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Auf dem Weg zu alter Stärke: BVB-Kapitän Reus ruft sich bei Löw in Erinnerung
Borussia Dortmund
Mit einer Energie- und Willensleistung bringt Marco Reus den BVB gegen Union Berlin in Front. Das Tor steht stellvertretend für eine positive Entwicklung des Kapitäns in den vergangenen Wochen.
In der jüngsten Länderspiel-Phase musste der nach der Europameisterschaft scheidende Bundestrainer Joachim Löw auch über Spieler reden, die er im März gar nicht in den DFB-Kader eingeladen hatte. Das gehört zum Geschäft, schließlich war es das letzte Zusammenkommen vor der EM-Nominierung im Mai. Und natürlich wurde Löw auch zu Borussia Dortmunds Kapitän Marco Reus gefragt.
BVB-Kapitän Reus tat sich nach der letzten Verletzung schwer
Löws Antwort ließ Interpretations-Spielraum in alle Richtungen. Natürlich, meinte er, werde Reus immer ein Thema bleiben beim DFB, er werde mit dem Dortmunder zu gegebener Zeit das Gespräch suchen, Voraussetzung dafür, ihn mitzunehmen in den Kader sei aber „natürlich“ die absolute Fitness des 31-Jährigen.
Löw spielte auf ein leidiges Thema an, denn gerade die jüngste Verletzung des Dortmunder Kapitäns zeigte, dass die Zeit auch gegen einen Spieler wie Reus läuft. Gegen einen, der etliche Male schlimm und lange verletzt fehlte, danach aber immer sehr schnell wieder an sein außergewöhnliches Niveau herankam. Diesmal war das nicht so. Mehr als 200 Tage fehlte Reus im Jahr 2020 wegen einer Schambein-Entzündung, als er in der zweiten Jahreshälfte zurückkehrte, tat er sich schwer. Und blickt man in die Kader-Struktur der deutschen Nationalmannschaft, fällt beim Blick auf Reus‘ Positions-Konkurrenten in der Offensive vor allem eins auf: Sie haben Tempo, suchen das Eins-gegen-Eins und, nicht unwichtig, gewinnen auch die Mehrzahl dieser Duelle.
Reus hat an Tempo verloren - aber er hat sich in Erinnerung gerufen
Reus hat in der Beziehung sein Spiel umgestellt. Oder umstellen müssen. Weil er natürlich nicht mehr der Marco Reus ist, der er mit Mitte 20 war. Ins Dribbling geht er heute seltener als früher, auch das Tempo ist ihm naturgemäß ein wenig abhandengekommen. Und als Löw mit seinen Ausführungen am Ende war, stand unausgesprochen die Frage im Raum: Braucht der DFB Marco Reus eigentlich noch?
Es ist nicht überliefert, ob sich Reus die Pressekonferenz mit Joachim Löw an diesem Tag angeschaut hat. Vermutlich brauchte er das aber auch nicht, er wird darüber informiert sein, wie Löw plant und denkt. Fakt ist, dass Reus sich nach der Länderspiel-Phase in den vergangenen Wochen nachdrücklich in Erinnerung gerufen hat. Seine klare Botschaft lautet: Noch hat die Abenddämmerung nicht eingesetzt.
BVB-Trainer Terzic setzt voll auf Kapitän Reus
Was noch in Reus steckt nach einer Karriere, die auch geprägt war von vielen schweren Verletzungen und verpassten Chancen, das war im Herbst eine spannende Frage. Im April hat er Antworten gegeben. Zwei Tore in den vergangenen drei Spielen erzielte er, seit Rückrundenbeginn ist die Ausbeute in der Liga mit zwei Treffern und fünf Vorbereitungen ordentlich, auch in der Champions League zeigte sich sein wieder deutlich größer werdender Einfluss aufs Dortmunder Spiel.
Anders als Lucien Favre, der Reus sehr behutsam heranführte und vorsichtiger war, als dass der Spieler selbst beanspruchte, setzt Edin Terzic voll auf den Kapitän und dessen Führungsstärke und fußballerische Klasse. Zwar konnte Reus so manche frühe Auswechslung (nach dann auch unauffälligen oder schwachen Leistungen) nicht immer nachvollziehen, dafür bestreitet er nahezu jede Partie von Beginn an.
Reus ist beim BVB immer noch der Mann für das wichtige 1:0
Schon länger attestieren ihm Terzic und Sportdirektor Michael Zorc klar erkennbare Zeichen einer nachhaltigen Formsteigerung. Auf dem Feld manifestierte sich das noch nicht immer. Reus‘ nachlassende Torgefährlichkeit war ein Thema, das er beackert hat. So ist er immer noch der Mann für das wichtige 1:0. Alle seine fünf Saisontore in der Bundesliga brachten den BVB in Führung, drei Mal war es das 1:0, zwei Mal machte er das 2:1.
Auch nicht unwichtig: Reus ist einer der laufstärksten Spieler im Team, auch am Mittwoch gegen Union machte keiner mehr Kilometer als er (11,4). Diese Laufstärke stellt er neuerdings sehr auffällig in den Dienst der Mannschaft. Am eigenen Strafraum hat man den 31-Jährigen in der Vergangenheit jedenfalls nicht so häufig in Zweikampfsituationen erlebt wie jetzt unter Terzic. Neu auch: Reus gewinnt die Duelle, gegen Berlin waren es 55 Prozent. Die Belohnung verschaffte er sich selbst: mit einem energischen Einsatz nach dem verschossenen Elfmeter von Erling Haaland.
BVB-Kapitän Reus tut einer jungen Offensive durchaus gut
Hält dieser Formtrend an, bringt Marco Reus den Bundestrainer tatsächlich in eine Zwickmühle. Dass es nur mit jungen Spielern nicht wirklich funktioniert, musste Löw erkennen, nachdem er Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller leistungsunabhängig aus dem DFB-Team strich. Zwei der drei werden womöglich zurückkehren, wenn Löw dabei sein Gesicht wahren kann.
Die Stimmen, dass auch ein Reus der von Jugend durchsetzten Offensive durchaus guttun würde, dürften sich mehren, wenn er so weitermacht wie in den vergangenen Wochen. Zu früh jedenfalls sollte man Marco Reus nicht abschreiben.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
