Mats Hummels war es ein Anliegen, noch am Samstagabend den nach München mitgereisten Anhängern zu danken. „Danke für Eure Unterstützung“, schrieb der 34-Jährige bei Instagram unter einigen Bildern mit Szenen aus der Partie, und er setzte noch einen Satz hinzu, der die auch weit nach Spielschluss herrschende Sprachlosigkeit im Dortmunder Lager zusammenfasste: „Mehr Schlaues“, schrieb Hummels, „habe ich jetzt auch nicht parat.“
Der BVB bricht nach dem 0:1 auseinander
Für Hummels gab es in den Kommentaren unter dem Post viel Zuspruch. In einer Mannschaft, die nach dem 0:1-Gegentor kollektiv zusammenbrach, war der Innenverteidiger nach seiner Einwechslung kurz vor der Pause noch einer der wenigen, die Gegenwehr zumindest andeuteten – und auch eine Fokussierung, die vielen seiner Teamkollegen abging. Mag das Zustandekommen des 0:1 in der Art und Weise ein Tiefschlag gewesen sein, der erst einmal verdaut werden musste, so verwunderte es dennoch, wie krass der Leistungsabfall nach dem Slapstick-Treffer unter gütiger Mithilfe von Torhüter Gregor Kobel war. Man habe, gestand auch Trainer Edin Terzic konsterniert, sich nicht vorstellen können, „so in Rückstand zu geraten, dann aber sofort die Gegenwehr einzustellen“.
Ob die besondere Aura der Allianz Arena, wie Terzic das vor der Partie ins Gespräch gebracht hatte, oder ob die verheerende Bilanz in München eine Rolle spielte: Auffällig war einmal mehr der Totalverlust aller besprochenen Sicherungssysteme mit dem oder gegen den Ball. Wie ein Virus fraß sich direkt nach dem 0:1 die Kopflosigkeit durch die gesamte Mannschaft. Auch von schweren Krankheitssymptomen gezeichnet: alle Dortmunder Führungsspieler. „Einige haben versucht, dass wir zusammenbleiben. Aber es hat nicht geklappt. Das war nicht gut genug“, meinte Emre Can.
Kollektive BVB-Panik in München
Es gibt diesen Satz, dass sich große Spieler in großen Spielen zeigen. Dass sie vor allem dann da sind, wenn es wirklich darauf ankommt. Auch der BVB hat solche „großen“ Spieler in seinen Reihen. Wie Hummels, ein zigfacher Nationalspieler und Weltmeister, der 2014 im WM-Finale im Maracana-Stadion in Rio seinen Mann gestanden hat. Oder ein Marco Reus, mit knapp 500 Pflichtspielen im Profibereich nicht weniger gestählt für die Anforderungen in so einem Hexenkessel.
Die Liste ließe sich ergänzen. Niklas Süle hat 250 Liga-Partien auf dem Buckel und „München-DNA“ mit nach Dortmund gebracht. Zu sehen war davon bei seiner Rückkehr in den Freistaat nichts. Can hat in Turin und in Liverpool auf höchstem europäischen Niveau gespielt, auch er kann auf über 250 Pflichtspiele im Profi-Bereich zurückblicken. Von diesen Spielern hätte man erwarten können, dass sie in den Minuten nach dem Horror-Gegentor die Ärmel aufkrempeln, sie hätten die sein müssen, die die Ordnung aufrecht erhalten. Es blieb ein unerklärliches Rätsel, dass der BVB stattdessen als Kollektiv in Panik geriet, die in eine komplette Wehrlosigkeit mündete.
Immer wieder individuelle BVB-Fehler
Dies ist ein Phänomen, das sich seit Jahren durch wichtige Spiele der Borussia zieht. In München gab es bitterste Pleiten, auch in den Jahren, als man nahezu auf Augenhöhe mit dem Rekordmeister war. So wie 2019, als man im Frühjahr einen zwischenzeitlichen Neun-Punkte-Vorsprung verspielte, dennoch als Tabellenführer anreiste, beim Gastspiel in der Arena aber schon zur Pause mit 0:4 hinten lag. Unerklärliche gravierende individuelle Fehler gab es in jenem Frühjahr nicht nur beim Spiel in München, am Ende verspielte Dortmund die große Chance auf den nächsten Meistertitel kläglich.

Auch international ließ der BVB mögliche wegweisende Triumphe liegen. In Liverpool führte Dortmund vor sieben Jahren in der 70. Minute mit 3:1 und stand vor dem Einzug ins Halbfinale der Europa League. Dann brach die Mannschaft nach dem 2:3-Anschlusstreffer der Reds unter dem großen Druck zusammen – die Erfahrensten tauchten ab. Der BVB verlor noch mit 3:4.
Unnötiges BVB-Aus in der Champions League
Auch vor einigen Wochen in London schied die Borussia zwar unterm Strich verdient aus der Champions League aus, krass unterlegen war sie dem FC Chelsea aber nicht. Nur warf sie im Achtelfinal-Rückspiel im Königreich aus unerklärlichen Gründen die Tugenden über Bord, die die Mannschaft zuvor zurück in den Kreis der Bundesliga-Titelanwärter geführt hatte. Die Liste ist damit lange nicht vollständig.
Stress-Resistenz und Wehrhaftigkeit gegen große Widerstände waren ein großes Thema in all diesen Partien. „Uns war klar“, meinte Terzic, „dass zwölf ordentliche Minuten in München nicht reichen würden, um etwas mitzunehmen.“ Auf viele der dann folgenden Szenen hatten er und sein Trainerteam die Mannschaft vorbereitet, es war nicht so, dass die Bayern unter Tuchel nun komplett anders Fußball spielten.
Bayern-Führungsspieler liefern, wenn es darauf ankommt
In der Halbzeit hatte Terzic genau das angesprochen und an die Spieler appelliert. Es sei in seiner Ansprache nicht darum gegangen, „mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Ich wollte, dass die Spieler Verantwortung übernehmen.“ Es ist auch eine besondere Qualität der Bayern, in die Phase der Neufindung beim Gast hinein direkt den vierten und entscheidenden Treffer gesetzt zu haben. Jedes Aufflammen von Widerstand wurde damit gleich erstickt.
Vielleicht ist das der große Unterschied zwischen den beiden deutschen Schwergewichten. Vor dem Spitzenspiel war der Druck beim Rekordmeister riesig – und deutlich größer als beim BVB, für den schon ein Remis ein gefühlter Sieg gewesen wäre. Als es aber darauf ankam, lieferten die Bayern ab. Thomas Müller machte ein überragendes Spiel, Leon Goretzka und Joshua Kimmich waren Herr übers Mittelfeld. Auf den offensiven Außenbahnen spielten Kingsley Coman und Leroy Sané mit ihren Dortmunder Gegenspielern Katz und Maus. Die Münchner Führungsspieler waren da. Sie lieferten, als es darauf ankam.
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