BVB-Fans trafen sich zum Fußball-Hören in der Roten Erde
Protest-Aktion
Es hatte was von früher. Samstagnachmittag, versammelt vorm Radio. Statt zum Spiel ihrer Borussia Dortmund bei RB Leipzig zu fahren oder es vorm Fernseher zu verfolgen, trafen sich 850 Fans im Stadion Rote Erde und hörten die Partie im Radio. Wir waren beim Rudelhören dabei und liefern alle Bilder.

Impressionen aus der Roten Erde.
In Leipzig läuft die 83. Spielminute. Der BVB ist, glaubt man Netradio-Kommentator Norbert Dickel, die insgesamt bessere Mannschaft. Dortmunds Rechtsverteidiger Lukasz Piszczek setzt sich außen durch, spielt André Schürrle frei. Der zieht zum Tor, zieht ab und trifft – die Latte. Der Torschrei liegt schon in der Luft, manchen Kehlen entflieht er bereits. Durchatmen. „Kann man machen, muss man nicht unbedingt“, sagt Dickel.
Der Rest bleibt der Fantasie der Zuhörer vorbehalten. Bilder im Kopf, das kennt man vom Lesen, erzeugen Emotionen. Und Emotionen sind das, was die Faszination Fußball ausmacht. Viele von denen, die am Samstagnachmittag im Stadion Rote Erde sind, sehen diese Faszination bedroht. Von zu viel Geld, das in den Fußball fließt.
Von Scheichs, Oligarchen, Konzernen. Jeder will mitverdienen am lukrativen Geschäft. Der Aufstieg von RB Leipzig ist für sie die neue Spitze dieser Entwicklung. „Dieses Konstrukt steht gegen alles, was wir Positives mit dem Fußball verbinden“, sagt Jan-Henrik Gruszecki zur Begrüßung. Er vertritt das Bündnis Südtribüne und hat das Rudelhören organisiert. Dieser Samstag, mit dem Spiel der BVB-Amateure, zuvor 0:0 gegen den Wuppertaler SV gespielt haben, und dem gemeinsamen Radiohören erinnere ihn daran „wie der Fußball war, als wir uns in ihn verliebt hatten“.
Gruszecki spricht von Zeiten, als in Dosen von Fans noch Bier war und keine süße Brause. Die Dose ist das Feindbild. Zum Spiel der zweiten Mannschaft haben Fans eine passende Choreografie vorbereitet, mannshohe Dosen gebastelt, aufgestellt und sie mit Gymnastikbällen einstürzen lassen. „Zum Abschuss freigegeben“ stand auf ihren Bannern.
Gar nicht soooo leer. pic.twitter.com/xJ2e5d0hV7
— Jan-Henrik Gruszecki (@JH_Gruszecki) 10. September 2016
Während der Radio-Übertragung stehen die zerbeulten Dosen noch da, vor ihnen schießen Kinder auf eine Torwand, andere spielen Dosenwerfen. Die Stimmung ist angenehm, Leute unterhalten sich, trinken Bier, essen Bratwurst. Gruszecki ist zufrieden: „Es ist wie ein Familienfest.“ Eine Wiederholung kann er sich gut vorstellen. In der 38. Minute grüßt Radio-Kommentator Norbert Dickel, bei Heimspielen auch Stadionsprecher, explizit die „Freunde in der Roten Erde“. Das kommt an. Ihre Aktion, ihr Verzicht auf das Stadion- und Auswärtserlebnis, wird gewürdigt.
Die 89. Minute. Naby Keita trifft für Leipzig. Das Siegtor. „So ein Mist!“, ruft Dickel, Flüche raunen durch die Kurve. Einige bleiben noch etwas, andere ziehen von dannen. Manche freuen sich über den kurzen Heimweg. „Wenigstens habe ich morgen keinen Kater“, sagt einer von ihnen, als er das Stadion verlässt.