Es ist ein paar Jahre her, dass Joachim Pradel unbeschwert als Dirigent auf der Bühne stand. Dass das Leben für den heute 58-jährigen Wessumer voll und ganz in Ordnung war. Heute kostet es ihn Anstrengung, überhaupt aufzustehen und einem halbwegs normalen Tag nachzugehen.
„Das ist keine Anstellerei. Es geht einfach nicht“, sagt er. Es fühle sich an wie ein Gefängnis, in dem alle Türen offen stehen würden, das er aber trotzdem nicht verlassen könne. „Man kommt einfach nicht hoch“, sagt er.
Bei ihm ist es eine Verkettung mehrerer Krankheitsbilder. „Ich war immer ein 110-Prozent-Mensch“, sagt er. Nach seinem Orchestermusik-Studium in Essen arbeitet er als Musiklehrer, spielt Trompete, leitet mehrere Bands, Orchester, den Musikverein Ahaus, das Jugendblasorchester. Feste arbeiten, Feste feiern, sei so eine Devise von ihm gewesen.
„Ich war wohl häufig erschöpft, aber man merkt ja selbst nicht, wie sehr man sich schadet“, sagt er. Im Mai 2018 wirft ihn ein grippaler Infekt aus der Bahn. Eigentlich eine Lappalie. Doch eine, von der er sich nicht wieder richtig erholt. Trotzdem schleppt er sich weiter voran.
Ende 2018 sei dann gar nichts mehr gegangen. Es folgen Arbeitsunfähigkeit, Reha, eine schleppend langsame Regeneration.
Fast eine zufällige Diagnose
Eher zufällig kommt die Diagnose ME/CFS auf den Tisch. „Myalgische Enzephalomyelitis (ME) / Chronic Fatigue Syndrom (CFS)“ hinter diesem medizinischen Zungenbrecher steckt eine chronische Erschöpfung. Die Herkunft ist noch nicht genau geklärt.
„Die Forschung läuft“, sagt er. Es handele sich wohl um eine Autoimmun-Erkrankung. „Der Körper kämpft gegen sich selbst.“ Daher rühre die ständige Abgeschlagenheit, die Erschöpfung, der fehlende Antrieb. Mit der ersten Diagnose gehen für ihn auch die Rennerei zu Ärzten und Behörden los. Denn: Die Krankheit habe weder psychische Ursachen noch gebe es klare Biomarker oder Medikamente. „Das muss ja auch erstmal diagnostiziert werden“, sagt er.

Doch bei Joachim Pradel wird es noch schlimmer: Zwei Coronainfektionen strecken ihn nieder. Sie machen im November 2021 und knapp ein Jahr später alle Fortschritte wieder zunichte. Inzwischen sei bei ihm Long Covid diagnostiziert: Jene Langzeitfolgen einer Corona-Infektion, die sich ebenfalls mit ständiger Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Koknzentrations- und Gedächtnisproblemen äußern.
„Es geht mir noch halbwegs gut“, sagt er. Andere Betroffene würden nur noch liegen, hätten extreme Geräusch- oder Lichtempfindlichkeit entwickelt. So schlimm sei es bei ihm nicht. Dennoch: Allein morgens aufzustehen, sich Frühstück zu machen und halbwegs durch den Tag zu kommen, sei schon eine riesige Anstrengung.
Altersvorsorge und Erspartes
Trotz allem will Joachim Pradel die Flinte nicht ins Korn werfen. „Ich will ja wieder arbeiten. „Und ich habe ja auch wirklich Spaß an der Arbeit“, betont er. Mehr noch: Er könne von sich sagen, dass er sein Hobby und seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. „Aber ich muss ja auch“, sagt er. Bis zur Rente seien es schließlich noch ein paar Jahre.
Es gehe ihm wirtschaftlich nicht schlecht. Mit der Musikschule Vreden habe er einen verständnisvollen Arbeitgeber. Um seine Existenz müsse er sich deswegen keine Sorgen machen. Dennoch hat er schon tief ins Ersparte greifen müssen. Auch auf einen ordentlichen Teil seiner Altersvorsorge. Die Rechnungen füllen inzwischen mehrere Ordner.
Therapie auf eigene Kosten
Denn längst nicht jeder Therapieversuch oder jedes Medikament werde von der Krankenkasse bezahlt. Vieles sei nur ein Versuch. Das wisse er auch. „Es sind Strohhalme, an die ich mich klammere“, sagt er.
Aktuell gehe es ihm relativ gut. Aber er will auch nicht vorschnell urteilen. „Das hatte ich schon ein paar Mal“, sagt er. Über Wochen sei es ihm gut gegangen. Dann kam der Rückfall. „Bevor ich nicht mindestens ein oder zwei Monate keine Beschwerden habe, schreie ich nicht mehr ‚Hurra‘. Das ist vorbei“, sagt er.
Er hofft darauf, dass er im Sommer oder Herbst vielleicht langsam wieder mit der Arbeit beginnen kann.
So lange will er zumindest informieren. Will die Menschen in seiner näheren und weiteren Umgebung über die Krankheit aufklären. „Es heißt immer schnell, dass ein Betroffener einfach nur faul sei“, sagt er. Doch das stimme nicht. Gegen diese Stigmatisierung will er sich stemmen. Und anderen Betroffenen die Augen öffnen. Wenn auch bisher noch sehr vereinzelt, gebe es Selbsthilfeangebote.
- Die Selbsthilfe rund um Long Covid und ME/CFS formiert sich gerade erst.
- Joachim Pradel setzt einerseits auf eine Facebook-Gruppe: Long Covid Deutschland hat mittlerweile deutschlandweit rund 9700 Mitglieder (https://www.facebook.com/groups/longcoviddeutschland).
- Der Bundesverband für ME/CFS, der Verein Fatigatio e.V., zählt nach aktuellster Selbstauskunft rund 2300 Mitglieder. (https://www.fatigatio.de/)
Rennradfahrer bei Unfall in Graes schwer verletzt: Rettungshubschrauber landet
Doch keine Vollsperrung der A31 zwischen Legden/ Ahaus und Borken: Gearbeitet wird trotzdem
Jazz-Connections und Familientreffen: Konzert mit Roger Glenn füllt Tonhalle