
© Nils Dietrich
Zu wenig Impfwillige: Arzt aus Ahaus muss Corona-Impfstoff wegwerfen
Covid-19
Stell dir vor, es ist Impfung – und keiner geht hin. Der Ahauser Internist Akin Yilmaz-Neuhaus versucht alles, um den Impfstoff unter die Leute zu bringen. Nicht mit dem gewünschten Erfolg.
Donnerstag, 16 Uhr. Vor der Praxis von Akin Yilmaz-Neuhaus hat sich eine kleine Schlange gebildet. Auch auf den Fluren warten Patienten darauf, zum Doktor vorgelassen zu werden. In der Praxis im alten Kreishaus gibt es an diesem Tag nämlich ein besonderes Angebot: Wer will, kann ohne Termin vorbeikommen und sich impfen lassen.
Doch der Eindruck täuscht, am Ende des Tages haben sich nur knapp 60 Impflinge eingefunden. „Ich hatte mir mehr erhofft“, sagt Akin Yilmaz-Neuhaus. Letztlich habe das Team aufgezogene Spritzen entsorgen müssen: „Wenn wir jetzt schon anfangen, Biontech wegzuschmeißen, dann wird das im Herbst nix.“ Das sei eine „ethische Schande“.
Das Impfstoff-Lager ist voll
Und die Lager sind voll. Teilweise hat der Internist Impfstoff von Kollegen bekommen, deren Praxen wegen Urlaubs geschlossen sind. Akin Yilmaz-Neuhaus öffnet den Kühlschrank und zeigt seine Vorräte. Hier lagern 50 Ampullen des Biontech-Vakzins, mit jeder können sieben Spritzen aufgezogen werden. Und dann sind da noch 33 Ampullen Astrazeneca, die ursprünglich für Zweitimpfungen vorgesehen waren. Die erste läuft im August ab.
Nur impfen lassen möchte sich damit niemand – der Ruf ist nach der Berichterstattung über Nebenwirkungen ruiniert. Und Kreuzimpfungen mit Astrazeneca und Biontech seien trotz sehr guter Wirksamkeit mit Unsicherheiten belastet. Manche Länder erkennen sie bei der Einreise nicht an – in der Urlaubszeit ein nicht zu vernachlässigendes Kriterium. Andererseits, so der Arzt: „Wir haben genug Biontech, um nur Biontech zu impfen.“
Aber selbst der entwickelt sich zum Ladenhüter. „Die Impfmüdigkeit ist das Problem“, berichtet Akin Yilmaz-Neuhaus. Wenn er die Patienten auf das Thema anspreche, gebe es zwei Gruppen: Eine lehne das rundherum ab, die andere wolle lieber abwarten. Und das zieht sich seiner Beobachtung nach quer durch alle Gesellschaftsschichten. Tendenziell sehe er eine solche Haltung eher bei jüngeren Menschen ab 25 bis 30 Jahren. Im Alter von über 60 Jahren seien fast alle geimpft.
Deswegen startete der Internist am Donnerstag zum ersten Mal ein offenes Angebot. Wer sich impfen lassen möchte, muss nicht mehr umständlich Termine vereinbaren oder ins Impfzentrum nach Velen fahren. Vorbeikommen, Spritze, fertig. In der Praxis im alten Kreishaus erhalten auch Minderjährige zwischen 12 und 18 Jahren eine Impfung. Hierzu hat sich der Arzt bewusst entschieden, um das Vakzin unter oder vielmehr in die Leute zu bringen.
Impfarzt: „Es geht um das Wir“
Tatsächlich sind am Donnerstag viele jugendliche Patienten in der Praxis zu sehen, die mit ihren Eltern gekommen sind. Lara Seppelfricke ist mit Bruder und Vater in der Praxis. „Ich habe schon ein wenig Angst bekommen und will mich deswegen impfen lassen“, sagt die 13-Jährige. Ihr Vater, selbst bereits geimpft, sieht das etwas pragmatischer: „Wir wissen nicht, wie das mit der Schule weitergeht, und hätten gerne Präsenzunterricht.“ Und die Teilnahme daran – so er denn kommt – sei mit Impfung wahrscheinlicher.

Hat sich am Donnerstag impfen lassen: Lara Seppelfricke (13). © Nils Dietrich
Andere Eltern haben, erzählt Akin Yilmaz-Neuhaus im Anschluss an die Impfaktion, eine andere Haltung zur Impfung. Manche wollten am Donnerstag nur ihre Kinder, aber nicht sich selbst impfen lassen – im Umfeld seien ja alle geimpft. Dafür hat er nur Kopfschütteln übrig: „Es geht in dieser Situation nicht um das Ich, sondern um das Wir.“ Sonst stehe uns ein ungemütlicher Herbst bevor.
Am Samstag findet von 9 bis 13 Uhr die nächste offene Impfaktion in der Gemeinschaftspraxis im alten Kreishaus statt.