Thomas Tanriverdi (45) gibt auf Tätowierer hofft auf Spenden – „Ich bin am Ersaufen“

Tätowierer gibt auf: Thomas Tanriverdi (45) hofft auf Spenden für Schuldenberg
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Thomas Tanriverdi (45) steht das Wasser nicht nur bis zum, sondern deutlich über dem tätowierten Hals: Der Tätowierer muss sein Studio an der Parallelstraße demnächst schließen. Die Schulden erdrücken ihn.

Ein letzter Strohhalm, an den er sich nicht ganz klammern mag: eine Online-Spendenkampagne. „Existenzrettung für mein Studio JT-Ink“, hat er sie auf der Plattform „Go-fund-me“ genannt. 31.500 Euro möchte er so zusammenbekommen. 165 Euro hat er schon geschafft. „Ich will nicht betteln, aber mehrere Kunden und Kollegen haben mir dazu geraten“, sagt er. Den Erfolg mag er nicht abschätzen.

Nicht die erste verrückte Idee

Die Spendensammlung ist nicht seine erste unkonventionelle Finanzierungsidee: 2009 versuchte er, seinen Hinterkopf als Werbefläche zu vermarkten. Ursprünglich 50.000 Euro wollte er dafür haben, um sich das Logo eines Unternehmens auf den Hinterkopf tätowieren zu lassen.

Auch damit wollte er Schulden abbauen, die er durch zwei Tattoostudios angehäuft hatte. Damals waren es zwei Lokale in Rheine gewesen. Die Aktion misslang, auch wenn er die erhoffte Summe mehrfach nach unten korrigierte. Nur knappe 1800 Euro kamen bei einer Online-Auktion damals zusammen.

Darauf angesprochen wischt der Tätowierer das damalige Projekt vom Tisch. Alles längst Vergangenheit. So wie die Schulden von damals: Er sei lange schuldenfrei gewesen. Mehr noch: „Vor der Coronakrise war mein Konto gut gefüllt“, beteuert der 45-Jährige. Doch die Pandemie, die Lockdowns, die Wirtschafts- und Energiekrise durch den Krieg in der Ukraine und auch das jetzige Ladenlokal haben ihn wieder in die Enge getrieben.

„Ich bin am Ersaufen“, sagt er und deutet mit der flachen Hand den imaginären Wasserstand an: Nicht bis zum Mund sondern bis zur Stirn stehe ihm das Wasser.

Das Studio an der Ecke Parallelstraße/Hindenburgallee von außen.
Die Parkplatzsituation vor dem aktuellen Standort an der Parallelstraße hat dem Studio von Thomas Tanriverdi den Rest gegeben, sagt er. Wichtige Laufkundschaft habe dort nicht parken können und sei so nicht ins Studio gekommen. © Stephan Rape

Seit 17 Jahren tätowiert er. Seit ungefähr zwölf Jahren ist er im Westmünsterland selbstständig. Erst in Stadtlohn, dann in Ahaus. Ende 2022 wurde ihm in seinem damaligen Ladenlokal an der Fuistingstraße gekündigt. Er suchte eine neue Bleibe, fand sie an der Ecke Parallelstraße/Hindenburgallee. Alles ging Hals über Kopf. Einen regelrechten Schnellschuss nennt er den Umzug an die Parallelstraße. Und ein Schritt in die falsche Richtung. Das Problem: „Die Parkplätze“, erklärt er. Klingt erst einmal kurios.

Auch er habe das so zunächst nicht gesehen. Er habe sich von der Lage an der großen Kreuzung blenden lassen. Aber: „Die Leute können hier vor der Tür nur schlecht parken. Sie kommen einfach nicht herein“, erklärt er. Denn ein großer Teil der Kunden aus der Region komme tatsächlich relativ spontan herein.

Überschaubare Stammkundschaft

Die Stammkundschaft, die wegen ihm persönlich und seiner Arbeit ins Studio komme, sei deutlich überschaubarer. 30, vielleicht 50 Personen.

Den Unterschied habe er nach dem Umzug gespürt: Im alten Studio an der Fuistingstraße sei der Kalender voll gewesen. An der Parallelstraße seien die Termine bestenfalls auf ein oder zwei Tage ausgebucht gewesen. Oft genug habe es auch kompletten Leerlauf gegeben. Dazu kamen die Verbindlichkeiten aus der Pandemie: Ein Kredit aus der Pandemie, den er zurückbezahlen muss, laufende Kosten für das Studio und Energie.

Endgültig aufgeben will er trotzdem nicht: „Natürlich wäre es einfacher, Insolvenz und Bürgergeld zu beantragen und fernzusehen“, sagt er. Doch er steht zu seinem Lebenstraum vom eigenen Tattoostudio. Ein Traum, der ihn jetzt wieder tief in die Schulden gebracht hat.

Rund 30.000 Euro seien es, sagt er und deutet auf seine Kontenübersicht auf dem Smartphone-Display. Mit allen Konten schrammt er an der absoluten Grenze entlang. Etliche Zahlungen seien schon zurückgegangen. „Dabei ist gerade mal Anfang des Monats“, sagt er schulterzuckend.

Das Studio ist erst einmal am Ende. Den Namen, sein Gewerbe und seine Selbstständigkeit behält er trotzdem: Deswegen mag er auch noch nicht zu sehr trauern. „Ich will zurück nach Ahaus“, sagt er. Dabei denkt er an ein Ladenlokal in der Innenstadt. Mit Laufkundschaft, nahe gelegenen Parkplätzen und mehr Gelegenheiten für relativ spontane Tätowierungen.

Thomas Tanriverdi steht in seinem Studio
Thomas Tanriverdi (45) ist seit gut zwölf Jahren als Tätowierer selbstständig im Westmünsterland. Aktuell steht ihm das Wasser bis über die Lippe. Rund 30.000 Euro Schulden hat er angehäuft. © Stephan Rape

„Wenn ich noch einmal ein eigenes Studio aufmache, dann nur in der Innenstadt“, sagt er. Auf jeden Fall will er hier in der Region selbstständig bleiben. Hier habe er sich einen entsprechenden Ruf erarbeitet. Das sieht er natürlich als Grundlage für eine Zukunft.

Aber erst einmal führt ihn sein Weg jetzt in das Studio eines befreundeten Tätowierers nach Lembeck: Dort will er bei Andi Anker ab 1. November tätowieren. „Das ist ja nur 40 Minuten von hier“, sagt er.

Erst einmal für ein paar Monate, bis er wieder in die Nähe eines grünen Zweigs gekommen sein will. „Wenn mir das Wasser nur noch bis zum Kinn oder vielleicht sogar nur noch bis zur Brust steht, komme ich wieder“, verspricht er. Für ihn hat das auch ganz praktische Gründe: „Ich habe zwar mal eine Ausbildung als KFZ-Mechatroniker gemacht. Aber ich kann nichts anderes als tätowieren“, sagt er.

Bis Mitte Oktober arbeitet er noch in seinem Studio an der Parallelstraße. Dann muss er die Räume bis Ende des Monats leerziehen. „Viel Arbeit“, sagt er. Auch der Terminkalender ist bis dahin noch voll: Etliche Kunden wollen auf den letzten Drücker noch eine Tätowierung bekommen. Oder einen Gutschein einlösen.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 4. Oktober 2023.

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