BVB-Sportdirektor Michael Zorc (links) und NLZ-Direktor Lars Ricken wollen perspektivisch die nächsten Top-Talente an den Profikader von Borussia Dortmund heranführen. © imago / Jan Huebner
Borussia Dortmund
BVB-Nachwuchschef Lars Ricken: „Da haben wir aktuell ein grundsätzliches Problem“
Die BVB-Nachwuchsarbeit setzt in Deutschland Maßstäbe. Im exklusiven Interview spricht Jugend-Boss Lars Ricken über die Entwicklung der U19, neue Top-Talente und eine Titelsehnsucht.
Lars Ricken ist seit dem 1. Januar Direktor des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) von Borussia Dortmund. Der 45-Jährige hat beim BVB einen Vertrag bis 30. Juni 2025. Seit Jahren eng mit den Schwarzgelben verbunden, hat Ricken ehrgeizige Ziele mit der Jugendabteilung des Vereins. Im Gespräch mit Cedric Gebhardt lässt er die vergangenen Monate der U19-Junioren Revue passieren, spricht über die Auswirkungen der Corona-Pandemie und sagt, warum die Youth League so enorm wertvoll für den BVB-Nachwuchs ist.
Zur Winterpause ist die U19 unangefochtener Tabellenführer in der Junioren-Bundesliga, sie hat das Halbfinale im DFB-Pokal erreicht und ist in der Youth League als einziger deutscher Vertreter in die K.o.-Phase eingezogen. Sind Sie als NLZ-Direktor zu Weihnachten wunschlos glücklich?
Das mit dem „Wunschlos glücklich sein“ ist immer so eine Sache, in diesen Kategorien denke ich nicht. Aber ich mache den Job jetzt auch schon ein paar Jahre und ich kann mich nicht erinnern, dass wir im Winter mit einer U19 schon mal so ein starkes Halbjahr gespielt haben. In der Bundesliga sind wir mit Abstand Erster, im Pokal stehen wir im Halbfinale und in der Youth League haben wir eine schwierige Gruppe überstanden - das hatten wir so in der Form noch nicht. Das ist top. Und egal, was bis Sommer noch kommt - dieses halbe Jahr bis hierher kann den Jungs keiner mehr nehmen.
Vor der Saison konnte man nur schwer einschätzen, wie viel Einfluss die lange Corona-Zwangspause auf die Entwicklung Ihrer Spieler haben würde. Mittlerweile dürften Sie diesbezüglich mehr Erkenntnisse haben. Hat die Pandemie den Spielern in ihrer Entwicklung geschadet?
Ich fühle mich in meiner Annahme bestätigt, die ich auch schon vor der Saison hatte. Nicht nur bei der U19, sondern im gesamten Jugendbereich wurde während der Corona-Zeit von all unseren Mitarbeitern mit den Spielern hervorragend gearbeitet. Die Qualität unserer Mitarbeiter zeigt sich nicht nur, wenn wir einen Titel holen, sondern eben auch in Krisenzeiten wie diesen. Und die U19 war auch deshalb so erfolgreich, weil Mike Tullberg sich nicht in das Schicksal Corona ergeben, sondern die Zeit mit seiner Mannschaft extrem intensiv genutzt hat. Es war nicht so, dass es darum ging, die Jungs nur zu bespaßen. Er hat ihnen sowohl im Training als auch in Freundschaftsspielen alles abverlangt. Er hat die Bereitschaft eingefordert, auch in diesen Spielen alles zu geben. Ich glaube, dass uns das natürlich mit dem Start dieser Saison extrem geholfen hat.
Wie vermittelt man einem Team, das von Erfolg zu Erfolg eilt, dass es demütig und fokussiert bleibt, die Bodenhaftung nicht verliert?
Das ist in der Tat sehr wichtig. Wenn wir die Wettbewerbe in Deutschland zusammennehmen, also Bundesliga, DFB-Pokal und den NRW-Ligapokal, haben wir 21 Spiele gemacht, 20 davon gewonnen und eines unentschieden gespielt. Insofern kommt uns die Youth League extrem entgegen.
Wie wertvoll sind in diesem Zusammenhang die Auftritte in der Youth League, in der es ja auch schon Rückschläge und Niederlagen gegeben hat?
Wir hatten mit Ajax Amsterdam und Sporting Lissabon in unserer Vorrundengruppe Gegner, deren Mannschaften zu den besten Jugendakademien in Europa gehören. Da haben wir verloren und die Jungs sind an ihre Grenzen gekommen. Sie haben festgestellt, wo es noch fehlt und woran sie noch arbeiten müssen. Und auch wir als Verantwortliche konnten in diesen internationalen Vergleich einiges erkennen.
Lernen Ihre Spieler angesichts der Überlegenheit überhaupt ausreichend, auf Rückschläge reagieren zu können?
Das ist ein wichtiger Punkt. Ich glaube, da haben wir im deutschen Fußball aktuell ein grundsätzliches Problem. Durch die Corona-Pandemie gibt es nur eine Einfach-Runde in den drei Staffeln der Junioren-Bundesliga - mit entsprechend weniger Spielen. Wenn wir aber über die absoluten Top-Talente sprechen, die irgendwann mal bei uns oder einem anderen Verein in der Bundesliga spielen könnten, dann haben diese Spieler allenfalls vier, fünf Partien auf höchstem Niveau und das ist einfach viel zu wenig. Nach eineinhalb Jahren Corona ist das wirklich dramatisch. Entsprechend froh sind wir über die Begegnungen in der Youth League und im DFB-Pokal, in denen unsere Jungs auf größere Widerstände treffen.
Enger Austausch: Chefscout Markus Pilawa (links), U19-Trainer Mike Tullberg (Mitte) und NLZ-Direktor Lars Ricken. © imago / Thomas Bielefeld
Ihr vorrangiges Ziel ist es, Nachwuchsspieler an den Profibereich heranzuführen. In Göktan Gürpüz hat nun ein weiteres Talent einen Profivertrag erhalten. Was zeichnet ihn aus?
Ich gönne es Göktan alleine schon, weil er ein extrem netter, fleißiger Kerl ist. Er hat aber nicht nur menschlich eine tolle Entwicklung genommen. Ich kann mich noch erinnern, dass er als U17-Spieler in der U19-Youth-League gegen den FC Barcelona mitgespielt hat und der beste Spieler auf dem Platz war. Das war spätestens der Zeitpunkt, an dem jeder gesehen hat, dass er ein richtig guter Fußballer ist. Er verfügt über ein großes Maß an Spielintelligenz, ist handlungsschnell und erkennt die Räume, in denen er sich bewegen muss. Je mehr er mit guten Fußballern spielen kann, desto mehr wird er seine Stärken einsetzen können. Denn er kann seine Mitspieler auch gut in Szene setzen.
Auch Jamie Bynoe-Gittens gilt als hochveranlagter Spieler. Inzwischen hat er nach langer Verletzungspause die ersten Spiele absolviert. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?
Jamie ist natürlich auch ein absolutes Top-Talent und in der Liga ein herausragender Spieler. Bei ihm geht es in erster Linie darum, gesund zu bleiben. Er hatte lange Zeit mit Verletzungen zu kämpfen. Als er nicht verletzt war, war Corona. Darum geht es für ihn darum, so viele Spiele und Trainingseinheiten zu absolvieren wie möglich. Wenn er vollkommen fit ist, dann ist er ein Unterschiedspieler auf einem extrem hohen Niveau.
Die jetzige U19 ist außergewöhnlich gut besetzt. Wem trauen Sie darüber hinaus perspektivisch den Sprung in den Profikader zu?
Wir haben bereits über zwei Spieler gesprochen. Mehr möchte ich erst einmal nicht herausheben. Aber ganz grundsätzlich gilt: Es ist wichtig, dass wir dieses Potenzial in der U19 mit vielen Jugend-Nationalspielern haben. Wir trauen sehr vielen Spielern zu, im Profifußball zu landen und das natürlich am liebsten beim BVB.
Sie selbst sind als Spieler dreimal Deutscher Meister geworden, als BVB-Jugendkoordinator sogar sechsmal - welchen Stellenwert haben diese Titel im Vergleich? Sind die Meisterschaften für Sie unterschiedlich wertvoll?
Nein, jeder Titel macht mich stolz. Noch dazu bin ich selbst auch mit der A-Jugend als Spieler Deutscher Meister geworden. Ich bin also in drei verschiedenen Funktionen - als Jugendspieler, Profispieler und Direktor des NLZ - mit Borussia Dortmund Deutscher Meister geworden. Das zeigt in erster Linie meine Verbundenheit zum BVB. Ich gehe total in meiner Funktion im Nachwuchs auf und freue mich mit den Jungs über Titel. Deswegen möchte ich gar keine Abstufungen vornehmen. Jeder Titel für sich genommen war ein toller Moment und jeder war für sich auf eigene Weise kostbar.
Wie lauten die Zielsetzungen für das neue Jahr bei der U19?
Unsere Zielsetzung ist immer, die Jungs individuell weiterzuentwickeln. Wir möchten jedem Spieler die Möglichkeit geben, der beste Spieler zu werden, der er sein kann. Teil unserer Ausbildungsphilosophie ist aber natürlich auch, dass wir sportlich erfolgreich sein wollen. Deshalb möchten wir natürlich gegen Empoli die nächste Runde in der Youth League erreichen. Wir wollen im DFB-Pokal endlich auch mal wieder ins Finale kommen. Und wenn du in der Winterpause auf Platz eins in der Bundesliga stehst, dann möchten wir natürlich auch ins Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft.
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