BVB-Härtefall Brandt: Keine gute Vorbereitung, keine feste Position

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BVB-Härtefall Brandt: Keine gute Vorbereitung, keine feste Position

rnBorussia Dortmund

Hinter Julian Brandt liegt keine wirklich gute Saisonvorbereitung. Er sieht sich beim BVB im Zentrum am besten aufgehoben, aber die Konkurrenz dort ist noch größer als in der Vorsaison.

Dortmund

, 08.09.2020, 17:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Falls es noch einen weiteren Beweis für Julian Brandts Behauptung brauchte, dann lieferte er ihn unfreiwillig selbst. „Es ist alles sehr, sehr schnelllebig. Ein halbes Jahr läuft alles super, dann hast du eine kleine Leistungsdelle und bist auf einmal der Depp. Fußball ist und war halt schon immer ein Tagesgeschäft.“

BVB-Profi Julian Brandt sieht sich selbst „voll im Saft“

Das waren Brandts Worte im BVB-Trainingslager im Schweizerischen Bad Ragaz Mitte August im Interview mit „Sport1“. Am vergangenen Donnerstag dann erzählte er dem „Kicker“, dass er sich auf die anstehenden Länderspiele mit der deutschen Nationalmannschaft freue. Ihm kämen die Partien gegen Spanien (1:1) und die Schweiz (1:1) durchaus gelegen. „Für mich kommen die Spiele jetzt zum genau richtigen Zeitpunkt. Die Vorbereitung ist abgeschlossen, ich bin voll im Saft“, sagte Brandt.

Ein paar Tage und zwei Länderspiele später, so viel zum Thema Schnelllebigkeit im Fußball, muss die Frage erlaubt sein, ob Brandt immer noch so über seine jüngste Länderspielreise denkt. Mehr als 45 Minuten Pflichtspiel-Praxis in der zweiten Hälfte der Schweiz-Partie gestand Bundestrainer Joachim Löw ihm nicht zu – und die Kritiken über die Darbietung des 24-Jährigen gingen deutlich eher in Richtung „Depp“ als in Richtung „alles super“, wie Brandt es nennt.

BVB-Profi Brandt durchschreitet eine Leistungsdelle

Der Eindruck, der bleibt, ist, dass Brandt in diesen Tagen tatsächlich eine Leistungsdelle durchschreitet. Wie klein oder wie groß sie ausfällt, wird sich zeigen, wenn die ersten Pflichtspiele hinter Borussia Dortmund liegen. BVB-Sportdirektor Michael Zorc dürfte jedenfalls unter anderen Dortmunder Spielern auch Brandt im Sinn gehabt haben, als er nach den verkorksten Testspielen vor gut einer Woche gegen den SC Paderborn (1:1) und den VfL Bochum (1:3) im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten erklärte, dass er „von den etablierten Spielern auch in einem Vorbereitungsspiel mehr erwarten“ dürfe und „dass wir in einer anderen Verfassung sein müssen, wenn die Pflichtspiele losgehen“.

Kurz vor dem ersten Pflichtspiel am kommenden Montag beim MSV Duisburg im DFB-Pokal verfestigt sich nun der Verdacht, dass Brandts zurückliegende Klassenfahrt mit der Nationalmannschaft ungefähr so sinnreich war wie eine Flugreise von Stuttgart nach Basel, obwohl auch Zorc im Vorfeld der Länderspiel-Abstellungen gesagt hatte: „Ich bin darüber gar nicht so unglücklich. In der Nations League warten immerhin richtige Pflichtspiele auf unsere Nationalspieler. Und ein bisschen mehr Wettbewerbs-Modus wird uns sicher nicht schaden.“

Komplizierter Saisonstart steht an für Julian Brandt beim BVB

Zumindest in der Personalie Brandt haben sich diese Hoffnungen nicht wirklich erfüllt – und der gebürtige Bremer, der vor einem Jahr für 25 Millionen Euro festgeschriebene Ablösesumme aus Leverkusen nach Dortmund wechselte und über dessen Zusage man sich in Dortmund so sehr freute, dürfte vor einem für ihn komplizierten Saisonstart stehen. Eine weitere Woche Training im Verein hätte ihm womöglich deutlich mehr geholfen als 135 Minuten auf der Ersatzbank der Nationalelf. Insofern kam es gar nicht allzu überraschend, dass Brandt am Montag keine 24 Stunden nach seinem Einsatz bei der Nationalelf im Testspiel gegen Sparta Rotterdam (2:1) zumindest eine gute Stunde mitwirkte.

Die Zeit, in der Brandt nicht da war, haben andere beim BVB genutzt, um Werbung in eigener Sache zu betreiben. Allen voran natürlich Kapitän Marco Reus, der auf dem besten Weg ist, seinen Rückstand nach siebenmonatiger Verletzungspause aufzuholen und somit die Konkurrenzsituation für Brandt zusätzlich verschärft. Aber auch der erst 17-jährige Giovanni Reyna, der aktuell bei BVB-Trainer Lucien Favre eigentlich gar keine Eigenwerbung mehr nötig hat, präsentierte sich eine weitere Woche im Training und glänzte im Test gegen Rotterdam einmal mehr. Und Neuzugang und Real-Madrid-Leihgabe Reinier, der mittel- bis kurzfristig ebenfalls zu Brandts Konkurrentenkreis gehören wird, sammelte am Montag immerhin seine ersten Testspielminuten bei seinem neuen Klub.

Brandt sieht sich beim BVB im Mittelfeldzentrum

Brandt, der sich beim BVB klar im Mittelfeldzentrum und nicht auf dem Flügel am besten aufgehoben sieht, wird sich bis zum Saisonstart reichlich strecken müssen, um einen der begehrten Startelf-Plätze zu ergattern. Sein erstes Jahr in Dortmund sei „schon schwierig“ gewesen, das gebe er offen zu, sagte Brandt im August zu „Sport1“. „Ich war auf vielen verschiedenen Positionen unterwegs, was nicht einfach ist. Du kommst in einen neuen Verein, hast neue Teamkollegen und musst dich erst mal zurechtfinden. Es braucht seine Zeit, bis gewisse Dinge auf dem Platz zur Normalität werden. Das kam dann erst ab dem Winter. Irgendwann hat es Klick gemacht und ich dachte: Jetzt hast du die Abläufe drin. Das erste Jahr war okay – es war nicht schlecht, aber auch nicht brillant. Aber es ist ja gut, wenn man noch Luft nach oben hat.“

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Besagte Luft nach oben gibt es bei Brandt vor allem in der Konstanz, was freilich auch an seiner mutigen, teilweise riskanten Spielweise liegt. Es ist vielleicht ein bisschen der Fluch des Künstlers, denn es ist einfacher, als Arbeiter, wie es beispielsweise Thomas Delaney oder Emre Can sind, konstant alles in ein Spiel reinzuwerfen als auf dem Feld konstant zu zaubern und besondere Momente heraufzubeschwören. „Ich bin kein Abräumer“, so formulierte es Brandt im Trainingslager. Er sei „von Natur aus nicht so aggressiv wie beispielsweise Emre Can“, das sei „einfach nicht mein Naturell“. Ein bisschen mehr Körperlichkeit könne sein Spiel allerdings vertragen, meinte er selbst, das wolle er sich auch aneignen, betonte allerdings: „Ich werde aber nie so aggressiv – im positiven Sinne – wie Emre sein. Das wird auch so bleiben. Ich weiß, dass viele Leute auf diese Spielweise stehen. Gerade bei uns im Verein, in der Stadt, der Region, wo eine Arbeitermentalität herrscht. Das war aber ehrlich gesagt nie meine Qualität.“

BVB-Profi Julian Brandt und das zweischneidige Schwert

Womöglich ist das einer der großen Kompromisse, mit denen Brandt leben muss. Wenn es in seinem Spiel läuft, springen die Leute vor Entzückung von ihren Sitzen, sofern sie ein Stadion aufsuchen dürfen. Wenn Aktionen nicht klappen, sieht es im besten Fall fahrlässig und naiv, im schlechtesten Fall halbherzig und lustlos aus. Dem „Kicker“ sagte er am vergangenen Donnerstag dazu: „Natürlich ist das ein zweischneidiges Schwert, gerade, wenn ich wie in den vergangenen Monaten häufiger beim BVB, als Sechser spiele. Da darf man das eigentlich nicht machen. Wenn es gelingt, ist es top. Dann sagen die Leute: ‚Super, der traut sich was!‘ Geht es allerdings schief, fängst du dir im schlimmsten Fall einen. Es kommt deshalb wohl auch auf den Trainer an und darauf, ob er sich traut, jemanden wie mich dorthin zu stellen.“

Diese Aussage gilt auch eine knappe Woche später noch, völlig unabhängig von der Schnelllebigkeit im Fußball – und es darf mit Spannung darauf gewartet werden, wie viel Lucien Favre sich traut, wenn die Saison startet.