Seit zwei Monaten ist Thomas Broich Sportlicher Leiter des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) von Borussia Dortmund. Die ersten Wochen beim BVB hat der 43-Jährige genutzt, um bei seinem neuen Klub die wichtigsten Protagonisten und Strukturen kennenzulernen. Das ist unerlässlich, denn der Ex-Profi treibt einen Paradigmenwechsel bei der Jugendarbeit voran. Nun hat sich Broich in einem Vereinsinterview erstmals näher zu seiner Arbeit geäußert.
Broich kümmert sich um BVB-Spielkonzeption
„Es war ein Prozess, der über ein paar Monate ging. Der BVB hatte Spielkonzeption als einen Bereich identifiziert, in dem es weitere Potenziale gibt, und Spielkonzeption ist mein Steckenpferd. Damit habe ich mich in den vergangenen Jahren, fast schon ein Jahrzehnt lang, viel beschäftigt. Lars Ricken hat genau da Möglichkeiten für den nächsten Entwicklungsschritt gesehen. Dann haben wir schnell Nägel mit Köpfen gemacht“, berichtet Broich von den ersten Gesprächen mit dem langjährigen NLZ-Direktor und heutigen Geschäftsführer Sport, Lars Ricken.
Dessen Wunsch sei es explizit, „dass Jungs aus dem eigenen Grundlagenbereich, also aus der U9, U10 oder U11, den Weg bis in die Champions League schaffen. Dass sie es schaffen, bei Borussia Dortmund nicht nur Kaderspieler zu sein, sondern Stammspieler“, so Broich. Notwendig sei dazu ein Perspektivwechsel. „Dafür müssen wir vom Ende her denken. Was wird eigentlich auf Champions-League-Niveau verlangt? Was bedeutet das in der Ableitung für unsere U19 und in der Folge für alle Mannschaften bis zur U9? Der Fokus in der Spielkonzeption liegt dabei einerseits auf der technischen Komponente, also welche Skills haben die Jungs am Ball, und andererseits auf dem Spielverständnis“, erläutert Broich.
Ballbesitz ist aus Sicht des neuen BVB-Nachwuchschefs essenziell. „Wir wollen viel Ballbesitz mit einer enormen technischen Qualität, aber auch mit Power und Zug zum Tor. Natürlich steht der BVB für sehr intensiven Fußball, das ist hier überall zu spüren. Das werden wir nach wie vor beibehalten oder vielleicht sogar auf das nächste Level heben. Es geht darum, gegen den Ball diese Gier zu haben. Denn um unseren Fußball spielen zu können, brauchen wir den Ball. Also müssen wir den Ball erstmal erobern“, betont der 43-Jährige.
BVB-Talente sollen an Grenzen stoßen
Broich möchte, dass die Dortmunder Talente bewusst an Grenzen stoßen, um den nächsten Entwicklungsschritt zu vollziehen. Es geht ihm nicht darum, in erster Linie Spiele zu gewinnen. Die Art und Weise des Spielens ist für den neuen NLZ-Chef der Borussia mindestens ebenso wichtig. Siege und Niederlagen, beides hält er in der richtigen Gewichtung für die Entwicklung von Spielern für essenziell.

„Wenn wir am Ende genauso viele Spiele gewinnen, wie wir verlieren, wäre das nicht gut. Wir wollen deutlich mehr Spiele gewinnen. Die Spieler brauchen viele Erfolge, um an sich zu glauben, zu wachsen und eine Selbstwirksamkeit zu erfahren. Auf der anderen Seite sagen Psychologen aber auch, dass die Spieler weniger lernen, wenn sie zu oft unterfordert sind. In dem Fall lassen wir die besten Jungs eines Jahrgangs in älteren Klassen spielen, damit sie dort an Grenzen stoßen“, erläutert Broich.
BVB achtet auf individuelle Entwicklung
„Die Resilienz, die Fähigkeit mit Druck, sogar mit Angst umzugehen, Widerstände zu durchbrechen, immer wieder aufzustehen, Charakterstärke zu entwickeln“, all das muss aus seiner Sicht Teil der Ausbildung bei Borussia Dortmund sein. „Dabei geht es komplett um den einzelnen Spieler. Die Frage, die wir uns immer stellen müssen, ist: Was lernt der Junge gerade, was braucht er?“
„Wenn ein Spieler körperlich oder fußballerisch nicht mehr an Grenzen stoße, gehe er hoch in den nächsten Jahrgang. „Er muss sich auf dem nächsten Level ausprobieren, sei es in der Trainingsumgebung oder sogar schon innerhalb eines Spiels. Anderen Spielern geben wir mehr Zeit. Solange das optimale Challenge-Level erreicht ist, ist alles gut“, betont Thomas Broich. So ist der erst 15-jährige Mussa Kaba in dieser Saison bereits fester Bestandteil der U19.
BVB preist Rückschläge mit ein
Der umgekehrte Weg hält er jedoch ebenso für denkbar: „Es kann sogar sein, dass ein Spieler noch etwas Zeit in seiner Entwicklung braucht. Wenn die Regularien es erlauben, kann es sinnvoll sein, ihn auch mal einen Jahrgang darunter spielen zu lassen, weil er da wieder eine ganz andere Selbstwirksamkeit erfährt.“ Aktuell setzt der BVB in Kjell Wätjen, Cole Campbell und Almugera Kabar gleich drei Spieler regelmäßig in der U23 in der 3. Liga ein. Zudem bestreitet die U19 ihre Spiele in der neuen DFB-Nachwuchsliga fast ausschließlich mit Jungjahrgängen.
Auch dieser Schritt erfolgt ganz bewusst: „Es gäbe keine stärkere Botschaft, als wenn das mit diesen Jungs sofort klappen würde. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass man in solche Rollen erst hineinwachsen muss, dass man ein bisschen Zeit braucht. Wir werden wahrscheinlich mit dem einen oder anderen Rückschlag umgehen müssen. Trotzdem ist das der Weg, den wir dauerhaft gehen wollen. Irgendwann überwinden wir diese Grenzen.“
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