BVB-Sportdirektor Michael Zorc blickt zur Seite.

Verlässt den BVB nach über 40 Jahren: Michael Zorc. © Montage: Klose

BVB-Legende Michael Zorc geht von Bord: Aufrecht durchs große Tor

rnBorussia Dortmund

Nach 44 Jahren verlässt Michael Zorc seinen BVB. Der 59-Jährige hat mit Borussia Dortmund alles erlebt. Präsident Dr. Reinhard Rauball sagt: „Michael hat den Verein geprägt wie kaum ein anderer.“

Dortmund

, 14.05.2022, 06:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Gleich am Anfang des Telefonats bittet Michael Zorc um Nachsicht. „Entschuldigen Sie“, sagt er, „dass meine Laune heute nicht die Beste ist.“ Es ist Sonntag, die obligatorischen Gespräche mit Journalisten gehören am Tag nach Spielen von Borussia Dortmund zu seinem Job. An Tagen nach Niederlagen seines BVB fallen sie schwerer und sind manchmal dann auch lästige Pflicht. Verstellen aber mag sich das Dortmunder Urgestein nicht – nach 24 Jahren als Manager und Sportdirektor und einer Spielerkarriere über heute kaum noch vorstellbaren 17 Jahre wurmen Niederlagen seines Vereins Zorc heute noch genau so wie früher. Zwei, drei Tage dauert es dann, bis sich seine Miene wieder aufhellt.

Kehl über BVB-Legende Zorc: „Es ist eine großartige Geschichte“

Am Samstag nun endet eine Ära unwiderruflich und auf eigenen Wunsch. Zum letzten Mal wird Zorc von der Dortmunder Bank aus ein Spiel von Borussia Dortmund verfolgen. Sein Nachfolger steht bereit und ist intensiv eingearbeitet worden. „Ich bin dankbar und froh, dass ich mit ihm zusammenarbeiten konnte“, sagt Sebastian Kehl. „Daraus habe ich viel mitgenommen. Es ist eine großartige Geschichte, die Michael für den Verein geschrieben hat.“

Sebastian Kehl folgt beim BVB auf Michael Zorc.

Sebastian Kehl folgt beim BVB auf Michael Zorc. © imago / Revierfoto

„Letzte Male“ gab es für den heute 59-jährigen Zorc in der nun fast beendeten Spielzeit einige. Als sich der BVB im vergangenen Sommer in der Schweiz auf die neue Saison vorbereitet, steht der neue Trainer Marco Rose an den ersten Tagen im Mittelpunkt des Interesses – aber auch Zorc, der seinen Entschluss aufzuhören intern sehr früh verkündet und ihn auch zeitig öffentlich gemacht hat. Am Ende der Saison 2021/2022 soll Schluss sein, kurz vor Erreichen des 60. Lebensjahrs möchte Michael Zorc raus. Von 100 Prozent auf Null. In Bad Ragaz ist das daher ein Thema weit oben auf der Tagesordnung der Journalisten. Zorc aber will über den Abschied nicht reden und wehrt sich gegen „zu viel Romantik“. Es gebe noch genügend andere Themen, sagt er, es gelte eine lange Saison so vorzubereiten, dass sie am Ende für den BVB erfolgreich sei.

BVB-Sportdirektor Zorc hat gelernt, mit den Auswüchsen der Branche zu leben

Es folgen unvermeidlich einige weitere „letzte Male“, nicht an alle wird er gern zurückdenken. Es war eine durchwachsene letzte Saison für den Sportdirektor Michael Zorc. Das Ausscheiden aus den internationalen Wettbewerben sei blamabel, da nimmt Zorc kein Blatt vor den Mund. Die Hoffnung auf einen weiteren, letzten Titel, sie erfüllt sich nicht.

Trainingslager in Marbella im Januar 2018: Michael Zorc (l.) im Gespräch mit BVB-Reporter Dirk Krampe.

Trainingslager in Marbella im Januar 2018: Michael Zorc (l.) im Gespräch mit BVB-Reporter Dirk Krampe. © Guido Kirchner

Zorc hat im Laufe der Jahre gelernt, vor Kameras geschliffen zu reden – aber er braucht das Rampenlicht nicht. Auch nicht in seinem letzten Jahr auf der großen Bühne. „Jede Geste, jeder Versprecher, jedes kleine Wort, jede kleine Handlung wird eingefangen und dramatisch überbewertet“, sagt er 2021 im großen Interview mit den Ruhr Nachrichten. Der Wandel, den die Branche seit seinem Berufseinstieg vor 24 Jahren erlebt hat, ist gigantisch. Über manche Auswüchse kann Zorc nur mit dem Kopf schütteln und macht auch deshalb um Talk-Veranstaltungen bis zum Schluss einen großen Bogen. Aber er hat gelernt, mit diesen Auswüchsen zu leben.

Michael Zorc weist als BVB-Spieler eine herausragende Quote auf

Schon als Spieler war Zorc eher der Arbeiter, der im Schatten der klangvollen Namen werkelte und einfach nur seinen Job machte. Bescheidenheit, Fleiß, Zuverlässigkeit, das hatte er im Elternhaus als wichtige Charaktereigenschaften vorgelebt bekommen und in all seinen Jahren beim BVB immer beherzigt. Als sich gegen Ende seiner aktiven Zeit Mitte und Ende der 90er-Jahre die Stars der Szene beim BVB die Klinke in die Hand gaben, verdankte seine Borussia den strahlenden Erfolg aber auch der Arbeitsbiene Zorc.

BVB-Kapitän und Führungsspieler: Michael Zorc.

BVB-Kapitän und Führungsspieler: Michael Zorc. © imago / Liedel

An den Meisterschaften 1995 und 1996 hatte Michael Zorc mit jeweils 15 Toren einen großen Anteil, er stellte dabei auch die mit viel Geld gelockten Angreifer wie Karl-Heinz Riedle in den Schatten. Überhaupt ist seine Quote von 131 Bundesliga-Toren bei 463 Liga-Spielen als defensiver Mittelfeldspieler bis heute einzigartig und unerreicht. 1997 der Höhepunkt, in München reckt Michael Zorc den Champions-League-Pokal in den Abendhimmel. Stammspieler ist er da nicht mehr, bleibt aber noch eine Saison an Bord. Der glänzenden Spieler-Karriere folgt eine nicht minder erfolgreiche im Manager-Sessel. Seiner klaren Linie bleibt der 59-Jährige auch nach dem Wechsel auf die andere Schreibtischseite treu.

Michael Zorc erlebt mit Borussia Dortmund 18 Titelgewinne

Zorc hat alles erlebt mit und bei Borussia Dortmund. 18 Titel sind es am Ende geworden, in Erinnerung bleiben als prägende Faktoren aber auch die schwierigen Zeiten, die ihn in seiner Art nur bestärkt haben. Als der BVB nach der Beinahe-Insolvenz 2004 kleine Brötchen backen muss, entwickelt sich unter Zorcs Federführung ein Scouting-System, das Borussia Dortmund einen glänzenden Ruf als Verein, in dem sich hoffnungsvolle Talente besonders gut entwickeln können, verschafft. Kaum ein anderer Klub schafft es in so großem Maße, in Nischen nach Talenten zu suchen und sie zu finden.

Der Transfer von Shinji Kagawa ist untrennbar mit dem Wirken von Michael Zorc verbunden.

Der Transfer von Shinji Kagawa ist untrennbar mit dem Wirken von Michael Zorc verbunden. © imago / Sven Simon

Der junge Shinji Kagawa beispielsweise ist der Transfer, der auch noch in etlichen Jahren untrennbar mit dem Wirken von Michael Zorc verknüpft bleiben wird. Er entdeckt ihn in der japanischen zweiten Liga, die Ausbildungsentschädigung von 350.000 Euro mutet sich lächerlich an im Vergleich zu den 15 Millionen, die der BVB erhält, als er Kagawa später an Manchester United verkauft. Mit einer Rendite von 4200 Prozent.

Watzke und Zorc gehen beim BVB durch dick und dünn

Zum Geschäft gehören aber auch Fehlschläge. Wer am Ende von 24 Jahren Managertätigkeit weit über eine Milliarde Euro mit Transfers umgesetzt hat, liegt naturgemäß nicht immer richtig. Doch die Bilanz ist unterm Strich stark positiv. Zorcs Verdienste um Borussia Dortmund seien „einzigartig“, hat Präsident Dr. Reinhard Rauball daher unlängst in einer Würdigung des DFL-Magazins erklärt. „Was er geleistet hat, ist großartig. Michael hat den Verein geprägt wie kaum ein anderer.“

Ein untrennbares BVB-Duo: Hans-Joachim Watzke (l.) und Michael Zorc.

Ein untrennbares BVB-Duo: Hans-Joachim Watzke (l.) und Michael Zorc. © imago / Team 2

Seit 2001 immer an Zorcs Seite: Hans-Joachim Watzke. Der heutige Geschäftsführer begann als Schatzmeister seine offizielle Arbeit beim BVB, in der größten Finanzkrise der nun fast 113-jährigen Geschichte der Borussia wird Watzke zum Retter. Und hält gegen alle Kritiker treu und fest zu seinem sportlich wichtigsten Mitarbeiter. Eine prägende Phase für alle Beteiligten: Zorc steht mitten im Sturm, weil er ungeachtet der finanziellen Zwänge auch weiter eine große Erwartungshaltung bedienen muss. Watzke verteidigt Zorc auch intern gegen eine drängelnde Opposition, die eine Neu-Besetzung des Manager-Postens fordert „Wenn es gut läuft, so wie jetzt“, hat Zorc dazu im RN-Interview 2020 schmunzelnd erklärt, „dann scheint die Sonne. Wenn es schlecht läuft, kriege ich eben auf die Mütze.“

Watzke über Zorc: „Er wollte aufrecht durchs große Tor gehen“

Von Zorcs Abschiedsplänen wurde Watzke nicht überrascht. Das Verhältnis war immer sehr eng in den 17 gemeinsamen Jahren, der Austausch fand regelmäßig statt, auch über sportliche Belange des Klubs hinaus. „Und es hat nicht einen Tag richtig gekracht.“ Dass Zorc jetzt gehe, zeige, „wie clever er ist“, so Watzke. „Er wollte aufrecht durchs große Tor gehen, er weiß auch: Im Fußball kann es schnell auch in die andere Richtung laufen, dann gehst du leise durch die Hintertür.“ Das, sagt Watzke, „wäre nach insgesamt 44 Jahren im Klub die größte Katastrophe gewesen.“

Als Ratgeber wird Michael Zorc beim BVB auch weiterhin gefragt sein.

Als Ratgeber wird Michael Zorc beim BVB auch weiterhin gefragt sein. © imago / RHR-Foto

Was danach kommt? „Der Plan ist“, hat Zorc vor einem Jahr gesagt, „dass ich keinen Plan habe.“ Dabei ist es tatsächlich geblieben. Treiben lassen will er sich, genießen, nicht mehr getrieben zu sein. Hoch emotional dürfte es werden am Samstag, wenn auch die Fans Michael Zorc verabschieden werden. Als Ratgeber wird der bald 60-Jährige auch weiterhin gefragt sein, erst einmal, so Watzke, wolle er seinen langjährigen Wegbegleiter aber in Ruhe lassen. Das werde schwer genug. „Er war immer da!“