Immer Glück zu haben, das sei Können, hat der weise Fußballtrainer Hermann Gerland einmal gesagt. Besonders viel Pech anzuhäufen, muss demnach Unvermögen sein – und damit wären wir bei Borussia Dortmund. Im elementar wichtigen Bundeliga-Auswärtsspiel bei RB Leipzig erspielt der BVB nach der Pause Großchancen fast im Minutentakt – und geht beim 0:2 (0:1) dennoch mit leeren Händen vom Platz. Den nächsten Rückschlag im verzweifelten K(r)ampf, in der Tabelle doch noch von inzwischen Platz elf nach oben zu klettern, mussten sich die Schwarzgelben selbst ankreiden. Die Borussia lässt einfach zu viele Chancen liegen.
BVB lässt zahlreiche Chancen liegen
Als die Mannschaften nach dem Pausenpfiff von Schiedsrichter Dr. Matthias Jöllenbeck in die Kabinen gingen, schnappte sich Karim Adeyemi nochmal den Ball. Flach mit links, präzise in die Bande – so hätte er wenige Sekunden zuvor auch gerne abgeschlossen. Einmal setzte er sich auf dem rechten Flügel durch, den folgenden Versuch von der Strafraumkante lenkte RB-Torhüter Peter Gulacsi mit den ausgestreckten Fingern um den Pfosten. Pech gehabt, BVB, weil kurz zuvor auch Maximilian Beier mit freiem Schussbild nicht konsequent genug agierte (43.). Angesichts der noch folgenden Flut an allerbesten Einschussmöglichkeiten in Durchgang zwei waren das sogar noch Kleinigkeiten.
Mit einer unveränderten Startelf wollte Trainer Niko Kovac nach dem 2:1 in Lille auf ein erfolgreiches, eingespieltes Team setzen. Das ging über weite Strecken von Durchgang eins schief, weil RB die rechte Dortmunder Seite als Einfallstor für Angriffe ausgemacht hatte und ein ums andere Mal gefährlich durchbrach. Waldemar Anton, von dem nicht nur Sportdirektor Sebastian Kehl sagt, er sei „als Innenverteidiger besser“, ließ sich von Leipzigs David Raum immer wieder düpieren.
Xavi Simons schockt den BVB
Einen ersten Fauxpas von Anton – der von Vordermann Adeyemi komplett im Stich gelassen wurde – bügelte Kapitän Emre Can noch aus, auf Kosten einer Gelben Karte (10.). Dann durfte Raum flanken, und nur die Latte verhinderte den Treffer von Lois Openda (14.). Vier Minuten später stand Anton hilflos gegen gleich zwei Leipziger verloren im Niemandsland. Xavi Simons hatte den Ball dorthin verlagert, im Zentrum fiel ihm der Abpraller wieder vor die Füße, das 1:0 für die Gastgeber ging vollauf in Ordnung (18.).
Dass es nur bei dem einen Erfolgserlebnis für die krisengeschüttelte Elf von Ex-BVB-Trainer Marco Rose blieb, war für den BVB ein glücklicher Umstand. Nicht nur beim Lattenkracher von Ridle Baku (35.) hätte es im Kasten von Gregor Kobel klingeln können. Zwischenzeitlich musste auch noch Marcel Sabitzer nach einem Zusammenprall im eigenen Strafraum verletzt ausgewechselt werden. Ramy Bensebaini kam herein, Kovac stellte auf Dreierkette um. Doch Dortmund gewann nur knapp 40 Prozent der Zweikämpfe und hatte im Vorwärtsgang lange Zeit nicht viel mehr als das Prinzip Hoffnung anzubieten. Beim Gestochere um zweite Bälle kamen die Borussen mehrheitlich zu spät. Erst kurz vor der Pause ergaben sich die ersten Gelegenheiten.
BVB-Abwehr bei Leipziger Eckball im Tiefschlaf
Wie absurd ein Fußballspiel verlaufen kann, erlebten die 47.800 Zuschauer nach dem Seitenwechsel. Weil die BVB-Abwehr bei einem Leipiziger Eckstoß pennte, durfte Lois Openda entspannt mit einem Volleyschuss vom hinteren Pfosten auf 2:0 stellen (48.). Zum Spielgeschehen auf dem Rasen passte das überhaupt nicht.
Die Borussen attackierten die Tiefe und den Gegner, fanden im Minutentakt den Weg in den Leipziger Strafraum. Ein selten gesehenes Chancenfestival in Schwarzgelb mit einem halben Dutzend bester Einschussmöglichkeiten – allerdings ohne Tor für Dortmund. Serhou Guirassy köpfte drüber (47.), Beiers Kopfball klatsche abgefälscht an den Querbalken (50.), dessen Aufsetzer landete – unglaublich – nur am Außenpfosten (52.). Adeyemi zielte zu hoch (55.) und traf die Latte (62.), Guirassy scheiterte freistehend am RB-Schlussmann (62.). Eine Mischung aus Pech, Unvermögen und fehlender Entschlossenheit – und ein Wucher in einer Gesamtsituation, in der jedes Tor und jeder Punkt in der Tabelle ungemein wertvoll sein können!
BVB rutscht auf Bundesliga-Rang elf an
Längst hatten die Gäste die Partie im Griff, während Leipzig sich kaum noch befreien konnte. Bei 13:1-Torschüssen nach dem Seitenwechsel fand einer den Weg über die Linie – der eine von RB. Eine Welle nach der anderen rollte aufs Tor der Sachsen zu. Und alle versandeten. Die unfreiwillige Schaumkrönung des Ganzen: Pascal Groß zielte aus acht Metern freistehend fünf Meter über das leere Tor und vergrub danach das Gesicht in den Händen (76.). Genug davon? Noch lange nicht: Nico Schlotterbecks Direktabnahme rauschte Zentimeter am Pfosten vorbei (79.). An der elften (!) Saisonniederlage änderte sich nichts mehr, und das hatten sich die Borussen einmal mehr nur selbst zuzuschreiben. Auf die xGoals mag man mal mehr, mal weniger geben. In diesem Fall drückte das Verhältnis von 2,9 zu 2,0 zugunsten des BVB das Übergewicht nur sehr bedingt aus.
Angesichts des Dortmunder Restprogramms mit Spielen in München und Leverkusen, aber auch gegen die direkte Konkurrenz aus Mainz, Freiburg und Mönchengladbach, wird es schwer bis unmöglich, noch Champions-League-Platz vier zu erreichen. Viel grundsätzlicher muss der BVB daran arbeiten, zu irgendeiner Form von Konstanz in den eigenen Leistungen zu finden. Am Sonntag in zwei Wochen geht es gegen das Bundesliga-Überraschungsteam FSV Mainz 05 (17.30 Uhr).