Ein-Euro-Jobber Sebastian Welsch (42) unterstützt die Arbeit des Ahauser Heimatvereins

Ein-Euro-Jobber: Sebastian Welsch unterstützt Arbeit des Heimatvereins
Lesezeit

Wenn Sebastian Welsch auf einer der alten Bänke Platz nimmt, die in der oberen Etage des Schulmuseums im Torbogen des Schlosses aufgereiht sind, wirkt er mit seiner Größe dort ein wenig verloren. Der 42-Jährige scheint diese Gedanken zu ahnen – und grinst schelmisch.

Nein, eigentlich ist sein Platz ja auch nicht auf einem der historischen Möbel. Der Ahauser sorgt eher mit dafür, dass „der Laden läuft“, um es salopp zu sagen. Er ist zuständig für die Verwaltungsaufgaben rund um das Museum und ist darüber hinaus im Archiv des Heimatvereins tätig, heißt es in einer Pressemitteilung der Berufsbildungsstätte Westmünsterland.

Job mit schlechtem Image

Sebastian Welsch ist ein so genannter „Ein-Euro-Jobber“. Früher hat man damit Menschen in Zusammenhang gebracht, die vom Jobcenter dazu genötigt wurden, gegen geringe Bezahlungen Hilfstätigkeiten zu erledigen, für die sich niemand anderes findet. Heute hat sich nicht nur die Bezeichnung für diese Stellen geändert, sondern auch die Intention dahinter.

Das Jobcenter kooperiert mit der Berufsbildungsstätte Westmünsterland, die als Koordinationsstelle für Arbeitsgelegenheiten dafür zuständig ist, passende Möglichkeiten in Gronau, Epe, Ahaus, Heek, Legden, Schöppingen, Stadtlohn und Vreden zu finden.

Betreuung durch die BBS

Für die BBS hat in diesem Falle Malte Niewerth die Betreuung von Sebastian Welsch übernommen. Er unterstützt seinen Klienten nicht nur beim Wiederaufbau von Alltagsstrukturen, er ist auch der persönliche Ansprechpartner, steht in Kontakt mit dem „Arbeitgeber“, coacht Welsch auf seinem Weg und kann – wenn nötig – im Krisenfall vermitteln.

Sebastian Welsch war viele Jahre als Zerspanungsmechaniker tätig, bevor er 2018 ein Burn-Out, begleitet von schweren Depressionen, erlitt. „Dadurch habe ich schließlich meinen Job verloren“, schildert er. Er war ständig müde, antriebslos, konnte sich nicht mehr über einen längeren Zeitraum konzentrieren. Für drei Monate begab er sich in stationäre Therapie, anschließend folgte eine ambulante Behandlung. In sein altes Arbeitsfeld zurück konnte er nicht mehr: „Meine Fallmanagerin beim Jobcenter, die mich immer gut unterstützt hat, schlug mir dann diese Arbeitsgelegenheit vor“, sagt er.

Schulmuseum und Archiv

Die Aufgabe habe ihn gereizt, sagt Welsch. Zunächst für 20 Wochenstunden ab Oktober, und seit 1. Januar für 30 kümmert er sich seitdem ums Schulmuseum sowie das Archiv des Heimatvereins. Er regelt die Einsätze der Museumsaufsicht, sorgt für Ordnung und ist für die Verwaltung verantwortlich.

Eine Aufgabe, die ihn erfüllt. Im Archiv digitalisiert er Fotos und Artikel von der und über die Stadt. „Ich kann mich ausprobieren und für mich schauen, wie belastbar ich wieder bin. In meiner depressiven Phase habe ich fast nur geschlafen – jetzt kann ich meinen Tag wieder strukturieren“, freut er sich. „Aus diesem stückweise wieder Hineingleiten in den Arbeitsalltag kann ich viel Positives für mein Leben ziehen. Ich bin hier mal für mich alleine, mal im Kontakt mit anderen Menschen. Das tut mir gut. Es steht kein Druck dahinter. Und ich bin dankbar, wie herzlich und mit wie viel Verständnis ich vom Heimatverein aufgenommen worden bin.“

Raus aus der Tabuzone

Dass er mit seiner Lebensgeschichte an die Öffentlichkeit geht, hat für Sebastian Welsch einen Grund: „Ich möchte dabei mithelfen, dass Depressionen aus der Tabuzone treten. Niemand muss sich wegen einer psychischen Erkrankung schämen oder verstecken. Mit einem gebrochenen Arm geht man ja auch zum Arzt“, erklärt Welsch.

Josef Ikemann, Leiter des Archivs, ist jedenfalls begeistert von der Unterstützung: „17.000 Fotos haben wir inzwischen in unserer Datenbank aufgenommen und verschlagwortet.“ Darüber hinaus plant Sebastian Welsch gerade einen Instagram-Auftritt für den Heimatverein. Mit den AGH-Mitarbeitern hat Ikemann bereits gute Erfahrungen gesammelt: „Der Vorgänger von Sebastian Welsch konnte über diese Maßnahme in eine Vollzeitstelle als IT-ler vermittelt werden.“

Zurück in Lohn und Brot

Der Titel „Arbeitsgelegenheiten“ klingt schon recht sperrig. Einfach erklärt steckt dahinter der Versuch, Menschen, die infolge besonderer Lebensumstände schon länger arbeitslos sind, den Weg zurück in Lohn und Brot zu ebnen. Die Arbeitsgelegenheiten sollen keine reguläre Stelle ersetzen. Soziale Einrichtungen können eine solche Arbeitsgelegenheitsstelle beim Jobcenter beantragen, auch die Zuweisung von Teilnehmenden erfolgt über das Jobcenter.

Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 20 bis 30 Stunden. Für jede geleistete Arbeitsstunde wird ein Euro zusätzlich zu den Leistungen zum Lebensunterhalt gezahlt. Die Teilnehmenden können sich in einem geschützten Umfeld wieder in der Arbeitswelt erproben und werden dabei individuell betreut. Das begleitende Coaching wie hier durch die BBS ist für die Beschäftigten wie auch für die AGH-Anbieter kostenlos.

Ansprechpartner bei der BBS sind Koordinatorin Ulrike Broscheit, Tel. (02561) 699440, ulrike.broscheit@bbs-ahaus.de, oder Malte Niewerth, Tel. (02561) 699453, malte.niewerth@bbs-ahaus.de

Es gibt auch ein Krisentelefon der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Es ist erreichbar unter Tel. (0800) 1110111 oder Tel. (0800) 1110222.

Friedensgebet nach einem Jahr Krieg in der Ukraine: Über 600 Flüchtlinge leben in Ahaus

Milde Strafe: 32-Jähriger missbrauchte in Ahaus Tochter seiner Lebensgefährtin

Wasserstoffspeicher in Epe: Fördermittel für Bau sind beantragt