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BVB-Kadercheck: Der einzige Erling und der junge Youssoufa
BVB-Serie Teil 3
Das Transfer-Fenster ist geschlossen, der BVB-Kader für die Saison 2020/21 steht. In einer Serie beleuchten wir die einzelnen Mannschaftsteile von Borussia Dortmund. Teil 3: Angriff und Bank.
Borussia Dortmund hat seine Mannschaft am letzten Tag der erweiterten Sommer-Transferperiode nicht mehr verändert. Er halte den Kader für „sehr ausgewogen“, erklärte Sportdirektor Michael Zorc. In unserem BVB-Kadercheck beleuchten wir, wie der BVB in den einzelnen Mannschaftsteilen aufgestellt ist. Teil 3: Angriff und Bank.
Der BVB im Sturm: Erling Haaland muss gesund bleiben
Nicht ohne Bauchschmerzen verfolgt Lucien Favre dieser Tage die Länderspiel-Einsätze seiner abgestellten Nationalspieler. Ein besonderes Auge wirft der Trainer nicht ohne Grund nach Norwegen. Dort ist Borussia Dortmunds aktuell einziger echter Stürmer gefordert. Und Erling Haaland, hat Favre mit Besorgnis in der Stimme erklärt, „will ja immer spielen.“
Die vernünftige Steuerung der großen Belastung ist auch im Dortmunder Sturm ein großes Thema. Am Mittwoch ist Haaland mit Norwegen in den Play-offs zur Europameisterschaft gescheitert, am Sonntag (gegen Rumänien) und Mittwoch (gegen Nordirland) geht es für die Norweger in der Nations League weiter. Wenn Haaland am Donnerstag wieder zurück in Dortmund ist, bleiben kaum 48 Stunden bis zum Liga-Spiel bei der TSG Hoffenheim. Und Haaland ist unersetzlich, auch wenn er am Mittwoch kaum ein Faktor war und sich beklagte: „Ich war überhaupt nicht ins Spiel eingebunden.“
BVB-Gegner finden Mittel gegen Erling Haaland
Diese Partien gab es seit seinem Wechsel zur Borussia im vergangenen Winter schon mehrfach im BVB-Trikot. Wenn der Gegner die Mitte dichtmacht, Anspiele auf den langen Norweger unterbindet, ihm auf den Füßen steht und die Offensive es nicht schafft, durch Tempo über die Außenbahnen die gegnerische Abwehrreihe aufzureißen, dann läuft ein Spiel auch mal komplett am 20-jährigen Ausnahmestürmer vorbei.
Das Gute aus Sicht des BVB: Bevor irgendwelche Zweifel aufkommen, Haaland könne in eine veritable Tor-Krise rutschen, folgen mit großer Regelmäßigkeit wieder die Spiele, in denen er seinen unglaublichen Torinstinkt auf den Platz bringt. Beispiele gibt es auch schon aus dieser Saison: Gegen Gladbach traf Erling Haaland doppelt, in Augsburg war er nicht zu sehen, gegen Freiburg glänzte er mit zwei Treffern und einem Assist.
BVB-Stürmer Erling Haaland: Dortmunds offensive Lebensversicherung
Haaland bleibt mit schon vier Bundesliga-Toren auch in dieser Saison Dortmunds offensive Lebensversicherung, und das stellt seinen Trainer vor ein Problem. Denn auch der blonde Hüne braucht Pausen, damit ihm nicht, wie in der vergangenen Saison am Schluss passiert, das Benzin ausgeht. Sorge, der BVB könne im Angriff unzureichend aufgestellt sein, solange Super-Talent Youssoufa Moukoko noch nicht spielberechtigt ist, hat Favre offiziell aber nicht. Er zählt dann mögliche Alternativen auf, die alle in der Tat Haaland ersetzen können, aber von ihrer Art des Spielens andere Typen sind.
Doch auch wenn am 20. November Moukoko endlich seinen 16. Geburtstag feiert und ab dann den Nachweis erbringen kann, die nächste (und bislang höchste) Hürde in seiner fußballerischen Entwicklung nehmen zu können, wird Favre in vorderster Front auch auf Thorgan Hazard, Marco Reus, Julian Brandt und vielleicht ja auch Brasilien-Import Reinier zurückgreifen müssen. Vor allem Hazard hat schon gezeigt, dass er eine falsche Neun spielen kann, die Spielweise würde sich allerdings unweigerlich ändern, wenn auf der Neun kein Vollstrecker, sondern ein spielerischer Angreifer eingesetzt wird.
BVB will Moukoko nicht vergraulen
Hat man so ein Talent wie Moukoko in seinen Reihen, ist es aber folgerichtig, ihm nicht noch einen gestandenen Stoßstürmer vor die Nase zu setzen. Sollte sich Haaland allerdings mal ernsthafter verletzen, würde das diese Einschätzung direkt gravierend verändern.
Gerade im offensiven Bereich bieten sich Favre dennoch viele Möglichkeiten, die Belastung der Spieler durch Rotation zu steuern. Für die beiden Halbpositionen hinter der Sturmspitze stehen ihm eine ganze Reihe von Kräften zur Verfügung. Dortmunds Bank ist üppig und namhaft besetzt, kann Verletzungen besser kompensieren als in der Vergangenheit, auch wenn sich Favres Forderung („Wir brauchen zwei gleichgute Mannschaften“) natürlich nicht Eins-zu-Eins realisieren ließ.
BVB-Kadercheck: Der Angriff und die Bank
Fazit: Borussia Dortmund ist im Sturm herausragend gut besetzt, sollte Moukoko schnell einschlagen, wächst die Fantasie noch weiter. Die Planung ist ausgewogen, wenn auch nicht ohne ein gewisses Restrisiko. Der BVB muss Haaland in Watte packen, das wird von Favre angesichts des großen Ehrgeizes, den der Norweger an den Tag legt, viel Fingerspitzengefühl verlangen. Die schon im Kader vorhandenen Alternativen, die absehbare Verstärkung durch Moukoko und die wirtschaftliche Vernunft in schwierigen Corona-Zeiten rechtfertigen den Entschluss, auf einen weiteren externen Zugang im vordersten Bereich zu verzichten.
Allerdings bleibt eine Vorhersage, wie schnell Moukoko wirklich den Sprung schafft, trotz überragender Trainingseindrücke und überschwänglichem Lob von allen Seiten schwierig. Borussia Dortmund muss auch einkalkulieren, dass der Anpassungsprozess eine Weile dauern wird. Diese Zeit will der BVB seinem Rohdiamanten auch geben. Die Bank genügt den hohen Ansprüchen und muss den Vergleich mit den Champions-League-Konkurrenten aus Leipzig, Leverkusen und Gladbach nicht scheuen. Der zu den Bayern verbietet sich allerdings auch in diesem Punkt.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
