BVB-Gegner Chelsea kauft seit dem Sommer Spieler für 611 Millionen Euro Wie kann das sein?

BVB-Gegner Chelsea kauft seit dem Sommer Spieler für 611 Millionen Euro: Wie kann das sein?
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Borussia Dortmund kaufen, bei einer aktuellen Marktkapitalisierung von 450 Millionen Euro? Für Todd Boehly wäre das rechtlich nicht machbar, aber finanziell gewiss kein Problem gewesen. Den FC Chelsea ließ sich der schwerreiche US-Amerikaner immerhin drei Milliarden Euro kosten im vergangenen Sommer. Und Boehly buttert weiter mit leichter Hand Millionen in den Klub, dass selbst der Fußballfinanz-Adel aus Paris und Manchester die Luft anhält. 611 Millionen Euro Ausgaben in zwei Transferperioden stehen 68 Millionen Euro Einnahmen gegenüber – Chelsea legte mehr Geld für Spieler auf den Tisch als die gesamte Bundesliga. Die Summen werden auf den ersten Blick ohne ersichtliche Grenzen und Einschränkungen ausgegeben. „Die beispiellose Shoppingoffensive der Blues“ (dpa) wirft Fragen auf: Welche Grenzen setzen die Spielregeln der Premier League und der Europäischen Fußball-Union? Drohen Chelsea womöglich Strafen wie etwa Manchester City?

Smarte Tricks bei Chelsea-Verträgen

Borussia Dortmunds Gegner im Achtelfinale der Champions League ist in Europa finanziell ein absolutes Schwergewicht. Der Marktwert der „Blues“ liegt bei 1,04 Milliarden Euro (BVB: 522 Mio. Euro). Trainer Graham Potter musste sogar einige Starspieler aus dem Kader für die Königsklasse streichen, unter ihnen Ex-BVB-Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang. Ein durchschnittlicher Chelsea-Profi kostet 32 Millionen Euro. „Sie haben sehr, sehr viel Geld investiert. Aber wenn ich auf die Tabelle schaue, stehen sie auf Platz neun. Und demnach sicherlich nicht dort, wo sie sich sehen und wo sie mit dem Geld, das sie investiert haben, stehen wollen“, sagte BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl. „Sie haben eine hochwertige Mannschaft, sie haben eine hohe Qualität und gute Spieler im Winter dazugekauft, sind aber noch nicht in allen Facetten so abgestimmt, wie sie es sich vorgestellt haben.“

Geld spielt dabei offenbar keine Rolle. Das verschafft Boehly seinem neuen Spielzeug-Klub Chelsea fast ohne Ende. Doch es gibt Grenzen im Spiel der fast grenzenlosen Geldvernichtung. Seit dem Sommer, als Boehly den Londoner Renommierklub vom Russen Roman Abramowitsch übernahm, gelten auch neue finanzielle Leitplanken der Uefa. Das Financial Fairplay - wegen diverser Lücken im Gesetzestext nicht mehr als eine hohle Drohung und wegen ausbleibender Konsequenzen als „Papiertiger“ abgestempelt - wurde abgelöst von den „Financial Sustainability Regulations“ (Finanzielle Nachhaltigkeitsregeln). Die Regeln besagen, verkürzt formuliert, dass ein liquider Klub wie der FC Chelsea in drei Jahren bis zu 90 Millionen Euro Verlust schreiben darf, wenn gesichert ist, dass das Minus (vom Eigentümer) ausgeglichen wird. Für die Premier League wären sogar 120 Millionen Euro im selben Zeitraum akzeptabel.

Prinzipiell sind also auch die englischen Teams an diese Regeln gebunden. Um die Vorschrift einzuhalten, bedient sich Chelsea eines smarten Tricks: Auffällig sind die ungewöhnlich langen Vertragslaufzeiten der Neuzugänge. Der argentinische Weltmeister Enzo Fernández wurde (für 121 Millionen Euro von Benfica) für achteinhalb Jahre verpflichtet. Der Ukrainer Mykhailo Mudryk, dessen Ablösesumme von zunächst 70 Millionen Euro durch Bonuszahlungen auf 100 Millionen Euro steigen könnte, hatte zuvor ebenfalls einen Vertrag unterschrieben, der bis Ende Juni 2031 gültig ist. Der Grund dafür ist, dass die Ausgaben in Chelseas Büchern so auf acht Jahre verteilt und entsprechend abgeschrieben werden können. Damit reduziert der Verein die jährlichen Kosten.

Nationales Recht steht über FIFA-Regeln

Für Fernández würden also nur etwa 14 Millionen Euro pro Jahr anfallen - wenn überhaupt. Nach Informationen der „Daily Mail“ einigte sich Chelsea nach harten Verhandlungen mit Benfica auf eine Zahlung in drei Raten über die kommenden zwei Jahre. Ähnliche Abmachungen dürfte es bei anderen Neuzugängen seit vergangenem Sommer geben. Profis wie der Langzeitverletzte Wesley Fofana oder Benoît Badiashile haben ebenfalls dauerhafte Verträge. In Deutschland wird die Vorschrift des Fußball-Weltverbandes (FIFA), Verträge nicht länger als fünf Jahre laufen zu lassen, prinzipiell akzeptiert. In England gilt diesbezüglich keine Beschränkung, und das nationale Arbeitsrecht steht über der Fifa-Regel.

Timo Werner breitet die Arme aus.
Timo Werner hat die „Blues“ Richtung Leipzig verlassen. © picture alliance/dpa/CSM via ZUMA Wire

Zudem hat Chelsea im vergangenen Jahr namhafte Spieler abgegeben. Profis wie Timo Werner (RB Leipzig), Tammy Abraham (AS Rom), Kurt Zouma (West Ham United) oder zuletzt Jorginho, der zu Liga-Konkurrent Arsenal wechselte, brachten Einnahmen von knapp 70 Millionen Euro, die sofort verbucht wurden. Der Abschied von Hakim Ziyech, dessen geplanter Wechsel zu PSG an fehlenden Unterlagen scheiterte, wird wohl im kommenden Sommer vollzogen. Britische Medien spekulierten kürzlich auch über einen möglichen Abschied des deutschen Nationalspielers Kai Havertz. Diese Transfers könnten die aus dem Gleichgewicht geratene Waage bei den Einnahmen und Ausgaben etwas ausgleichen.

Chelsea hinkt bei Zuschauereinnahmen hinterher

Auch die Erfolge der jüngeren Vergangenheit - besonders der Gewinn der Champions League 2021 und der Klub-Weltmeisterschaft unter Ex-Trainer Thomas Tuchel - spülten Geld in die Chelsea-Kasse. Während Chelsea bei den Zuschauereinnahmen aufgrund der vergleichsweise niedrigen Kapazität des Stadions Stamford Bridge hinter vielen Konkurrenten liegt, kassieren die Blues bei den TV-Geldern kräftig mit.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Abramowitsch hatte der neue Inhaber Todd Boehly durchblicken lassen, dass er lieber die Spieler als den Coach austauschen will. Zwar ersetzte er zunächst Tuchel durch seinen Wunschtrainer Graham Potter, weil der angeblich für eine neue Philosophie im Klub steht. Nun aber vollzieht der US-Unternehmer, dem es nicht an Geld mangelt, den ganz großen Umbruch und verjüngt den Chelsea-Kader deutlich.

Druck auf Graham Potter wächst

Die Chelsea-Methode ist nicht ohne Risiko. Unter Potter blieben die Blues bisher weit hinter den Erwartungen zurück, schieden aus dem FA Cup und dem Ligapokal aus. In der Premier-League-Tabelle, wo sie derzeit mit zehn Punkten Rückstand auf einen Champions-League-Platz nur Neunter sind, sind sie zum Siegen verdammt. Ein Platz unter den ersten Vier für die erneute Qualifikation zur Königsklasse ist Pflicht, wenn die Geschäftsbilanz in den kommenden Jahren ausgeglichen bleiben soll. Ansonsten müssen die Transferaktivitäten ab Sommer drastisch reduziert werden. Das Risiko ist groß, der Druck auf Potter wächst gewaltig, und die absolute Abhängigkeit des Klubs vom reichen Geldgeber gleich mit.

Graham Potter guckt skeptisch.
Chelsea-Coach Graham Potter (M.) steht zunehmend unter Erfolgsdruck. © picture alliance/dpa/PA Wire

2019 wurde Chelsea übrigens wegen 29 (!) nicht regelkonformer Transfers zu einer zweijährigen Sperre verdonnert. Die Londoner fanden, man ahnt es, auch damals Auswege. Unter anderem wurde BVB-Stürmer Christian Pulisic frühzeitig verpflichtet – und für ein weiteres halbes Jahr ausgeliehen. Das Rennen gegen die Investoren in der Premier League, die aus den USA, vom Persischen Golf oder aus Thailand kommen, wird die auf finanzielle Solidität ausgerichtete Bundesliga nicht gewinnen können. Bei den wirtschaftlichen Möglichkeiten sind vor allem die Vereine auf der Insel der Bundesliga enteilt.

„Dass englische Klubs wirtschaftlich größere Möglichkeiten haben als wir in der Bundesliga ist kein Thema, das uns erst seit dieser Transferperiode begegnet. Das haben sie schon in den letzten Jahren eindrucksvoll bewiesen. Aber es hat auch nicht immer dazu geführt, dass sie am Ende auch am erfolgreichsten waren“, betont BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl. Er schaut weniger neidvoll über den Ärmelkanal, sondern krempelt die Ärmel lieber hoch: „Es bringt nichts, sich zu beschweren. Die Konkurrenzfähigkeit sehe ich nicht gefährdet.“

Mit dpa-Material.

FC Chelsea: Die zehn teuersten Transfers seit Sommer 2022

01. Enzo Fernandez (121 Millionen Euro / Benfica)

02. Wesley Fofana (80 / Leicester)

03. Mykhaylo Mudryk (70 / Donezk)

04. Marc Cucurella (65 / Brighton)

05. Raheem Sterling (56 / ManCity)

06. Benoit Badiashile (38 / Monaco)

07. Kalidou Koulibaly (38 / Neapel)

08. Noni Madueke (35 / Eindhoven)

09. Malo Gusto (30 / Lyon)

10. Carney Chukwuemeka (18 / Aston Villa)

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