
Tobit-Gründer Tobias Groten stellt die Arbeitswelt auf den Kopf: Für die Mitarbeiter der Tobit.Labs und von Tobit.Software ist jeder Mittwoch frei. Damit setzt das Unternehmen konsequent auf eine Vier-Tage-Woche. Ohne Kompromisse. © Stephan Rape/Tobit.Labs
Vier-Tage-Woche: Tobit.Software macht mittwochs frei
Arbeitszeit-Modell
Mittwochs wird bei Tobit.Software nicht mehr gearbeitet. Das Unternehmen hat die Vier-Tage-Woche eingeführt. Und sorgte damit für viel Aufsehen. Ein Schritt, der sich nicht für jeden eignet.
Die Büros auf dem Tobit.Campus sind am Mittwoch dunkel und leer. Fahrradständer und Parkplatz wirken verwaist. Einzig die Rasenmäherroboter ziehen am Mittag einsam ihre Runden.
Gearbeitet wird dort ab seit dem Sommer am Mittwoch nicht mehr. Gründer und CEO Tobias Groten hat in seinem Unternehmen die Vier-Tage-Woche eingeführt. Ohne Gegenleistung, bei vollem Lohn.
„Wieso predigen wir bei Tobit.Software der Welt gebetsmühlenartig, wie sehr die Digitalisierung die Arbeitswelt und unser Leben auf den Kopf stellt, hängen aber auch nach 35 Jahren noch immer in der gleichen Work‐Life‐Endlosschleife fest?“, fragt er in einem Schreiben an seine Mitarbeiter.
Das geschehe nur, weil es niemand hinterfrage. Das habe er in den vergangenen zweieinhalb Jahren getan, erklärt er gegenüber unserer Redaktion. Und jetzt sei die Zeit ganz einfach reif für den Schritt. Ohne lange Tests oder Proben. „Einfach machen“, sagt Tobias Groten kurz nach der Einführung der Vier-Tage-Woche.
Vorteil für Tobit.Software: Kein Teil einer komplexen Lieferkette
Vorteil des Unternehmens: Tobit.Software entwickle Produkte. „Wir arbeiten nicht im Auftrag, sondern konzipieren, designen, entwickeln und vermarkten Güter“, macht der CEO deutlich. Das unterscheide Tobit.Software von den meisten Unternehmen, die als Dienstleister oder Produzent für andere tätig sind, oder aus anderen Gründen Teil einer komplexen Lieferkette sind. „Ein besonderes Privileg, darüber bin ich mir sehr bewusst“, erklärt er.

Der Mittwoch wird als Arbeitstag gestrichen: Mit dieser Grafik hatte Tobias Groten die Veränderung der Arbeitszeit auf Facebook öffentlich gemacht. Ein Dokument, in dem er den Hintergrund der Idee erklärt, sei zigtausendfach heruntergeladen und gelesen worden. © Stephan Rape
Wirtschaftlich und kulturell könne das Unternehmen es sich schon längst leisten, aus der Fünf‐Tage-Woche auszubrechen. Die 20‐prozentige Leistungsminderung, die rein rechnerisch entstehe, werde durch die extreme Digitalisierung aufgefangen. Und zwar schon seit Jahren.
Freier Tag soll dem Unternehmen zugute kommen
Gleichzeitig bezweifelt er, dass es überhaupt zu einer Minderung der Gesamtleistung komme. Die Aufteilung der Woche könne auch den gegenteiligen Effekt haben: „Gut möglich, dass wir nicht nur fokussierter und frischer arbeiten, sondern auch in einem höheren Takt, ohne dabei heiß zulaufen“, erklärt er.
Am Ende bestehe sogar die Chance, dass ein neuer freier Tag dem Unternehmen sogar nutze: „Dass wir dadurch zufriedener, ausgeruhter und ausgeglichener werden, wenn wir in der Endlosschleife wieder ein bisschen mehr Luft und Zeit für uns bekommen und wieder mehr mitbekommen von der Welt.“ Spätestens bei der Suche nach neuen Mitarbeitern sei die Vier-Tage-Woche natürlich ein riesiger Vorteil gegenüber anderen Unternehmen.
Tobias Groten schränkt ein: „Müsste ich die Interessen von Shareholdern, Investoren, Banken oder was weiß ich was berücksichtigen, wäre daraus vermutlich nur ein fauler Kompromiss geworden.“ Dennoch will er die Entscheidung nicht als persönliche „Heldentat“ verstanden wissen: „Ich bin fest davon überzeugt, dass das aktuell übliche Work-Life-Zeitmodell in den kommenden Jahren nach und nach ein Update bekommt.“
Sein Unternehmen sei nur - wie fast immer - der allgemeinen Entwicklung ein kleines bisschen voraus. Wirklich innovativ sei wohl nur, dass nicht das Wochenende verlängert wurde, sondern die Arbeitswoche in der Mitte unterbrochen werde. Es gebe auch genügend andere Unternehmen, die einen ähnlichen Schritt gehen könnten. Die Gewinne seien groß genug.
Kreishandwerkerschaft und WFG sehen keine Chance für Nachahmer
Eine Einschätzung, die zumindest die Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Borken (WFG) und die Kreishandwerkerschaft nicht teilen. „Im Handwerk kann man so eine Idee ganz einfach knicken“, sagt Daniel Janning, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. Er kenne kein Unternehmen, das nur noch an vier Tagen arbeiten wolle.
„Die Auftragsbücher sind voll, schon so ist die Arbeit kaum zu schaffen“, erklärt er im Sommer gegenüber der Redaktion. Er wisse allerdings beispielsweise von einem Bäcker, der nicht mehr in der Nacht arbeite oder von einem Friseur, der sein Geschäft an Samstagen geschlossen hält. Auch das mit Blick auf verträglichere Arbeitszeiten.
Ähnlich sieht es Dr. Daniel Schultewolter, Geschäftsführer der WFG: Auch ihm sei in der Region kein Unternehmen bekannt, das einen ähnlichen Weg einschlage. Schon für eine reguläre Fünf-Tage-Woche gebe es ja in etlichen Unternehmen zu wenig Personal.
Natürlich sei die Verringerung der Arbeitszeit eine Möglichkeit, um sich als attraktives Unternehmen darzustellen. „Aber eine pauschale Lösung ist das nicht. Dafür sind die Unternehmen einfach zu unterschiedlich“, betont er.
Ganz einfach die Arbeit zu verringern, sei auch kein gangbarer Weg: „Durch die geleistete Arbeit und die Umsätze konnten viele Betriebe ja ein Polster anlegen und die Krise überbrücken“, sagt er.
Ergebnis der verkürzten Arbeitszeit ist noch offen
Ob sich die gewünschten Effekte bei Tobit einstellen, mag Tobias Groten aktuell noch nicht abschätzen. Das werde sich zeigen. Klar sei nur, dass der Schritt zurück zur „normalen“ Fünf-Tage-Woche kaum möglich sei.
Was die Mitarbeiter mit der gewonnen Zeit machen? „Schlaft euch aus. Genießt das Leben. Trefft euch mit Menschen. Schaut euch in eurer Gegend um. Lernt eine Sprache. Macht etwas für euren Kopf. Für euren Körper. Für euch. Oder für andere. Macht was ihr wollt, liebe Leute. Mittwochs seid ihr frei“, hat er ihnen geschrieben.
Ursprünglich Münsteraner aber seit 2014 Wahl-Ahauser und hier zuhause. Ist gerne auch mal ungewöhnlich unterwegs und liebt den Blick hinter Kulissen oder normalerweise verschlossene Türen. Scheut keinen Konflikt, lässt sich aber mit guten Argumenten auch von einer anderen Meinung überzeugen.
