BVB-Gegner SV Darmstadt 98
Boyd: "Wir Spieler bewundern Torsten Frings"
Seit zwei Spieltagen stürmt Terrence Boyd für den SV Darmstadt 98. Heute (15.30 Uhr) trifft der Deutsch-Amerikaner mit dem Tabellenletzten auf Borussia Dortmund. Über seine sportliche Vergangenheit bei der BVB-Reserve und bei RB Leipzig sowie seinen Werdegang hat der 25-Jährige mit Matthias Dersch gesprochen.
Terrence Boyd (l.) kämpft mit dem SV Darmstadt 98 um den Klassenerhalt.
Vom perfekt ausgestatteten Trainingszentrum in Leipzig ans marode Böllenfalltor - haben Sie den Kulturschock schon überstanden. Natürlich ist hier alles ein bisschen anders als bei RB. Aber bei mir überwiegt klar die Freude, dass ich wieder auf dem Platz gebraucht werde. Das war in Leipzig einfach nicht mehr so. Und, ganz ehrlich, so schlimm wie man von außen vielleicht denkt, ist Darmstadt gar nicht. Hier hast du als Profi auch alles, was du brauchst, um zufrieden zu sein.
Sie haben 2011/2012 den BVB zum Aufstieg in die 3. Liga geschossen. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Damals kamen Sie eher über den Kampf als über die Technik. Das passt gut zu Darmstadt... (lacht) Genau, meine oberste Prämisse lautet, zu arbeiten. Deshalb fühle ich mich hier sehr gut aufgehoben. Ich bin nicht Lionel Messi. Ich kämpfe, ich reibe mich auf. Und bald schieße ich hoffentlich auch wieder Tore. In meinen ersten beiden Spielen für Darmstadt habe nicht mal aufs Tor geschossen...
Es setzte zwei Niederlagen: ein 1:6 gegen Köln und ein 0:2 in Frankfurt. Die Lage für Darmstadt wird immer prekärer … Das stimmt. Wir müssen jetzt so langsam liefern. Aber eins stimmt mich optimistisch.
Was denn? Für Torsten Frings ist es der erste Cheftrainerposten. Umso größer ist mein Respekt dafür, dass er hier zugesagt hat, obwohl das Schiff - realistisch betrachtet - schon halb gesunken ist. Das zeugt von Charakter und von Mut. Das imponiert mir. Wir Spieler bewundern ihn dafür. Damit hat er nicht nur mich, sondern auch unsere anderen Spieler voll überzeugt. Wir gehen seinen Weg mit und werden, so lange der Klassenerhalt möglich ist, alles versuchen. Sollten wir runter müssen, dann erhobenen Hauptes - und alle gemeinsam. Wir wollen danach alle noch in den Spiegel schauen können.
Wie war es für Sie, als gebürtigen Bremer, als Sie auf einmal die Werder-Legende Torsten Frings am Telefon hatten und er Sie nach Darmstadt holen wollte? Wenn man selbst ein Teil des Profifußballs geworden ist, dann ist man natürlich nicht mehr der riesige Fan, der man früher einmal war. Ich habe in meiner Karriere ja auch schon mit Jürgen Klinsmann gearbeitet. Oder mit Andreas Herzog, auch so eine Werder-Legende. Aber bei Frings... Ich habe ihn früher im Weserstadion spielen sehen. In den Kreisen, in denen ich aufgewachsen bin, ist er eine große Nummer gewesen. Dass er mich wollte, hat die Aufgabe noch einmal interessanter für mich gemacht.
Frings ist allerdings ein Trainernovize... Aber als Fußballer hat er alles erlebt. Er kennt die schönen und auch die hässlichen Seiten des Geschäfts bestens. Dem kaufst du ab, was er dir erzählt. Deshalb kann er uns auch sehr gut einstellen.
Welche Rolle hat bei Ihrer Entscheidung pro Darmstadt gespielt, dass in Sandro Wagner ein Torjäger Ihrer Prägung im Vorjahr ein Tor ans nächste gereiht hat? Ich möchte mich eigentlich nicht mit ihm vergleichen, das macht die Antwort etwas schwer. Sandro Wagner hat enorm oft getroffen in der vergangenen Saison und Darmstadt in der Liga gehalten. Ich bin seit zwei Spielen hier und habe noch nicht mal aufs Tor geschossen. Ich möchte jetzt erstmal meinen Teil dazu beitragen, dass wir auch wieder mal ein Spiel gewinnen.
Die Aufgabe am Samstag ist allerdings eine schwere: Der BVB kommt ans Böllenfalltor. Ein besonderes Spiel für Sie? Es ist ja schon ein bisschen Zeit vergangen, seitdem ich für die Borussia gespielt habe. Deshalb ist es für mich jetzt nicht mehr ganz so emotional, wie es vor ein paar Jahren noch gewesen wäre. Aber klar: Dortmund ist ein großer Klub, der BVB ist in der Stadt eine Religion. Die Aufgabe wird nicht leicht für uns. Ich vergleiche das mal so: Haben Sie schon mal versucht, mit den Fingern eine Pistazie aufzuknacken, die ganz zu ist? Das ist wirklich sehr schwer. (lacht) Aber wenn wir einen kleinen Spalt entdecken, dann wollen wir den auch nutzen. Wie geht man so ein Spiel an? Wir werden uns ganz sicher nicht verstecken. Wir haben ja nichts zu verlieren. Es gibt dieses Sprichwort: Du hast keine Chance, also nutze sie. So werden wir ins Spiel gehen. Und unsere Fans werden uns dabei helfen. Ich bin zwar erst seit zwei Wochen hier, aber eins habe ich schon gelernt: Die Unterstützung unserer Anhänger ist krass. Als wir nach der 1:6-Rutsche gegen Köln in die Kurve gegangen sind, haben sie uns abgeklatscht und gesagt: "Scheiß drauf, ihr habt gekämpft, weiter geht’s!" Das ist Größe. Jeder hier kennt die irre Geschichte, die dieser Verein mit seinen bescheidenen Möglichkeiten geschrieben hat.
Auch Ihre persönliche Geschichte ist keine alltägliche. Sie haben fast zwei Jahren aufgrund einer Kreuzbandverletzung pausieren müssen. Müssen Sie sich heute manchmal kneifen, dass sie es trotzdem noch mit 25 Jahren zum Bundesliga-Spieler geschafft haben? Vor einem Jahr wäre ich froh gewesen, da zu sein, wo ich heute bin. Aber als Fußballer ist man doch nie zufrieden. Die beiden Niederlagen zuletzt haben weh getan. Klar, rückblickend ist es toll, dass ich jetzt in der Bundesliga spiele. Es gab Zeiten, da habe ich in Frage gestellt, ob ich überhaupt weiter Fußball spielen könnte. Doch jetzt habe ich eine Aufgabe, jetzt will ich mit Darmstadt etwas erreichen. Das ist alles, was für mich zählt.
Um wieder in Schwung zu kommen, haben Sie zum Ende Ihrer Reha in Leipzig sogar mit der U13 trainiert. Wie kam es denn dazu? Das war sehr lustig damals. Es war Urlaubszeit, aber der nächste Schritt für mich war das Spiel mit dem Ball. Da sonst niemand da war und ich den Trainer gut kannte, habe ich gefragt, ob ich mitmachen dürfe. Es war eine Win-Win-Situation.
Sie sind knapp 1,90 Meter groß... Ja, ich bin damals spielerisch zwar nicht wirklich aufgefallen in der Truppe, aber zumindest von der Größe. (lacht)
Von Ihnen ist das Zitat überliefert, Sie hätten eine "schaurig-schöne Zeit" in Leipzig gehabt. Wie meinen Sie das? Wörtlich habe ich das so nicht gesagt. Aber vom Sinn her stimmt es schon. Für mich persönlich war es sportlich eine der schlimmsten Zeiten meines Lebens. Ich wurde ja - objektiv gesehen - zu einem Fehleinkauf. Leipzig hat damals zwei Millionen Euro für mich ausgeben. Ich konnte aber in drei Jahren nur rund sechs Monate spielen. Die restliche Zeit war ich verletzt. Trotzdem war der Umgang mit mir immer herausragend und sehr menschlich. Vor allem Ralf Rangnick hat sich sehr gut um mich gekümmert.
RB Leipzig steht stark in der Kritik - vor allem auch in Dortmund. Wie haben Sie den Klub aus der Innenperspektive erlebt? In Leipzig ist man die ganze Zeit, in der ich da war, sehr menschlich geblieben. Ralf Rangnick hat sehr oft mit mir gesprochen, auch über den Plan B, falls es mit dem Fußball nichts mehr geworden wäre. Der Klub hat mir alles ermöglicht. Jede Behandlung, jede Operation. Umso beschissener habe ich mich gefühlt, dass ich nicht abliefern konnte auf dem Platz. Ich werde über RB nie ein schlechtes Wort verlieren.