhänger des Klubs, den er trainieren darf. Einer, der wusste, dass seine Mannschaft eine große Chance vertan hatte.
BVB-Trainer Terzic übt öffentlich Kritik
Und so warf der 40-Jährige in diesem Moment die Maxime über Bord, die in seinem Leitfaden für das Führen einer Mannschaft ganz oben zu finden ist. Die Öffentlichkeit, führte er aus, sei ja eigentlich „der Raum, in dem ich uns und unsere Energie beschützen möchte.“ Terzic als Hüter einer Herde, wie ein Vater, der schützend seine Arme ausbreitet und seine Kinder um sich versammelt, wenn es brenzlig wird. Doch das, was da passiert sei, „war so unnötig, so dumm.“ Terzic fällte ein vernichtendes Urteil über sein Team. Und so titelte die „Süddeutsche Zeitung“ am Tag nach dem Spiel: „Papa ist frustriert“. Das traf seinen Gemütszustand in diesen Minuten nach dem Abpfiff ziemlich gut.
Kritik in der Öffentlichkeit: normalerweise nur allgemeiner Art, nie auf der persönlichen Ebene. Jeder sei wichtig, sagt Edin Terzic stattdessen lieber, und das gilt, zu wem auch immer er befragt wird. Umso schmerzhafter war die Erkenntnis, von denen, die für ihn wichtig sind, zum wiederholten Male enttäuscht worden zu sein. Der Spagat zwischen enttäuschtem Fan, der gleichzeitig Profi-Trainer der Gruppe ist und rationale Bewertungen vornehmen muss, war wohl nie schwieriger als in den Stunden nach dieser denkwürdigen Partie. „Ich wollte an dem Abend (in Stuttgart, Anm. d. Red.) mit niemandem reden. Ich wollte das einfach sacken lassen und am Sonntag mit der Mannschaft sprechen. Wir sind so nah dran an der Meisterschale wie lange nicht mehr“, sagte Terzic am Donnerstag auf der Pressekonferenz vor dem Topspiel gegen Frankfurt (Samstag, 18.30 Uhr, live auf Sky).
Terzic wird von den BVB-Profis im Stich gelassen
Im Regen von Stuttgart stand Terzic am Ende des Spiels mutterseelenallein da. Im Stich gelassen von seiner Mannschaft – und das nicht zum ersten Mal. Beispiele lieferten nicht nur die sechs Bundesliga-Partien, die in der Hinrunde verloren gingen und die dafür sorgten, dass der BVB als Tabellensechster mit einem riesigen Aufgabenpaket in die zweimonatige Winterpause ging. Schon da hatte Dortmund das Glück in einem zu großen Maße strapaziert, siegte zum Beispiel gegen Leverkusen, in Freiburg und in Frankfurt sehr glücklich.
Durch all diese Partien zogen sich Phasen, in denen, wie der Trainer es beschreiben würde, der BVB den aufgezeichneten Weg, die klare Linie oder schlicht die taktische Marschroute verließ. Der BVB zeichnete zu häufig in dieser Saison das Bild einer Mannschaft, in der in Stresssituationen die gemeinsame Arbeit auf der Strecke blieb, in der zu viele Spieler dann ihr eigenes Ding machten. Zu Lasten der Kompaktheit und Stabilität. Das Phänomen schien sich nach der Winterpause verflüchtigt zu haben, trotz mühsamer Siege zum Start gegen Augsburg und in Mainz. Beim 2:2 auf Schalke, nach der Länderspiel-Pause dann geballt in München, in Leipzig und nun in Stuttgart, kehrte es mit Wucht zurück.
Terzic trägt beim BVB die Hauptverantwortung
Terzic hat dieses Problem von seinen Vorgängern übernommen. Wie sie kämpft er bisweilen vergeblich dagegen an. Nach all diesen Partien hat sich der 40-Jährige in der Analyse auch selbst hinterfragt. Das gehört zu seinem Credo, Teil der Gruppe zu sein. Nur ein Teil des Erfolgs, wenn es läuft. Ein Teil des Problems, wenn die Dinge nicht so funktionieren. „Ich bin der, der die Hauptverantwortung trägt“, sagte er auch am Samstag, sichtlich mitgenommen von einem Spielverlauf, den er am Reißbrett wohl ausgeschlossen hätte. Vor dem Frankfurt-Spiel meinte er: „Der Ehrgeiz muss unsere Motivation sein. Wir dürfen unsere Wut nicht falsch kanalisieren.“
Terzics Maßnahmen, mit denen er das sich anbahnende Unheil in Stuttgart stoppen wollte, fruchteten diesmal nicht, auch wenn Giovanni Reyna erneut ein Joker-Tor erzielte. Die richtigen Worte habe man gefunden, meinte Terzic zur Ansprache in der Pause. „Ich glaube, auch die richtigen Lösungen.“
BVB verliert in Stuttgart die Kontrolle
Doch seine Wechsel waren diskutabel. Dass Mats Hummels zur Pause signalisierte, nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte zu sein, beraubte Terzic später einer zusätzlichen Einwechsel-Option und erschwerte die Gedankenspiele vor allem in den letzten 25 Minuten des Spiels, als Dortmund schon erkennbar die Kontrolle verloren hatte. Terzics personelle Korrekturen waren positionsgetreue Wechsel. Sie änderten nicht die Struktur der Mannschaft.
Diese hätte aber spätestens mit dem Anschlusstreffer zum 1:2 mehr Kontrolle in Ballbesitz gebraucht, was eigentlich für die Hereinnahme von Mahmoud Dahoud sprach, der zudem dabei hätte mithelfen können, neben dem unsicheren Salih Özcan das Zentrum zu verdichten. Auf Tempo bei möglichen Kontersituationen (Bynoe-Gittens) zu setzen, statt das eigene Tor besser zu beschützen, dieser Schuss ging nach hinten los.
BVB-Trainer Terzic bleibt optimistisch
Am Ende seiner Ausführungen gelang es Terzic, den Blick nach vorne zu richten. Noch mit mehr Trotz als Zuversicht, aber immerhin. Tabellarische Veränderungen hat die Partie im Schwabenland nicht bewirkt, vor allem keine Verschlechterung der Ausgangslage. Ein wichtiger Fakt, den der Trainer in dieser Woche in den Mittelpunkt der Analyse gerückt haben wird.
BVB vor wegweisendem Topspiel gegen Frankfurt: Drei Wackelkandidaten und ein neuer Ausfall
BVB-Sponsor sauer, Fans auf Konfrontationskurs: Debatte um Stadionnamen neu entfacht
BVB bereitet sich auf Frankfurt vor: Exklusive Bilder – Profis auf und neben dem Platz gefordert