
© Markus Gehring
„Natürlich müssen wir schwarze Zahlen schreiben“
Caritasverband
Hans-Peter Merzbach, Matthias Wittland und Peter Schwack sind die neuen Chefs des Caritasverbandes für die Dekanate Ahaus und Vreden. Wir sprachen mit dem Trio über Personal, Geld und Ziele.
Seit gut 100 Tagen steht der Caritasverband für die Dekanate Ahaus und Vreden unter neuer Leitung. Nach der Verabschiedung des langjährigen Chefs Bernhard Herdering haben Hans-Peter Merzbach (51, Vorsitzender des Vorstands), Matthias Wittland (52, Vorstand für das Ressort Pflege) und Peter Schwack (50, Vorstand für das Ressort Soziale Dienste) das Ruder übernommen. Wir sprachen mit dem Trio über den Fachkräftemangel, schwarze Zahlen und ob man als Vorstand an seinen Aufgaben wächst.
Herr Schwack, an Sie die erste Frage. Sie sind „gelernter“ Sozialarbeiter. Ist man da als Vorstand immer noch Sozialarbeiter oder doch eher Manager?
Schwack: Eine Mischung aus beidem. Es gilt zum Beispiel, solche Rahmenbedingungen und Strukturen zu schaffen, dass die Kollegen im Alltagsgeschäft ihre Arbeit vernünftig und gut machen können.
Dieses Interview führen wir im fünften Stock im Caritas-Zentrum an der Coesfelder Straße. Wie viel vom Alltagsgeschäft bekommen Sie denn hier oben, auf der Vorstandsetage, noch mit?
Wittland: Wir sitzen hier nicht im Elfenbeinturm des Caritasverbandes.
Merzbach: Wir haben ein christliches Profil. Das verpflichtet uns, genauer hinzuschauen und den einzelnen und jeden an seinem Platz in den Blick zu nehmen. Auch wenn das bei 1700 Mitarbeitern oft nicht so möglich ist. Aber wir setzen uns damit bewusst auseinander. Es ist und bleibt ein Spannungsverhältnis.
Herz Merzbach, Sie gehören dem Vorstand ja schon seit 2013 an. Die Frage geht deshalb an Ihre beiden Kollegen: War es für Sie immer Ziel, Vorstand zu werden?
Wittland: Die Leitungsebene war sicherlich ein Ziel, der Vorstand sicherlich nicht. Das hat für mich den Vorteil, dass ich unverkrampft an die Arbeit herangehen kann. Ich bin ein Stück weit stolz, dass man mich angesprochen hat. Aber einen Fünfjahresplan gab und gibt es nicht.
Schwack: Das gehörte nicht zur Karriereplanung. Ich bin vor elf Jahren beim Caritasverband als Sozialarbeiter angefangen. Ich wollte gerne Verantwortung übernehmen, sie ist schrittweise dazugekommen.
Ist das gut oder schlecht, wenn man seinen Arbeitgeber schon so lange kennt?
Wittland: Ein Vorteil ist sicher, dass man seinen Verband gut kennt und das Netzwerk nutzen kann, das man sich aufgebaut hat. Man kennt die Fallstricke und Möglichkeiten. Ein Nachteil ist sicherlich, dass die Draufsicht fehlt, die man hätte, wenn man von außen kommen würde. Man würde Dinge vielleicht ganz anders angehen und anders denken. Ein eindeutiges Pro und Contra sehe ich nicht.
Merzbach: Es braucht den offenen Blick für anderes, auch wenn man schon lange dabei ist. Jeder von uns hat eine andere Berufs- und Lebenserfahrung. Wichtig ist, sich untereinander gut zu verstehen, gerade in einem dreiköpfigen Vorstand.
Wittland: Dabei führen wir auch durchaus kontroverse Diskussionen. Das gehört dazu, um weiterzukommen.
Müsste der Caritasverband die Ergebnisse dieser Diskussionen mehr in die Öffentlichkeit tragen? Sollte er sich in die Politik einmischen und stärker profilieren?
Wittland: Er sollte sich an Diskussionen beteiligen. Aber es geht nicht nur um Politik, es geht auch um Vereine und Verbände. Wir sind nicht in einer Blase.
Merzbach: Wenn man sieht, welche Parteien momentan an Einfluss gewinnen, dann werden wir über das, was uns wichtig ist, zum Beispiel das christliche Menschenbild, stärker diskutieren müssen. Wir werden in der Öffentlichkeit stärker dafür werben müssen, dass das, was wir tun, gut und sinnvoll ist.
Was sind die größten Herausforderungen, vor denen der Caritasverband in den nächsten Jahren steht?
Wittland: Für den Bereich Pflege ist das die Sicherstellung der Versorgung über Personal. Es gilt, ausreichend qualifiziertes Personal zu gewinnen. Wir streben verschiedene Lösungen an, zum Beispiel, dass wir neue Mitarbeiter aus dem Ausland bei uns qualifizieren. Eine große Herausforderung ist, in den nächsten zehn Jahren all die Mitarbeiter zu ersetzen, die ausscheiden.
Schwack: Fachkräftegewinnung ist ein großes Thema. Auf Ausschreibungen für Sozialarbeiter und Heilerziehungspfleger gehen nur begrenzt Bewerbungen ein. Eine große Herausforderung ist das Bundesteilhabegesetz. Die Behindertenhilfe steht vor einem großen Umbruch. Formal gibt es dann keine Wohnheime mehr. Die Betreuung erfolgt über Fachleistungsstunden für Bewohner. Diese Fachleistung wird von der Existenzsicherung getrennt, kann aber auch gepoolt werden. Die Einzelheiten werden gerade ausgehandelt und sollen 2020 greifen.
Herr Merzbach, Sie als Betriebswirt kann ich nach den Herausforderungen in Sachen Finanzen fragen. Gibt es einen Unterschied zwischen der Caritas und einem Wirtschaftsunternehmen?
Merzbach: Ja, ich glaube schon. Natürlich müssen wir genauso wie ein Wirtschaftsunternehmen schwarze Zahlen schreiben, sonst könnten wir unsere Arbeit gar nicht machen. Trotzdem sind wir mit einem anderen Blick auf unsere Klienten und Mitarbeiter unterwegs. Ich würde mir wünschen, dass das nach außen deutlich wird. Das Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit und sozialen Diensten hat es in der Kirche und der Caritas immer gegeben. Das können wir auch nicht auflösen. Wir haben Dienste, die defizitär sind, zum Beispiel die Flüchtlingshilfe. Auch dafür brauchen wir Mittel. Die Flüchtlingshilfe ist der ureigenste Auftrag der Caritas. Maria und Josef waren die ersten Flüchtlinge.
Wie sieht es beim Caritasverband Ahaus-Vreden mit weiterem Wachstum aus?
Wittland: Mit dem Henricus-Stift in Südlohn ist Anfang des Jahres eine weitere Einrichtung dazugekommen. Wir haben auch weitere Sozialstationen aufgebaut, wobei in diesem Bereich das Wachstum begrenzt ist. Sie müssen ja Pflegefachkräfte dafür gewinnen. Wir können nicht einfach so expandieren und unsere Mitarbeiter in Mehrarbeit treiben.
Um Ihren Verband zukunftssicher aufzustellen, wo müssen Sie da die Hebel ansetzen?
Merzbach: Mitarbeitergewinnung ist ein Thema. Ein weiteres ist die Kundengewinnung.
Die Bezahlung der Mitarbeiter ist doch sicher auch ein Thema?
Wittland: Das und das Thema der Arbeitszeitmodelle. Sie richten sich vielfach nach den familiären Gegebenheiten. Die Frage ist zum Beispiel, wie wir mit den Wochenenden umgehen. Jeder würde gerne am Wochenende frei haben. Das entlastet uns aber nicht davon, dass die Mitarbeiter am Wochenende arbeiten müssen. Bei manchen Angeboten sind Kooperationen möglich, zum Beispiel beim Essen auf Rädern. Wir als Caritasverband müssen nicht alles selbst machen.
Schwack: Die Arbeitszeiten der Beratung verschieben sich immer später in den Abend. Da werden wir noch flexibler werden müssen. Stichwort Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Welche gesellschaftlichen Entwicklungen bereiten Ihnen mit Blick auf Ihre Arbeit die größten Sorgen?
Schwack: Populismus und Fremdenfeindlichkeit. Für unsere vielen Ehrenamtlichen, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind, ist es schwieriger geworden. Es darf nicht sein, dass sie sich für ihr Tun rechtfertigen müssen.
Wittland: Die Möglichkeiten zur Übernahme der Pflege in der Familie lassen weiter nach. In der Vergangenheit nahmen sich Familienmitglieder zwei Stunden Zeit, um Angehörige zu pflegen. Heute soll das eine Pflegekraft übernehmen.
Merzbach: Die Finanzierung dieser Dienste ist eine Herausforderung.
Christian Bödding, Jahrgang 1966, ist bekennender Westfale, aber kein Sturkopf. Er schreibt gerne tiefgründig und am liebsten über lokale Themen, über die sich andere nach der Lektüre seiner Texte aufregen.
