Mit der Jugendbande ist plötzlich die Angst wieder da Gewaltopfer Cheyenne ist schockiert

Mit der Jugendbande ist die Angst wieder da: Gewaltopfer schockiert
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Erstmals ist Cheyenne bereit, sich mit ihrem richtigen Namen öffentlich zu äußern. Auch deswegen, weil sie Ahaus längst verlassen hat, die Familie ins sonnige Ausland ausgewandert ist. Hier, mehr als 1000 Kilometer entfernt von ihrem alten Leben, hat sie nicht nur räumlich Distanz hergestellt.

Tag für Tag kämpft sie sich zurück in die Normalität. Auch wenn sie nicht vergessen kann, was ihr damals im Ahauser Schlossgarten angetan wurde, dass Jungen und Mädchen ihres Alter sie gedemütigt und misshandelt haben: „Das wird mich wohl mein Leben lang begleiten.“

Dennoch ist sie stärker geworden, stellt sie sich ihren Ängsten. Inzwischen traut sie sich sogar, auch alleine das Haus zu verlassen. In einem Supermarkt hat sie Arbeit gefunden, ist dort täglich von 9.30 bis 13.30 Uhr im Einsatz. Und: „Wenn Papa mich nicht bringt, fahre ich mit dem Bus.“ Das war lange Zeit undenkbar. Ihr neues Leben bewegt sich also in klaren Strukturen. „Ich bin glücklich hier“, sagt sie. Und plötzlich ist dann doch wieder alles anders, sind die schlimmen Erlebnisse wieder da.

Streifenwagen der Polizei im Schlossgarten
Die Polizei fährt nun häufiger Streife im Schlossgarten. Dieses Archivbild zeigt einen Einsatz im Januar. © Stefan Grothues

„Eine Freundin hat mir den Artikel aus der Münsterlandzeitung geschickt über die Ahauser Jugendbande, das hat alles wieder aufgewühlt in mir“, erzählt sie am Telefon. Auch deswegen, weil sie zuerst vermutet hat, dass zu der Gruppe auch die gehören könnten, die seinerzeit an der Tat gegen sie beteiligt waren.

Das kann aber schnell geklärt werden, weil alle der über 20 Jugendbande-Mitglieder im Alter von 9 bis 17 Jahren einen Migrationshintergrund haben. Im Fall von Cheyenne waren deutsche Jugendliche die Täter. Unabhängig davon aber ist Cheyenne „schockiert“, was sie zu lesen bekommt - von Beleidigungen bis zu Diebstahl und Körperverletzung: „Das darf alles nicht wahr sein!“

Fokus auf die Opfer

Auch deshalb will sie sich jetzt zu Wort melden, möchte den Blick auf die Opfer richten und darauf, mit welchen furchtbaren Folgen sie zu kämpfen haben. „Das darf einfach nicht passieren.“ Und sie blickt auf den in dem Artikel geschilderten Fall eines Jungen, der ebenfalls zum Ofer wird und die Schuler verließ - und nicht die Täter. Cheyenne: „Das ist genauso wie damals bei mir.“

Klare Vorstellungen hat sie dazu, was mit den Tätern, auch wenn sie ganz jung sind, geschehen sollte: „Die müssen hart bestraft werden, damit sie merken, was sie uns antun.“ Sehr gespannt ist sie daher, welche Konsequenzen die Ahauser Jugendbande zu erwarten hat.

Münsterland kein Hotspot

Dr. Ewald Brockhoff, Psychiater und Gerichtsgutachter in Münster, sieht das differenzierter. Auf Anfrage ordnet er ein, wie es zu einer solchen Situation wie in Ahaus überhaupt kommen konnte: „Im Alter zwischen 10 und 14 ist man empfänglich für eine Clique, in der man sich selbst und anderen beweisen will.“

Das schließe sogar ein, dass für „Mutproben“ auch mal Erpressung eingesetzt werde. Nach seiner Einschätzung übrigens keine Frage der Herkunft. „Das betrifft Deutsche wie Nichtdeutsche.“ Ein Hotspot in Sachen jugendlicher Straftäter sei das Münsterland aber nicht.

Brockhoff plädiert für die Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre. Allerdings müsse dann dennoch die Prüfung individueller Reifungsdefizite erfolgen. Jugendarrest hält er als Sanktion grundsätzlich für denkbar, allerdings immer in Kombination mit einer pädagogischen Betreuung: „Eine Geldstrafe ist jedenfalls das denkbar schlechteste Mittel.“ Überhaupt sieht er Polizei, Ordnungs- und Jugendamt, Schulen stärker in der Pflicht und kritisiert Versäumnisse bei der Prävention: „Junge Menschen werden heute eher erwachsen, aber nicht vernünftiger.“

Und für ihn ganz wichtig: „Die Opfer müssen stärker in den Fokus gerückt werden.“ Die Täter hätten überhaupt keine Vorstellung davon, was sie bei den Opfern tatsächlich bewirken oder vielmehr anrichten.

  • Diesen Text haben wir am 18. Mai 2024 veröffentlicht.

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